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Ein Australier in der polnischen Provinz

Vom Campingwagen ins Schloß

 

Bei der ersten größeren Ruine, die sich der australische Baptist Ken Herweynen vornahm, handelte es sich um einen Linienbus. Erworben hat er ihn in Heidelberg 1989 für 500 DM. Den Doppeldecker ließ er dann in einen Missionsbus umbauen mit Kino und Teestube. Doch für Reparaturkosten von 16.000 DM war das Portemonnaie zu schmal. Dafür fand die ausführende Firma eine kulante Lösung: Sie spendete ihm die Arbeit.

 

In den Wendejahren hatten Pastor Herweynen und seine Gattin Giselle osteuropäische Staaten in missionarischer Absicht bereist. Dies führte dazu, daß die Familie 1991 ihren Wohnsitz nach vier Jahren in Deutschland ins niederschlesische Lwowek Slaski (Löwenberg), 60 km östlich von Görlitz, verlegte. Dort wohnten sie auf einem Campingplatz während der Pastor evangelistische Abstecher, teils mit Doppeldecker oder Zelt, in die umliegenden Dörfer machte. "Wir verbrachten drei Winter in einem Caravan-Campingwagen," erzählt Bruder Herweynen. "Eigentlich ist das Leben in einem Caravan auch sehr bequem. Wir waren sehr glücklich dort."

 

Doch nun war die zweite Ruine dran: Bei seinen Besuchen in einem Kinderheim im Vorort Plakowice (Plagwitz) war dem gelernten Zimmermann ein leerstehendes und fensterloses Schloß aufgefallen. Begonnen im Jahr 1550 durch den Ritter Rampold von Talkenberg, galt es nach Lutsch als das bedeutendste schlesische Adelsschloß des 16. Jahrhunderts. Im Jahr 1826 wurde es Teil der angrenzenden Heil- und Pflegeanstalt. Doch mit dem Auszug der polnischen Armee 1974 wurde das 24.000-Kubikmeter-umfassende Gebäude und seine noch vorhandenen Fresken den Füchsen und Dieben überlassen.

 

Beim ersten Anlauf klappte der Kauf nicht. Den Zuschlag bekamen vielmehr drei Geschäftsmänner aus Krakau, die beabsichtigten, ein Spielkasino einzurichten. Am Bau geschah jedoch nichts: den Geschäftsmännern fehlte doch das nötige Kleingeld. Nun gelang es dem Australier, mit Finanzen aus Übersee das Ein-Hektar-Anwesen den Krakauern zum Selbstkostenpreis von weniger als 50.000 DM abzukaufen.

 

"Das Gelände war zur Müllhalde und zu einem Sumpfgebiet verkommen," erzählt der Missionar. "Im Schloß waren keine Strom- oder Wasserleitungen mehr vorhanden." Erst nach massiven Räumarbeiten konnte mit dem Einbau von Mitarbeiterwohnungen auf dem Dachboden begonnen werden. Schon gleich nach dem Kauf 1992 war der Campingwagen aufs Gelände gebracht worden. Aber erst zwei Jahre danach konnte die wachsende Familie - heute hat das Paar fünf Kinder - den Umzug "vom Caravan ins Schloß" vollziehen.

 

Inzwischen sind die Arbeiten am Schloß zu 75% fertig: "Wir kaufen nur die Baustoffe," erzählt er. "Alles andere wird in Eigenleistung erbracht." Da der Direktor das Begleichen der monatlichen Rechnungen nach wie vor als "Wunder" empfindet, kann er sich gar nicht vorstellen, bereits fast 100.000 DM verbaut zu haben.

 

Ken Herweynen ist der Auffassung, daß eine "Glaubensmission" keine Bittbriefe verschickt. Aber die Opferbereitschaft dieser Familie und ihrer Mithelfer hat auf Besucher ansteckend gewirkt. Ein gebrauchter Boiler wurde im Flugzeug aus Australien mitgebracht; ein Klempner aus Holland führt Klempnerarbeiten aus während er nebenan auf dem kleinen, schloßeigenen Campingplatz seinen Urlaub verbringt. "Work camps" finden statt: Die Gastgeber versorgen den Campern mit kostenloser Logis und Kost, dafür packen die Camper beim Malern und Buddeln mit an. Bruder Herweynen beteuert, er habe in Deutschland seine Liebe für den Sperrmüll entdeckt. "Unser gesamtes Mobiliar besteht aus Spenden," erzählt er, "z.T vom Sperrmüll. Gäste erscheinen mit einer Couch hinten im Kofferraum. Es ist wirklich wundervoll!" Doch für den Missionar aus Australien sind Schloß und Doppeldecker "nur Werkzeuge". "Was zählt, ist das, was in dem Gebäude geschieht. Das ist das eigentliche Zeugnis für die Menschen in dieser Umgebung."

