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Die Südbaptisten haben eine riesige Missionsgesellschaft

Eine Klasse für sich

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Zur Arbeit der International Mission Board in Rußland

 

Bericht und Kommentar

 

M o s k a u – Es gibt tatsächlich Dinge, die in Rußland besser laufen als weiter westwärts. Ein Beispiel dafür sind die Beziehungen der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten (RUECB) mit weltumspannenden Organisationen wie dem Baptistischen Weltbund (BWA) und der in Richmond/Bundestaat Virginia beheimateten „Southern Baptist Convention“ (SBC). In Westeuropa laufen die Beziehungen der SBC mit den Bünden, die sich in der Europäischen Baptistischen Föderation (EBF) versammeln, auf Sparflamme. Doch in Rußland gedeiht die Zusammenarbeit mit beiden Organisationen. (Die EBF ist die europäische Filiale der BWA.) Die Spannungen, denen die „International Mission Board“ (IMB) in Rußland ausgesetzt ist, sind im wesentlichen staatlichen und volkskirchlichen Ursprungs. Die Lage sieht allerdings anders aus in Kasachstan und Kirgisistan, wo sich die Baptistenbünde von der BWA und EBF getrennt haben.

 

RUECB-Präsident Juri Sipko unterstreicht die gedeihliche Zusammenarbeit seines Bundes mit der IBM. Es gibt große inhaltliche Überschneidungen etwa im Bibelverständnis und in der Frauen­frage. Vom Wert einer Unterstützung durch die IMB ist Alexander Popow, der baptistische Superintendent für das Gebiet Ischewsk, zutiefst überzeugt. Im Gespräch wies er darauf hin, daß das Projekt Udmurtien aus russischen Kreisen stamme. „Es war unsere Idee, daß wir zusammenarbeiten. Wir haben gemeinsam Projekte entwickelt. Bei uns haben die Südbaptisten nur durch uns und unseren Bund gearbeitet. Sie wollten, daß wir selbst die Gemeinden gründen.“

 

Über Spaltungen

Die Southern Baptist Convention ist mit ihren 16,3 Millionen Mitgliedern die zweitgrößte Kirche der USA. Die Römisch-Katholische Kirche hat das Dreifache an Mitgliedern, doch an der Zahl von 44.000 Ortsgemeinden kommen die Katholiken nicht heran. Seit ihrer Entstehung 1845 verfügt die SBC auch über eine schlagkräftige Missionsgesell­schaft: die IMB. Bis 1997 war sie unter dem Namen „Foreign Mission Board“ bekannt. Die Mission ist spätestens seit 1990 im postkommunisti­schen Rußland aktiv.

 

Von der großen SBC haben sich Gruppierungen wiederholt abgespalten. Die jüngsten Spaltungen ergaben sich aus der nach 1960 entstandenen Bewegung der „Conservative Resurgence“ (Konser­vative Wiederauflebung). Seit 1979 ist es dieser besonders konservativen Fraktion gelungen, jedes Jahr den eigenen Kandidaten zum Präsidenten der SBC zu wählen. (Die Amtszeit beträgt nur ein Jahr.) Im Jahre 1987 spaltete die besonders liberale „Alliance of Baptists“ ab. Sie hat heute rund 125 Ortsgemeinden. Zur gemäßigten, 1991 gegründeten „Cooperative Baptist Fellowship“ (CBF) gehören inzwischen 1.900 Ortsgemeinden. Im Oktober 2004 hat sich die SBC selbst von der BWA verabschiedet. Es verbleiben bei der BWA 210 baptistische Kirchen mit rund 37 Millionen Mitgliedern.

 

Diese letzten Spaltungen innerhalb der SBC werden mitunter als eine „Reformation mit unglaublich hohen Verlustquoten“ bezeichnet. Der texanische Seminarpräsident Paige Patterson, selbst ein Architekt der “Conservative Resurgence”, beklagte die Tatsache, daß diese Auseinandersetzung zur Zerstörung von Karrieren, Verletzungen und zerbrochenen Freundschaften geführt habe. „Keiner, der ernsthaft den Namen Christi bekennt, könnte sich über diese Trauer freuen.“ Bekanntlich haben sich führende Südbaptisten wie Billy Graham, Jimmy Carter und Rick Warren nicht am Umbau der SBC beteiligt.

