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Smirnow neuer Präsident der russischen Baptisten

Die Entscheidung ist gefallen

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Alexei Smirnow neuer Präsident der russischen Baptisten

 

M o s k a u – Endlich ist es offiziell: Beim 33. Kongreß der Russischen Union der Evangeliumschri­sten-Baptisten (RUECB) In Moskau am 24. März wurde Pastor Alexei Smirnow als Nachfolger von Juri Sipko zum Präsidenten gewählt. Dabei erhielt Smirnow bei 71 Gegenstimmen ein „Ja“ von 326 der insgesamt 432 Delegierten (75%). Bei einer hitzigen Debatte unmittelbar vor der Abstimmung war es vor allem um zwei Bedenken gegangen: die Aufstellung eines einzigen Kandidaten durch den Unionsrat sowie die Tatsache, daß Smirnow in weiten Kreisen der RUECB unbekannt sei.

 

Smirnows Bekanntheitsgrad hängt damit zusammen, daß er lange in der kleinen, 17-Gemeinde-starken „Assoziation der Brüdergemeinden“ (ABC), die ihren Sitz in Dedowsk am westlichen Stadtrand von Moskau hat, diente. Diese Kirche entstand aus der nichtregistrierten Untergrund­bewegung der Baptisten, die sich 1961 vom offiziellen „All-Unionsrat der Evangeliumschristen-Baptisten“ abspaltete. Smirnows Vater gehörte zu den vielen Gläubigen, die danach zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Nach Schilderungen aus der ABC wurde die Dedowsker Gemeinschaft 30 Jahre später aus der Bewegung der Nichtregistrierten gedrängt, nachdem sie sich der Evangelisation und der Pflege zwischenkirchlicher Beziehungen zugewandt hatte. Die Gemeindegründungsbemühungen der ABC reichten danach bis „Rutschejok“, zu einem Kinderlager westlich von Dedowsk, das sie selbst ins Leben rief. Dieses Lager machte Schlagzeilen, nachdem es von repressiven Staatsmaßnahmen während und nach der nationalen Zusammenkunft der RUECB dort im August 2008 heimgesucht worden war. Dort wurde auch im April 2003 die Russische Evangelische Allianz ins Leben gerufen. Trotz seines Namens ist die ABC nicht in der historischen, westeuropäischen Bewegung der Brüdergemeinden verwurzelt.

 

Obgleich formell außerhalb der Rahmen der RUECB, ließe sich die ABC als ihre engste Verbündete bezeichnen. Die ABC gehörte zu den Gründungsmitgliedern des 2006 geschaffenen „Öffentlichen Rates“, eines losen Dachverbandes von 10 Kirchenbünden baptistischer Tradition. Smirnow fungierte seit Februar 2009 als deren Leiter. Im November 2006 war Smirnow als Leiter der neugeschaffenen Pastorenabteilung der RUECB in deren Moskauer Bundeszentrale geholt worden. Diese Abteilung hat kürzlich innovative Programme zur seelsorgerlichen Betreuung von Pastoren, die in persönliche Krisen geraten sind, gestartet.

 

Aleksei Smirnow, geboren in Dedowsk am 24. Mai 1955, ist ein gelernter Autoschlosser. Seine theologische Ausbildung beschränkt sich im wesentlichen auf Fernkurse, die vom Moskauer Bibelinstitut der Baptisten angeboten wurden. Juri Sipko und er sind beide Autodidakten und sind nur der russischen Sprache mächtig. In einem Gespräch auf dem Moskauer Kongreß versicherte Inna Nikolajewna Smirnowa, seine Ehefrau seit 32 Jahren, daß ihr Mann lernbegierig sei. Es seien die Repressionen der Sowjetära sowie die Pflichten eines Familienvaters, die ihn von einer formalen theologischen Ausbildung abhielten. Das Paar hat sechs Söhne im Alter zwischen 17 und 31 Jahren.

 

Bezüglich der Frage der Demokratie: Bei der letzten Moskauer Sitzung des Unionsrates am 19. November war entscheiden worden, daß er nur Smirnow als Nachfolger von Sipko vorschlagen würde. Einige Wochen danach tauchte im Internet die Frage nach einer demokratischen Verfahrensweise auf. Kürzlich ermahnte in einem Internet-Forum der Ukrainer Sergei Rakhuba, der in Chicago beheimatete Leitender Vizepräsident der „Peter Deyneka Russian Ministries“, den Unionsrat wegen seines Demokratiedefizits. Er räumte dabei ein, daß Smirnow ein durchaus würdiger Kandidat sei: „Doch die bewußte Ablehnung einer alternativen Vorgehensweise bei den Wahlen wird das System davon abhalten, einen mutigen und strategisch wichtigen Schritt in Richtung einer progressiven, künftigen Entwicklung zu tun.“ Bei den Minsker Wahlen am 20. März zur Bestimmung eines neuen Präsidenten der Baptistenunion von Belarus war den Delegierten zwei Kandidaten vorgestellt worden.

 

Der Unionsrat tagt zweimal jährlich und besteht aus den 57 regionalen Superintendenten (auch „Bischöfe“ genannt) der Union. Der Kongreß, bei dem sich dieses Mal rund 800 Teilnehmer im Moskauer Hotel Ismailowo versammelten, trifft sich nur alle vier Jahre, um den gesamten Vorstand der Union zu wählen und wichtige Fragen zu erörtern.