 

Gegenwärtig hat die Arbeit auf diesem Gelände fünf Schwerpunkte: Eine Gemeinde im Schloß, die bereits rund 70 Besucher zählt, den Doppeldecker, eine Kinderspeisung, christliches Camping, und therapeutisches Reiten für behinderte Kinder vom staatlichen Kinderheim nebenan. "Hast du jemals das freudige Gesicht eines Kindes auf einem Pferd gesehen?" fragt der Pastor. Die Kinderspeisung ist auf Bitten einer benachbarten Grundschule entstanden. "Die Schule fragte damals, ob wir ein paar Monate überbrücken könnten, bis sie ihre eigene Küche fertig hätten. Aber das war vor fünf Jahren," erzählt er. Für die Speisung von 20-30 Kindern an Schultagen bekommt die Schloßgemeinschaft vom Staat keinen Heller.

 

Man merkt, daß Ken Herweynen ein Herz für Kinder hat. Er träumt von einem Kinderheim womöglich auf einem äußerst geeigneten Nachbargrundstück. "Aber da fehlen uns noch die Mitarbeiter," fügt er hinzu. "Noch ist nicht die Zeit dafür."

 

Es sind die Rückfälligen, die dem Missionar am meisten zu schaffen machen. Von den Alkoholikern, die bei den ersten Aufräumarbeiten dabei waren, ist nur noch einer mit von der Partie. "Ich würde liebend gern Arbeitsbeschaffungsprojekte starten," klagt er. Dafür hat er bereits Pferde, Kühe, und landwirtschaftliche Geräte angeschafft. Auch ein Werkzeugverleih war anvisiert. Doch arbeitslose Nachbarn ließen ihn wiederholt auf seinem Inventar sitzen. In der polnischen Provinz lebt es sich besonders preiswert. Wohl schon deshalb ist es dort außerordentlich schwierig, Menschen dem Müßiggang und Alkoholismus zu entreißen. Dabei merkt er an: Auch bei geistlich Bekehrten werden Arbeitsethos und Konsumverhalten nicht automatisch gleich mitbekehrt.

 

Da Bruder Herweynen die Arbeit mit den Bedürftigen an erster Stelle setzt, ist Kirchenkunde nicht seine Stärke. Die Gemeinde im Schloß nennt sich "Elim". Erst hinterher erfuhr er, daß in Europa eine Glaubensgemeinschaft gleichen Namens besteht. Daß es in Deutschland bereits seit Jahrzehnten "Tee-Mobile" gibt, erfuhr er auch erst nach der Fertigstellung seines eigenen Busses. Dieser sprachenbegabte und tatkräftige Pastor ist formell nur "Halbtheologe": 1987 schloß er auf einer Bibelschule in Texas eine zweijährige Ausbildung ab.

 

Dennoch wurstelt diese Gemeinde nicht alleine vor sich hin. Da Ausländer keine Immobilien besitzen dürfen, ist der polnische Baptistenbund rechtlicher Besitzer des Areals. Er räumt den Australiern ein unbefristetes Nutzungsrecht ein. Hauptunterstützer dieser Arbeit bleibt Herweynens Heimatgemeinde: eine Baptistengemeinde in Darwin/Australien.

 

Auch für Besucher aus Deutschland ist die Schloßgemeinschaft offen. Kinderreiche Familien, die den Wegfall preiswerter Ferienheime beklagen, sollten wieder Mut fassen. Pro Person und Tag wird von Campern nur 1,20 DM verlangt; Gäste im Schloß zahlen täglich 4 DM, und das schließt eine warme Mahlzeit mit ein. Im Schloß gibt es Betten für mindestens 21 Gäste; in den Baracken Platz für rund 50 weitere Camper. "Weil wir so preiswert sind, fällt es uns nicht schwer, den Kalender zu füllen," sagt der Direktor. Er ist sich bewußt, daß man mit höheren Einnahme sehr viel Gutes bewerkstelligen könnte. Gleichzeitig will der Australier den Verdacht nicht aufkommen lassen, er sei des Verdienstes wegen nach Niederschlesien gezogen.

 

Anschrift: Elim Christian Center, Plakowice 51b, 59-600 Lwowek Slaski, Tel/Fax (0048 75) 782 4339.

 

Dr. William Yoder

Berlin, etwa 1996

 

Verfaßt für das ev.-freikirchliche Zeitschrift „Wort und Werk“, 1.034 Wörter.

 

Amerkung von September 2021: Heute ist die Arbeit in diesem Schloß weiterhin unter dem Namen „Elim Christian Center Poland“ bekannt. Das Ehepaar Herweynen ist weiterhin vor Ort. Siehe: „elimcenter.pl“.