 

Richmond ist weit entfernt

In Rußland gab es lange den Spruch: „Der Tsar ist weit weg und Gott ist weit oben.“ Doch empfinden die Baptisten nicht nur Moskau als weit entfernt – Richmond/Virginia liegt in noch viel größerer Entfernung. Das Funkenfeuer jenseits des großen Meeres hat die Arbeit vor Ort in Rußland wenig beeinträchtigt. IMB-Mitarbeiter engagieren – oder engagierten - sich u.a. in Moskau, Petersburg, Brjansk, Iwanowo, Nizhny Nowgorod, Ufa, Ischewsk, Wolgograd, Jekaterinburg und im fernöstlichen Khabarowsk. In Petropawlowsk auf der Halbinsel Kamtschatka sind nordamerikanische Mitarbeiter unmittelbar an der Gründung einer neuen Gemeinde beteiligt. Das RUECB-Seminar in Akademgorodok bei Nowosibirsk wird von der IMB gefördert. Diese Missionare organisieren Konferenzen, Evangelisationen, Musikver­an­staltungen, Bibelverteilaktionen, Englischunterricht und humanitäre Maßnahmen (siehe Beslan). Bei Brjansk wurde ein christliches Ferienla­ger unterstützt.

 

Wie viele westliche Missionen will sich die IMB auf „unerreichte“ und besondere Zielgruppen konzentrieren. Zu ihnen zählen in diesem Falle das mit den Finnen verwandte Volk der Udmurten im Raum Ischewsk, sowie Muslime in Moskau und Rußland überhaupt. Mission unter Russen koreanischer Abstammung, unter Taubstummen, Juden, Studenten und Künstlern gehören zu den weiteren Schwerpunkten. Ed Tarleton, der Leiter ihres Moskauer Büros, träumt davon, zwei Dutzend der rund 180 Völker Rußlands zu erreichen.

 

Nachahmenswertes

Die IMB versteht viel davon, die Christen an der Heimatfront zu mobilisieren. Da könnten Europäer bei ihr die Schulbank drücken. Sammelaktionen und ein jährlicher „Freiwilligengipfel für Zentral- und Osteuropa“ werden in den USA durchgeführt; der diesjährige Gipfel findet Ende April in Sherwood/Bundesstaat Arkansas statt. Bei der Mobilisierung nimmt das Internet eine Schlüsselposition ein – siehe z.B. „hope4cee.org/Russia“, “hope4russia.org” und „hope4artists.com“. Auf der Webseite „hope4udmurt.org“ ist zu erfahren, wie man einen Gemeindeabend über das Volk der Udmurten - sogar mit entsprechender Kost - gestalten kann. Besonders aktiv im Einsatz für Rußland ist die „White River Baptist Association“, die in der Ortschaft Flippin (Einwohnerzahl 1.357) im Norden von Arkansas beheimatet ist.

 

Die IMB ist auch König der Gebetsbewegung zugunsten der Evangelisation – und 2007 nahm Rußland die Spitzenposition in den Werbekampagnen der IMB ein. Am 27. Mai hatten Südbaptisten in der ganzen Welt ihren jährlichen „Tag des Gebetes und Fastens für die Weltevangelisation“ dem in Zentralrußland beheimateten 770.000-Menschen zählenden Volk der Udmurten gewidmet. Die Gebetswoche für die Auslandsmission, die vom 2. bis 9. Dezember 2007 stattfand, hob die in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion tätigen Missionare hervor.

 

Verständlicherweise verfügen die Mitarbeiter der wohlhabendsten, protestantischen Missionsge­sell­schaft überhaupt über entsprechendes Kleingeld. Aber sie verstehen es auch, einen Teil weiterzugeben. Im Jahr 2007 brachten die beiden Jahreskonferenzen der Missionare in Zentral- und Osteuropa mehr als $90.000 zusammen.

 

Innerhalb oder außerhalb?

