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Pastor der französischsprachigen Gemeinde Moskaus geht in Rente

Eine Oase in der Wüste

 

M o s k a u - Pastor Emilson Joseph Andriamihanta geht in Rente – er ist immerhin 68 Jahre alt. Am 4. November verließen er und seine Frau Berthine Moskau zum letzten Mal und kehrten ins sonnige Gefilde nach Madagaskar zurück. Ihre sechs Kinder und 20 Enkelkinder sahen sie zum letzten Mal vor drei Jahren.

 

Lieber Pastor Joseph. Stammen Sie wirklich aus Madagaskar?

Ich habe fast mein ganzes Leben dort verbracht bis wir im Februar 2001 nach Moskau gezogen sind. Nach einem Theologiestudium in Madagaskar setzte ich mein Studium an einem Seminar der „American Lutheran Church“ in Minneapolis-St. Paul/USA fort. Ich promovierte an der “University of Zimbabwe” in Harare.

 

Und aus welcher Stadt stammen Sie?

Meine Heimatstadt heißt Antsirabe, 160 Kilometer südlich der Hauptstadt Antananarivo. Aber unsere Kinder wohnen an verschiedenen Orten in Madagaskar.

 

Gibt es in Madagaskar viele Lutheraner?

Aber ja! Die “Madagassische Lutherische Kirche“ wurde von Missionaren aus Norwegen gegründet und hat jetzt annäherend drei Millionen Mitglieder. Das macht sie zu einer der größten lutherischen Kirchen der Welt. Die Einwohnerzahl unseres Landes beträgt 18,5 Million.

 

Ihre Gemeinde nennt sich “Lutherische protestantische Gemeinde frankophiler Sektion in Moskau” und trifft sich in der Kapelle auf dem Gelände der St. Peter- und Paul-Kathedrale. Wie ist es dazu gekommen?

Sehr bald nach meiner Ankunft besuchte ich Pastor Dmitri Lotow und erzählte ihm von unseren Problemen mit Räumlichkeiten. Dank der Unterstützung von Pastor Lotow und Bischof Siegfried Springer konnten wir zu Ostern im April 2001 unseren ersten Gottesdienst in der Kapelle abhalten.

 

Wer sind Ihre Partner in Moskau und darüber hinaus?

Unsere Gemeinde ist aus der „Moscow Protestant Chaplaincy“, oder MPC, entstanden. Diese Gemeinschaft ist rund 40 Jahre alt und steht vor allem den englischsprachigen Diplomaten und Ausländern im Raum Moskau zur Verfügung. Doch nicht alle waren des Englischen mächtig und deshalb wurde 1999 der Entschluß gefaßt, eine französischsprachige Gemeinde zu gründen.

 

Finanziell wird unsere Gemeinde von der “Evangelical Lutheran Church of America” (ELCA) mit Sitz in Chicago unterstützt. Doch vor Ort fühlen wir uns den Brüdern und Schwestern in der MPC und der „Evangelisch-Lutherischen Kirche Europäisches Rußland“ (ELKER) verantwortlich. Es gibt eine französischsprachige katholische Gemeinde in Moskau. Es gibt auch afrikanische, teils-christliche Sekten, die sich auch in Moskau versammeln. Aber wir haben sehr wenig Kontakt.

 

Geht es anders in Ihren Gottesdiensten zu? Tanzen Sie auch?

Wir aus Madagaskar sind etwas steif, aber andere Geschwister aus Afrika tanzen und klatschen in die Hände wenn sie singen. Wir begrüßen unsere Gäste auch mit Singen und Klatschen. Wir sind zwar eine lutherische Gemeinde, doch viele unserer Mitglieder sind Presbyterianer oder auch Katholiken. Also haben wir uns auf eine einfachere, allgemeinere Liturgie geeinigt, die von allen verstanden und angenommen wird.

 

Mir ist bekannt, daß Ihre Gemeinde fast 60 Mitglieder hat. Sind auch frenzösischsprachige Europäer dabei?

Nicht im Augenblick. Wir sind alle Afrikaner, und zwar aus Madagaskar, Mali, Niger, Kamerun, Angola und anderen Staaten. Wir haben gelegentlich auch Kontakt mit den afrikanischen Studenten von der russischen Universität in Woronesch.

 

Haben Sie in Ihrer Gemeinde in Madagaskar auf Französisch gepredigt?

