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Pfingstler unterstützen Gemeinden in Donbass

Es wird wieder gut

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Reportage aus einer engagierten Pfingstgemeinde in Pensa

 

M o s k a u – Das Foto der beiden Geistlichen der Pfingstgemeinde „Lebendiger Glaube“ in Pensa (Bischof Oleg Serow und Pastor Sergei Kirejew) mit Igor Plotnizki, dem Ministerpräsidenten der Lugansker Volksrepublik, sorgte in der Groß-Ukraine für Furore. Ein Ukrainer in USA verglich das Treffen mit einem hypothetischen Empfang für tschetschenische Terroristen nach dem Abschlachten von 331 Kindern und Erwachsenen in Beslan 2004! Anlaß dafür war ein Privatbesuch des Politikers in dieser Stadt westlich der Wolga am 5. März. (Wir berichteten am 21. April.)                     

 

„Was soll daran schlecht gewesen sein?“ fragte Pastor Kirejew bei meinem Besuch am 14. Juni. „Wir lesen doch in der Bibel und wissen, daß sich der Apostel Paulus mit dem römischen Tyrannen Nero traf. Paulus wollte den Kaiser auf den Glauben hin ansprechen und ihm die Haltung der Christen erläutern. Wäre es erforderlich, würden wir uns auch mit einem Hitler treffen. Doch Plotnizki ist weder Nero noch Hitler. Er ist vielmehr das verfassungsmäßig gewählte Oberhaupt seines Gebietes. Seine Funktion ist bestimmt nicht weniger gesetzeskonform als jene der Regierung, die aus dem Maidan hervorging.“

 

Obwohl Plotnizki einst Verwalter einer Lugansker Pfingstgemeinde war, hatten diese beiden Pastoren ihn nicht vorher gekannt. Sie waren auch nur zur Begegnung im Pensaer „Klub der Afghanistanveteranen“ eingeladen worden, weil sie durch ihr humanitäres Engagement für die Menschen im und aus dem Donbass einen guten Ruf erworben hatten. Pensa versorgt rund 15.000 Flüchtlinge aus diesem Gebiet.

 

Kirejew berichtete: „Bis zu diesem Treffen wußten wir nichts über Plotnizkis Beziehungen zum Glauben. Doch er sagte uns, er und seine Frau seien lange Zeit den Protestanten ‚sehr nahe’ gewesen. Es war offenkundig, daß er die Bibel kennt; bei den geistlichen Themen konnte er voll mithalten. Ich kann aber nicht bestätigen, daß er sich jetzt als Protestant versteht.“ Oleg Serow fügte hinzu: „Er beeindruckte uns als ein echter und sehr ehrlicher Mensch. Er setzt sich dafür ein, daß die Menschen in der Lugansker Republik ein glückliches Leben führen können.“ Inzwischen wird in der Groß-Ukraine gespöttelt, Plotnizki wolle sich zum zweiten Turtschinow (ein führender, baptistischer Politiker in Kiew) aufspielen.

 

Zu Plotnizki haben die Pensaer Pfingstler weiterhin keinen engen Kontakt. „Hinterher haben wir ihm zusätzliche Fotos geschickt“, hieß es. „Doch ob er sie tatsächlich zu sehen bekommen hat, wissen wir nicht.“

 

Es wird jedoch behauptet, Igor Plotnizki sei ein korrupter Kriegsgewinnler. Darauf erwiderte Serow: „Darüber weiß ich nichts. Doch das offene Gespräch darüber zeigt schon, daß es in dieser Volksrepublik Demokratie gibt.“

 

Sergei Kirejew resümierte: „Wir wollten bei dem Gespräch deutlich machen, daß wir Protestanten keine Opposition und keine fünfte Kolonne sind, daß wir beim Wiederaufbau behilflich sein wollen. Das Buch, das wir ihm schenkten, soll belegen, daß die Protestanten eine positive Kraft sind.“ Kirejew räumte jedoch ein, daß die nackten Fakten teilweise eine andere Sprache sprechen. Viele ordinierte Protestanten haben sehr zeitig ihre Gemeinden im Donbass verlassen: „Viele Gemeinden sind heute ohne Pastoren - das ist unsere große Schande.“

 

Zu den Repressionen, die die im Donbass verbliebenen Protestanten ausgesetzt sind, meinte Pastor Kirejew: „Wer dort den Hungernden hilft und die Bedürftigen versorgt, wird vom Staat in keinerlei Weise behindert. Sie werden stattdessen zur Mitarbeit herangezogen. Wer aber eine Pro-Maidan-Position bezieht, soll mit Schwierigkeiten rechnen. Das sind aber keine religiösen Fragen, sondern politische. Unsere Aufgabe besteht darin, der Gesellschaft zu verdeutlichen, daß nicht alle Protestanten den Maidan unterstützen. In der (Groß)Ukraine behaupten Pastoren, auch in Rußland würden die Protestanten den Maidan gutheißen, doch das stimmt nicht. In der Welt überhaupt vertritt eine gewaltige Anzahl von Protestanten eine anti-revolutionäre Position.“

 

