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Theodor Ebert über den gewaltfreien Widerstand

Der zivile Ungehorsam ist keine Wunderwaffe

 

Im Schlachtenseer Gemeindehaus am 18. Februar 1983 warnte der Konfliktforscher und Professor Theodor Ebert davor, den zivilen Ungehorsam als eine „Wunderwaffe“ anzusehen, mit der man „im Hauruckverfahren das für Jahre Versäumte nachholen“ könne. Wer über Jahre hinweg seine Gesundheit ruiniert habe, könne nicht durch eine geballte Ladung von Pillen innerhalb von wenigen Tagen „alles restaurieren“.

 

Wer heute den Massenvernichtungsmitteln ein „Nein ohne jedes Ja" ausspricht, müsse sich darüber im klaren sein, daß ihm ein 20-jähriger Kampf nun bevorstehe. Dazu gehört ein „tagtäglicher Kampf mit dem Terminkalender und der Glotze“. Verlust des Arbeitsplatzes und Gefängnisstrafen müßten ebenfalls möglicherweise in Kauf genommen werden. Wie in Polen wird auch in der Bundesrepublik höchstwahrscheinlich eine Auseinandersetzung „mit der eigenen Hegemonialmacht“ stattfinden. Obwohl sie es nicht zugeben wollen, sind die meisten Anhänger der Friedensbewegung noch nicht einmal so weit, daß sie "ihre ganze Freiheit und ihr Vermögen“ opfern würden, um eine „scheinbar funktionierende Abschreckungsstrategie zu verhindern“.

 

Laut Professor Ebert müsse man sich jetzt über die Art des Widerstandes im Falle einer Stationierung einigen: Solle der Widerstand – wie bisher - nur eine symbolische Bedeutung haben, oder sollen Raketenbasen durch gewaltfreie Massenaktionen tatsächlich funktionsunfähig gemacht werden?                                           

 

Es kommt darauf an, Aktionen zu erfinden, die auf Massen übertragbar seien. Da die Kirche die einzige tragende Säule der Gesellschaft sei, die ein deutliches Nein zur Nachrüstung aussprechen könnte, wäre es besonders ratsam, sie zuallererst zu mobilisieren versuchen. Professor Ebert fragte: „Was würde es bedeuten, wenn in allen Gemeinden ein Antrag an dem Gemeindekirchenrat gestellt werden würde, sich zu versammeln, zu fasten und über die Nachrüstung zu beraten?“ Eine derartige Fastenaktion sollte gleichzeitig in möglichst allen Gemeinden der Bundesrepublik, der DDR und USA stattfinden. Eine schwierige und vordergründige Aufgabe der Stunde bestehe in der Bildung „aktionsfähiger Gruppen“. Wird die Bergpredigt auch in Gruppen praktiziert, so „wird die Moral des Individuums zur politischen Macht“. Dies sei ja die „Macht von unten“, von der Martin Luther King sprach.

 

Pfarrer i.R. Heinrich Albertz zeigte sich nicht unoptimistisch hinsichtlich der Möglichkeit, „die gegenwärtige Gefahr auf demokratische und legale Weise abzuwenden“. Unter anhaltendem Beifall erklärte er, es sei aber in dieser Frage entscheidend, „daß die Gruppe, die bisher nicht im Bundestag ist, in den Bundestag kommt“.

 

Abschließend zitierte Albertz aus „wirklich direkten Informationen“ aus Jena über die dortigen Ereignisse: „Wenn noch lange in eurer westlichen Presse die Propaganda läuft, dann kommen die Inhaftierten „überhaupt nicht mehr aus der Haft heraus“. Die Berichterstattung auch der seriösen Presse über den Brief junger Christen aus Saalfeld - Albertz bezog sich spezifisch auf den Berliner „Tagesspiegel“ vom 18.2.83 – bezeichnete er als „skandalös“: Die DDR-Kirche verhalte sich nach den Regeln ihres Staates und versuche tatsächlich „Freiräume zu erhalten und zu schaffen“. Uns stehe es überhaupt nicht zu, ihr entgegenzuwirken oder zu beginnen, „uns am antikommunistischen Feuer zu wärmen“. Wir sollten „uns sehr genau fragen, womit wir wirklich helfen können.“

 

Bill Yoder

Berlin, den 19. Februar 1983

 

Erschienen im Evangelischen Pressedienst, Landesdienst Berlin, am 21. Feb. 1983, 468 Wörter                         

 

Anmerkungen von Januar 2022: Theodor Ebert ist evangelischer Christ und Friedensforscher, geb. 1937 in Stuttgart. Er war Professer am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität in Berlin-West von 1970 bis 2002. Pfarrer Heinrich Albert (1915-1993) gehörte während der Gewaltherrschaft zur Bekennenden Kirche. In den Jahren 1966-67 war er Regierender Bürgermeister (SPD) von Berlin-West.