Nein, Madagaskar hat 18 einheimische Stämme und Millionen anderer Menschen aus Malaysien, Indien, und dem afrikanischen Festland. Alle reden Malagasy, doch nicht alle können Französisch, die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht.

 

Ihr Kollege Pastor Gottfried Spieth war von Ihrer Fähigkeit beeindruckt, verschiedene Formen der Anbetung und des christlichen Glaubens zu vereinen. Vielen waren Sie eine Vaterfigur. Sie verstanden es, Menschen das harmonische Zusammenleben beizubringen. Was haben Sie neu über den christlichen Glauben erfahren während dieser sechs Jahre in Moskau?

In Madagaskar ging es uns sehr gut, deshalb hat uns der Umzug nach hierher einen Schock versetzt. Das erste, überragende Problem war die Sprache. Und manche Menschen verhalten sich brutal. Es war nicht leicht, uns dieser Gesellschaft anzupassen. Aber durch den hiesigen Aufenthalt wurde mein Glaube gestärkt. In schweren Zeiten erlebten wir, daß Gott bei uns war. Wir lernten mehr über den kindlichen Glauben an ihn, der dem Glauben des Kindes an seine Eltern ähnelt.

 

Weite Teile Europas haben den Ruf, rassistisch zu sein. Was müssen wir tun, um den Rassismus zu bekämpfen?

Man sollte mehr über die Liebe Gottes reden. Ich habe den Eindruck, daß die Menschen in Rußland nicht genügend Liebe in sich tragen. Die Menschen sind nicht nachgiebig, wenn ich mein Auto fahre. Sie lieben sich, aber sie lieben andere nicht. Das ist das Problem. Darum sollten die Kirchen mehr von der Liebe für Gott und für andere erzählen. Hier sieht man viele Kirchengebäude. Die Kirchen sollten die Chance wahrnehmen, die Menschen geistlich auszurüsten.

 

Meistens geht es mir in Rußland blendend. Habe ich es leichter, weil ich Russisch aussehe? Ich bin mir sicher, die russischen Gäste in Deutschland, von woher ich komme, werden viel schlechter behandelt als ich in Rußland. Aber haben Sie Angst davor, abends auszugehen oder mit der Metro zu fahren?

Auf jeden Fall. Unsere Leute haben Angst, vor allem abends auszugehen. Manche unserer Mitglieder wurden von Skinheads geschlagen. Das Auto eines Mitglieds wurde direct vor dem Kirchentor gestohlen. Russen haben Angst, daß Afrikaner ihr Land überfluten werden. Manche Leute hassen uns. Das zeigt, daß die Menschen ungeistlich leben. Wir müssen die Chance wahrnehmen, das Evangelium zu stärken. Die Kirche muß die Liebe verkündigen, denn sie vereint die Menschen.

 

Kommen die Afrikaner gerne nach Rußland?

Nein, sie kommen nicht aus freien Stücken hierher. Sie kommen dienstlich hierher – wegen ihres Studiums oder einer Arbeit. Manche unserer Leute arbeiten in Botschaften. Das gro0e Problem heißt Rassismus. Wenige Afrikaner würden gerne kontinuierlich hier wohnen.

 

Ihre Gemeinde muß eine Oase in der Wüste sein für viele Afrikaner!

Jawohl. Ohne diese Gemeinde müßten viele ohne eine Heimat auskommen. Und es gefällt den Teilnehmern, weil sie das Evangelium in ihrer eigenen Art erleben dürfen.

 

Was geschieht als Nächstes? Sie werden in der Gemeinde ein großes Loch hinterlassen.

Pastor Michel Guerrier aus dem Elsaß ist am 2. November hier angekommen und wird bis Mitte Januar Dienst tun. Er wird dann von einer Frau aus Madagaskar, Fara Rajarisoa, abgelöst, die bisher in Rom studiert hat. Aber ihr Ehemann ist bereits in Moskau in der madagassischen Botschaft tätig.

 

Guten Flug, wir wünschen Ihnen Gottes Allerbeste!

Ja, es ist an der Zeit, daß wir nach Hause zurückkehren. Unsere Kinder vermissen uns. Besuchen Sie uns, Sie sind eingeladen!

 

Die Fragen stellte Dr. William Yoder.

Moskau, den 4 November 2006                             

 

Eine Presseerklärung bzw. Interview der ELKER. Zur Veröffentlichung freigegeben. Meldung Nr. 13, 1.025 Wörter