Wie unter russischen Protestanten üblich, treten die Pensaer Pfingstler für den evolutionären Wandel ein. Kirejew versicherte: „Wir sehen im Maidan ein gewaltiges Übel, denn wir kennen die Folgen von Revolution: Bürgerkrieg und Intervention. Genauso ist es damals nach 1917 abgelaufen. Sehen wir uns die Folgen der französischen Revolution an – ein Ergebnis war die Diktatur. Revolution ist kein Weg; alles muß sich in einer natürlichen Art und Weise im Rahmen des vorhandenen Gesetzes abspielen. Rebellion und Meuterei säen Wind und ernten den Sturm. Revolutionen bedeuten Tod und Krieg – deshalb sind wir russische Protestanten dagegen.“

 

In der Regel deuten die Protestanten der Groß-Ukraine die Auseinandersetzung im Lande nicht als Bürgerkrieg, sondern als Angriff Rußlands auf die Ukraine. Darauf erwiderte der Pastor: „Es ist sehr bequem, so zu reden wie die eigene Staatsmacht es wünscht. Wer in der (Groß)Ukraine behaupten will, daß es sich um einen Bürgerkrieg handelt, darf um sein Leben fürchten. Wie viele Journalisten sind dort bereits umgekommen? Dort gibt es die Freiheit des Wortes nicht.“ Kommentar des Verfassers: Genau diesen Vorwurf gibt es auch in umgekehrter Richtung.

 

Die etwa 150 Mitglieder starke Gemeinde „Lebendiger Glaube“ verfügt in der Tat über ein hervorragendes Verhältnis zu den kommunalen Behörden. Kirejew wies darauf hin, daß die vor rund 10 Jahren eingeführte Stadtfahne das frontale, ikonenhafte Gesicht Jesu zeigt. Es fehlt allerdings der runde, glorienscheinartige Hintergrund, der bei den Fahnen etwa im Donbass üblich ist. (Siehe die beiden Fotos.) „Das Fehlen dieses Hintergrundes ist uns zu verdanken“, versicherte der Pastor. „Die Stadt wollte uns entgegenkommen.“ Er fuhr fort: „Als wir 1997 mit der Gemeinde anfingen, waren wir unerfahren und machten viele Fehler. Wir predigten gegen die Orthodoxen. Doch inzwischen haben wir dazugelernt. Bei einem Pressegespräch der Stadt vor kurzem, bei dem auch wir vertreten waren, fragten Journalisten einen orthodoxen Priester, ob wir seine ‚Brüder in Christo‘ seien. Er hat die Frage bejaht.“

 

Auf den Hinweis, daß in der Ukraine sogar die Zeugen Jehovas frei auf der Straße missionieren dürften, erwiderte Bischof Serow: „Und in Pensa dürfen wir frei auf der Straße missionieren.“

 

Die Hoffnungen für die Zukunft

Hinsichtlich der Zukunft legen die Pastoren Serow und Kirejew ein hohes Maß an Optimismus an den Tag. Sie sagen, sie wollen niemandem den Weg zur Buße versperren, sie rechnen schon jetzt mit dem Wiederaufbau des Landes. „Die Gemeinschaft unter Christen ist immer möglich, wenn sie vom Geiste Christi – und nicht etwa vom Geiste des Maidan – getragen ist. Politik kann die wahren Christen nicht voneinander trennen: der christliche Glaube vereint. Echte Christen haben hervorragende Beziehungen zu Menschen in der Ukraine.“ Nach ihren Angaben bleiben die Beziehungen zu Freunden und Unterstützern in den USA von den politischen Auseinandersetzungen unberührt. Es hieß: „Sie verstehen es, zwischen Glauben und Politik zu unterscheiden.“

 

Kirejew ist überzeugt, daß die gegenwärtige Distanz zwischen den Gläubigen Rußlands und der Groß-Ukraine nur von zeitlicher Dauer sei. „Es wird sich noch zeigen, wessen Geist wir sind und wer wirklich als Friedensstifter fungiert. Alles, was im Verborgenen liegt, wird Gott erhellen. Alles stellt sich wieder her. Wir müssen nur abwarten.“

 

Dabei erwähnte er das Beispiel eines ukrainischen Redakteurs im westlichen Ausland, mit dem er jahrelang zusammengearbeitet hatte. Nach dem Maidan hatte er Kirejew mitgeteilt, daß er den Kontakt abbrechen werde. „Doch nach acht Monaten meldete er sich wieder und entschuldigte sich. Jetzt arbeiten wir wieder zusammen.“ Er versicherte: „Christen unterscheiden sich von anderen darin, daß sie sich auch in politischen Fragen schneller verständigen und aussöhnen können.“

 

Die Gemeinde „Lebendiger Glaube“ gehört der „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSChWE) an. Deren leitender Bischof, der Moskauer Sergei Rjachowski, ist dafür bekannt, sich besonders engagiert um gute Beziehungen zu den politisch Mächtigen in Rußland zu bemühen.

 

Nach den Angaben von Kirejew und Serow verfügten vor einem Vierteljahrhundert die Pensaer Gemeinden der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ noch über 1.000 Mitglieder. Inzwischen ist ihre Zahl auf rund 100 zurückgegangen.

 

Dr. phil. William Yoder
Smolensk, den 27. Juni 2015

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