Weltweit besteht die IMB im Regelfall auf die Etablierung einer eigenen Mission und eines eigenen Programms. Obgleich sie womöglich eng mit dem Programm einer einheimischen Union kooperiert, bleiben die beiden Missionen eigenständige Größen. Das hat manchmal zu der Feststellung geführt – siehe z.B. Nigeria, die IMB halte „eine Parallelorgani­sation, die losgelöst von den einheimischen Bünden fungiert“. Veröffentlichungen der Mannschaft Khabarowsk im Internet machen deutlich die Erwartung, daß sich Einheimische den Projekten der IMB anschließen – nicht umgekehrt. Anfang 2001 kam es zu einem Bruch zwischen der IMB und den Unionsgemeinden im Gebiet Irkutsk. Den Berichten zufolge setzten sich die Pastoren vor Ort für die Unterstützung vorhandener Projekte ein. Die Südbaptisten wollten jedoch neue Gemeindegründungsinitiativen starten, die mit wenig oder keiner Förderung von Einheimischen einhergingen. Doch in Ischewsk nahm das Bemühen um Kooperation einen anderen Verlauf.

 

Auch unter den allerbesten Umständen können die Unterschiede in Kultur und ökonomischer Stärke den Missionaren aus fremden Ländern große Hürden in den Weg stellen. Die IMB hat langfristige Missionare: Das heute in St. Petersburg arbeitende Ehepaar Mel und Nancy Skinner befindet sich seit 16 Jahren in Rußland. Ed und Teri Tarleton sind seit 14 Jahren vor Ort. Doch leisten Missionare, die sich für wesentliche kürze Zeiträume in Rußland aufhalten, ein Großteil der Arbeit. Das sind Menschen, die weniger dafür gerüstet sind, den „Zwillingsgegnern“ von Kultur und ökonomischem Gefälle in die Flucht zu schlagen. Die IMB hält für den Dienst kurzfristiger Missionare eine breite Palette von Optionen offen. Einem in den USA wohnenden, Laienmissionar und „Virtual Strategy Coordinator“ z.B. fällt die Aufgabe zu, einen Plan zu entwickeln, um eine russische Stadt oder ein russisches Gebiet mit dem Evangelium zu erreichen. Zu den weiteren Optionen gehören das Unterrichten von Englisch und „Prayerwalking“, bei dem man in der Hoffnung auf zufällige Gesprächsmöglichkeiten eine Gegend betend durchwandert.

 

Es kann auch deshalb nicht überraschen, daß mangelnde Erfahrung und mangelndes Mitgefühl verschiedentlich zum Vorschein kommen. Der in Houston seßhafte “Virtual Strategy Coordinator” für die Stadt Nizhny Nowgorod schrieb kürzlich: „Die meisten der 1,3 Millionen Einwohner der Stadt haben keinen Zugang zum Evangelium und herzlich wenig Interesse an der Religion oder an irgend etwas anderem aus dem Westen.“ Im vorigen Jahr berichtete der Leiter der IMB-Arbeit im europäischen Rußland: „Zweifellos schließt sich die Tür. Nun legen wir das Fundament, um [die Christen] auf die nächste Verfolgungswelle und die Notwendigkeit von Hausgemeinden vorzube­rei­ten.“ Eine solche Nachricht wirkt wenig erheiternd auf jene Christen Rußlands, die zuhause bleiben und nicht voreilig die Flinte ins Korn werfen wollen.

 

Ab wann sind die „Nebenkosten“ keine Nebenkosen mehr? Ein Indiz für das beunruhigende Verhältnis zwischen Kostenaufwand und Nutzen sind die immensen Reisekosten, die befristet in Rußland tätigen Missionare verursachen. Aber dies trifft nahezu alle Missionen, die weiterhin in Rußland tätig sind. Gäbe es keine kurzfristig-tätigen, ausländischen Missionare, gäbe es oftmals überhaupt keine. Das „Prayerwalking“ kann ein sinnvolles Unterfangen sein – doch ist es dem Preis eines Rundfluges von Texas bis Zentralrußland wert? Ist solches Beten effektiver als das Beten zuhause in Texas? Manche Fragen lassen sich nicht mit einem einfachen „Ja“ oder „Nein“ beantworten.

