· 

Dienstkarrusell dreht sich in Nord-Ostpreußen

Christen sind Steine – aber lebendige

 

Am 31. August 2002 wurde Heye Osterwald als Pastor von zwölf Gemeinden im Raum Gusew/Gumbinnen verabschiedet und sein Nachfolger, Pastor Ingo Rockmann (bisher Lutherstadt Eisleben), eingeführt.

 

Im Bezug auf den Dienst von Pastor Osterwald stellte Siegfried Springer, der Moskauer Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland und anderen Staaten (ELKRAS) fest: „Es ist Frucht gewachsen durch die sechs Jahre seines Dienstes in Gusew.“ Allein die Tatsache, dass sich über 250 Menschen aus dem In- und Ausland in die kleine, 1995 wieder eingeweihte Salzburger Kirche zu Gumbinnen gezwängt hatten, zeugt davon, dass diese Mühe keineswegs vergeblich gewesen sei. Diese Kirchengemeinde hat 70 Mitglieder. Mit einem Hinweis auf das Wort von Petrus, dass Christen Steine seien, deutete der Pastor auf Verstehensschwierigkeiten während der sechs Jahre seines Gumbinner Dienstes hin. Christen seien Steine, meinte er, aber immerhin seien sie lebendige Steine.

 

Von der Zerrissenheit des russischen Christentums war an diesem Festtag nichts zu spüren. In der 1840 erbauten Salzburger Kirche, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Abstellplatz einer Straßenbaufirma befindet, findet zweimal im Monat eine katholische Messe statt. Bei Probestunden lässt ein orthodoxer Stadtchor das Gemäuer mit russischen Klängen erschallen. Bei der Grußstunde nannte die Deutschlehrerin Vera Kurnosova den in Norddeutschland geborenen Heye Osterwald „ihren Landsmann“. Im Nachgespräch behauptete sie, „Heimwehtouristen“ und in diesem Gebiet geborene Russen seien gleichermaßen „Landsleute“.

 

Vor einer noch größeren Zahl von Menschen wurde am Tag darauf, am 1. September, in der Auferstehungskirche zu Kaliningrad/Königsberg Pastor Osterwald als neuer Propst der Propstei Kaliningrad eingeführt. Sein Vorgänger, der Hannoveraner Erhard Wolfram, wurde in den Ruhestand verabschiedet. An diesem Festtag ging es noch eindeutiger um die Kirchenpolitik: In Beisein eines geistlichen Vertreters der Russischen Orthodoxie versicherte Bischof Springer, dass neben der Orthodoxie auch das Luthertum über einen ganz besonderen, von Gott bestimmten Platz in der russischen Gesellschaft verfüge. Dabei verwies er auf die 450-jährige Geschichte des russischen Luthertums.

 

Als Vermächtnis meinte der scheidende Propst Wolfram in seiner Predigt: „Ich bin überzeugt, wenn es in diesem Land wieder nach innen und nach außen vorangehen soll, dann wird das nicht allein durch materielle Hilfe möglich sein. Ganz entscheidend wird die Neuorientierung an Gott und sein Wort sein.“ An beiden Tagen wollte bei Gemeindegliedern, Kirchenvertretern, Kommunalpolitikern und Gästen aus Deutschland der Dank für den von Pastor Osterwald und Propst Wolfram geleisteten Dienst kein Ende nehmen.

 

Am 31.8. in Gusew wurde ebenfalls der Ukrainer Ruslan Semenjukov von Erzbischof Professor Georg Kretschmar (St. Petersburg) für den Dienst in Tschernjachowsk/Insterburg ordiniert. Am Sonntag in Kaliningrad wurde der Russlanddeutsche Alexander Burghart vom Erzbischof zum Pastor ordiniert. Am 2.9. wurde der bisheriger Pastor von Tschernjachowsk, der Russlanddeutsche Wladimir Michelis, bei einem Festgottesdienst in Polessk/Labiau als Pastor für Polessk und umliegende Gemeinden eingeführt. Istvan Thuranszky, seit zwei Jahren der evangelische Geistliche von Slawsk/Heinrichswalde, kehrt im November in sein Heimatland Ungarn zurück.

 

Dr. William Yoder

Kaliningrad/Königsberg, den 5. September 2002

 

Meldung Nr. 3, 468 Wörter