 

Weitere Mitglieder der Mannschaft

Nur wenige Stunden nach der Wahl von Smirnow wurde Ewgeni Jurewitsch Bakhmutski neuer Leitender Vizepräsident der RUECB. Der 33-jährige Bakhmutski, der in Kemerowo/Sibirien aufwuchs und eine Ausbildung als Ökonom und Manager genießt, absolvierte das baptistische Seminar in Akademgorodok bei Nowosibirsk. Er hat in den letzten sieben Jahren das Jugendprogramm der Union erfolgreich geführt. Er löst nun Dr. Peter Mitskewitsch als Leitenden Vizepräsidenten ab. Mitskewitsch, Rektor des „Moskauer Theologieseminars“, und Ruwim Woloschin, Missionsleiter der Union, bleiben weiterhin Vizepräsidenten. Alle drei Vizepräsidenten wurden ohne Gegenkandidaten gewählt bzw. wiedergewählt.

 

Bakhmutski arbeitet eng mit der in Illinois beheimateten “Slavic Gospel Association” (SGA), die seit 1997 als den offiziellen Vertreter der RUECB im englischsprachigen Raum fungiert, zusammen. Er ist auch Leitender Pastor der neugegründeten „Russischen Bibelkirche“. Diese Initiative, die sich vorerst in der Moskauer Bundeszentrale versammelt, ist ein Ausdruck des Bemühens mehrerer baptistischer Leiter, Gemeinden zu gründen, die auf das „kulturelle Gepäck“ des russischen Baptismus herkömmlicher Art verzichten. Innerhalb einer protestantischen Subkultur fühlen sich Menschen säkularer oder orthodoxer Herkunft in der Regel unwohl. Der Übergang der Baptisten zu einer eher städtischen und akademischen Orientierung schafft nun unweigerlich einen gewissen Abstand zwischen den Generationen.

 

In Nordamerika nutzen vor allem Gemeinden fundamentalistischer und selbständiger Ausrichtung den Namen „Bible Church“. Viele von ihnen gehören Organisationen wie der “Independent Fundamental Churches of America” (IFCA International) an. Zu den offiziellen Partnern der IFCA gehören die SGA und RUECB (siehe “www.ifca.org”).

 

Die Zukunft

Ein Redner am Anfang des Kongresses am 23. März berichtete von den Ängsten einheimischer Baptisten vor einer Fremdbestimmung nach Öffnung der Schleusen im Jahre 1991. Später am Abend verkündeten mehrere Redner, die Gefahr einer theologischen Fremdbestimmung durch ausländische Kräfte sei erfolgreich abgewiesen worden. Die erfolgreiche theologische Abwehr wurde auch von einem nordamerikanischen Kalvinisten verkündet – vom Sprecher einer theologischen Ausrichtung, die vor 1991 niemals in der russischen Baptistenbewegung beheimatet war.

 

In seiner knappen Abschlußpredigt zwei Tage später erzählte Alexei Smirnow von den Kindern Israels, die ohne klare Zielvorgabe in der Wüste umherirrten. Es wurde durch weitere Äußerungen klar, daß er darum bemüht sein wird, der Union eine verstärkte öffentliche Präsenz zu vermitteln. „Wir müssen auf die Schaffung gesunder evangeliums-baptistischer Gemeinden zielen,“ sagte er in einem Interview. „Solche Gemeinden werden die Gesellschaft beeinflussen können. Gemeinden sollten sich als Gottes Segen für die Gesellschaft verstehen.“

 

Juri Sipko, der acht Jahre lang als Unionspräsident diente und die acht Jahre zuvor als Vizepräsident verbracht hatte, war als begnadeter Redner und kommunikativer Mensch bekannt. Seine temperamentvollen und auch mutigen Äußerungen zum Staat und zur Gesellschaft erregten Aufmerksamkeit. Beobachter gehen davon aus, Präsident Smirnow werde verstärkt auf eine Teamorientierung zielen. In einem Interview nach seiner Wahl sagte er: „Ich meine, unsere Haltung in den Beziehungen zum Staat und zu allen anderen auswärtigen Kräften muß durch eine Mannschaft von leitenden Personen bestimmt werden.“ Sipko entschuldigte sich am Ende seines weitausholenden Rechenschaftsberichts am ersten Abend für seinen mangelnden Ordnungssinn. Smirnow, der einen leiseren und vorsichtigeren Ton trifft, wird als exzellenten Manager und Strategen angesehen. Die künftige Funktion Sipkos ist noch nicht öffentlich bekannt – im Februar wurde er 57Jahre alt.

 

Zu den mehr als 250 Gästen zählten bekannte Vertreter der russisch-baptistischen Diaspora im Nordwesten der USA. Einer von ihnen war Juri Sipkos ältester Bruder: Alexander. In Deutschland ansässige Aussiedler fielen kaum auf. Die größte Delegation aus Westeuropa stellte die sechsköpfige Gruppe des deutschen „Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden“, angeführt von Bundespräsident Hartmut Riemenschneider (Marl). David Coffey (Didcot/England), Präsident des Baptistischen Weltbundes, und Tony Peck, Generalsekretär der in Prag ansässigen Europäischen Baptistischen Föderation, waren ebenfalls zugegen.

 

Die RUECB, die größte einheitliche, protestantische Kirche Rußlands, vertritt etwa 78.000 erwachsene Mitglieder in 1.750 Ortsgemeinden und Gruppen.

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 28. März 2010
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz

 

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