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Ein Superintendent rückt Demonstrationen in die Nähe des Nationalsozialismus

„Das fängt immer sanft an“

 

Auf einer Veranstaltung der Evangelischen Sammlung am Freitag, den 25.11.1983, in der Kapelle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu Berlin wandte sich der Superintendent i.R. Reinhold George gegen das Demonstrieren auf der vor einer Woche zu Ende gegangenen Spandauer Synode. Er meinte, das Verteilen von Lilablümchen durch "die Ladies der Fortschrittlichkeit" und das Überschreiten einer "von fackeltragenden Pappkameraden" eingeengten Pforte empfände er „bereits als einen psychischen Druck". Dieses leitende Mitglied der Sammlung bezeichnete „die Verzahnung zwischen leichtem psychologischen Druck" und "Psychoterror" – „sie gehen so ineinander über“- als Gruppendynamik. "Wer wagte denn in der Nazizeit, das Eintopfessen nicht mitzumachen?“, fragte er. Wie "schnell und sanft“ würden Menschen "durch solche Tricks für eine ganz bestimmte, festgelegte und politisch zielstrebige Ideologie erobert".

 

Er resümierte abschließend: „Man wird mit Freundlichkeiten und Blümchen bedrückt; die Propagandawalze will überrollen. Das fängt immer sanft an. Es wird sogleich begleitet von der Angst der Betroffenen, dagegen zu protestieren. „Ich bin alt genug, um zu wissen, wie das war.“

 

Nichtsdestotrotz bescheinigte der ehemalige Schöneberger Superintendent dieser Herbstsynode "einen leisen Weg zum Besseren“. Die Ablehnung eines Antrags gegen die Nachrüstung sowie eines über die Neuregelung der Tauffrage seien im Sinne der Sammlung erfolgt. Außerdem freue man sich über eine Straffung der Ordnung für den Konfirmandenunterricht.                                                                                                                                

Für die Sammlung ist der Fall der erzwungenen „Ausladung“ des Bremer Pfarrers und Professors Georg Huntemann keineswegs abgeschlossen; die fehlgeschlagene Versammlung soll nachgeholt werden. Nach Reinhold Georges Rechtsauffassung hätten die vier Pastoren der Gedächtniskirche – einer davon ist der Landesbischof – „überhaupt nichts über die Kirche zu bestimmen, sondern nur der Gemeindekirchenrat und in diesem Falle des Kuratorium“.

 

Sammlungsmitglied und Superintendent Horst Gunter sei ja selbst Vorsitzender des Kuratoriums. Auf dieser Veranstaltung warnte Gunter eindringlich davor, der Evangelischen Sammlung in den Räumen der Gedächtniskirche jemals ein Hausverbot zu erteilen: „Da würde ich dann sehr empfindlich reagieren.“
                                                                                                                                                                                           

Bill Yoder

Berlin, den 26. November 1983

 

Gekürzte Fassung meines Aufsatzes, der am 28. Nov. 1983 im EPD, Landesdienst Berlin, erschienen ist, 296 Wörter

 

Anmerkung von Dezember 2021: Der Theologe Reinhold George lebte von 1913 bis 1997, der Theologe und Hochschullehrer Georg Huntemann von 1929 bis 2014. Der Berliner Pfarrer Horst Gunter wurde 1935 geboren und verstarb erst 2019.