 

Das größte Happening in der ganzen Stadt

Die in der BWA versammelte baptistische Mehrheit kann Gründe finden, Aspekte der in Rußland geführten Missionsarbeit der IMB kritisch zu durchleuchten. Dabei müßte man sich jedoch über die Größenverhältnisse im klaren sein. Mit ihren 5.400 Missionaren weltweit bildet die IMB die größte protestantische Missionsgesellschaft auf dem Globus. Ihr Budget für das Jahr 2007 belief sich auf $165 Millionen. Die bereits erwähnte CBF unterstützt 163 Missionaren in Übersee mit einem jährlichen Missionsbudget von $6 Millionen. Die „American Baptist Churches“ (ABC), die ebenfalls aus der Spaltung von 1845 hervorgingen, hatten 2002 150 Missionare im Ausland.

 

Die IMB verfügt über 20 missionarische Teams quer durch Rußland. Die Zahl der längerfristig-tätigen IMB-Missionare in Rußland bewegt sich knapp unter 100. Obwohl Mitglieder der American Baptist Churches an Missionspro­jekten – und am Moskauer Seminar – beteiligt sind, verfügen weder sie noch die CBF über in Rußland wohnende, ausländische Mitarbeiter. Bis Mai werden bereits drei Gruppen kurzfristiger Missionare im laufenden Jahr Rußland besucht haben – eine Besuchsdichte, die unter Baptisten ihresgleichen sucht. (Die ebenfalls sehr aktive „Slavic Gospel Association“ ist eine überkonfessionelle Mission.) Wenn es sich um Vision und den Aktivitätspegel westlicher Baptisten in Rußland handelt, bildet die IMB eine einsame Klasse für sich.

 

Eine optimale Lösung

Die Trauma des SBC-Abschieds von der BWA ist bei den kleinen Baptistenbünden Westeuropas längst nicht verdaut. Doch unter den Aussiedlern in Deutschland scheint die SBC ein festes Standbein zu etablieren. Eine Säule der Verbindungen nach USA bildet das vor allem von Aussiedlern besuchte Bibelseminar Bonn. In Zusammenarbeit mit ihm wird vom 21. bis 24. Mai eine Predigerkonferenz mit höchster südbaptistischer Besetzung stattfinden. Neben Paige Patterson und Morris Chapman wird auch der ehemalige SBC-Präsident Bobby Welch dabei sein. Das weckt Ängste bei europäischen Baptisten, die SBC könnte sich um die Bildung einer neuen, alternativen Weltallianz bemühen oder zumindest den Abstand zwischen Aussiedlern und den in Deutschland geborenen Baptisten vergrößern.

 

Wenn sich die Führung der SBC zur Hinnahme einer größeren Vielfalt durchringen und neue Formen der kirchlichen Einheit entwickeln könnte; wäre der Konkurrenzverdacht bald belanglos. Die innerkirchlichen Streitereien und Spaltungen, die in USA gang und gäbe sind, sind eine „Luxuserscheinung“, die sich die kleinen und verarmten Evangelikalen Europas nicht leisten können. Die Baptisten sind existentiell aufeinander angewiesen. Die Arbeiter im Weingarten sind wahrhaftig gering.

 

Dr. William Yoder

Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB

Moskau, den 17. April 2008

 

Dieser Bericht will informieren und erhebt auf keinen Fall den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Meinung der RUECB-Leitung zu vertreten. Um Erlaubnis vor der Weiterveröffentlichung wird gebeten. Meldung Nr. 08-16, 1.760 Wörter.

 

Anmerkung im Januar 2021: Bereits vor 13 Jahren schrieb man, daß sich "das Tor nach Rußland schließe". Zweifellos ist das IMB weiterhin in Rußland tätig; es ist jedoch bemüht, wenig aufzufallen. Ed Tarleton ist seit 2018 leitender Pastor der "International Baptist Church of Budapest". Die Zusammenarbeit der Südbaptisten mit dem "Bibelseminar Bonn" bleibt stark.