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Chinesische Journalisten in Moskau

39,7 Millionen – nicht 200 Millionen

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Bericht über den Moskauer Besuch chinesischer Journalisten

 

M o s k a u – Die Evangelikalen aus den USA und Rußland haben etwas gemein: Beide verstehen die chinesische Kirche als verfolgt und rasant wachsend. Doch nach den Ausführungen von zwei jungen Journalisten, die Mitte Dezember Moskau auf Einladung der Russischen Evangelischen Allianz besuchten, sind beide Einschätzungen eher falsch. Während westliche Beobachter von bis zu 200 Millionen Gläubigen sprechen, berichtete der englischsprachige Nachrichtendienst dieser beiden Journalisten, die „China Christian Daily“, von nicht mehr als 39,7 Millionen Christen (siehe “chinachristiandaily.com” vom 1. November). Die CCD wies dabei auf die Angaben des Professors Lu Yunfeng von der Bejinger Universität hin, doch diese bescheidene Zahl wird nicht von allen Chinesen akzeptiert. (Die Zahl der Christen zum Zeitpunkt der Gründung der Volksrepublik 1949 wird mit vier Millionen angegeben.) Die Journalisten, beide Mitglieder von nichtregistrierten, calvinistischen Gemeinden, beschrieben die gegenwärtigen Wachstumsraten als stagnierend; andere sprechen sogar von „negativem Wachstum“ nach dem Aufschwung in den 1980er und 1990er Jahren. Die CCD berichtet von Gemeinden vor allem in ländlichen Gegenden, die verschlossen und nichteinladend wirken. Dieser Nachrichtendienst, der seine Hauptbüros in Beijing und Schanghai hat, schreibt über registrierte wie nichtregistrierte Gemeinden.

 

In Moskau reagierten die beiden Gäste mit Bestürzung auf die häufigen Fragen bezüglich der Verfolgung chinesischer Christen. Solche Vorfälle werten sie als kleinen Ausschnitt aus einer sehr viel größeren Wirklichkeit. Gewaltige Kirchenbauten in Großstädten und das staatlich-gesponserte Seminar in Nanjing weisen auf eine viel kompliziertere Realität hin. (Dieses Seminar der Drei-Selbst-Bewegung mag sehr wohl über das schönste und imposanteste, kirchliche Campusgelände in ganz Ostasien verfügen.) Der Frust der Gäste ist verständlich für jene russischen Christen, die auch ihre Wirklichkeit nicht auf das Schließen von Kirchen und die repressiven Jarowaja-Gesetze von 2016 reduzieren wollen.

 

Die Gäste verwarfen die Vorstellung, daß Gemeinden innerhalb der offiziellen Drei-Selbst-Bewegung und ihres Christenrats (“China Christian Council” - CCC) von vornherein staatshörig wären. Überschneidungen mit nichtregistrierten Gemeinden sind durchaus gegeben. „Der CCC verfügt ebenfalls über zutiefst geistliche Gemeinden. Wir kennen welche.“

 

Auf seiner Webseite zeigt dieser unabhängige Informationsdienst ein Ausmaß an Freimut, der in Rußland oder dem Westen recht selten ist. Ein Beitrag führt die Schließung einer Gemeinde auf die Weigerung ihrer Mitglieder hin, die Kommunalsteuern zu entrichten. In bestimmten Fällen wird die Verfolgung von Pastoren auf deren bewußte politische Aktivitäten oder Äußerungen zurückgeführt. Auf solche Details hinzuweisen zieht oftmals den Vorwurf nach sich, der Berichterstatter würde Partei für den „Unterdrücker“ auf Kosten des „Opfers“ ergreifen.

 

Die sehr ähnlichen und lückenhaften Informationen über das Leben der chinesischen Kirchen in Rußland und dem Westen lassen sich darauf zurückführen, daß sie aus denselben Quellen stammen. Die Berichterstattung von Missionsgesellschaften wird häufig von den Vorstellungen und Erwartungen der eigenen, westlichen Leserschaft bestimmt.

 

Ein erhebliches kulturelles Gefälle trennt die fernöstlichen Völker von den europäisch orientierten Russen. Die Emigrationswellen russischer Protestanten in den letzten 150 Jahren sind nicht zufällig im kulturellen Westen geendet. Es bleibt dennoch klar, daß eine direkte Kooperation zwischen christlichen Organisationen in China und Rußland – ohne den Umweg über Nordamerika - jetzt politisch opportun ist. Es wäre sinnvoll, die gegenwärtigen Möglichkeiten auszunutzen. Noch ist der direkte Informationsaustausch zwischen den Kirchen in Rußland und China nicht vom Fleck gekommen – ein Hauptgrund eben für den gerade stattgefundenen Besuch.

 

Chinesische Gemeinden in Rußland könnten sehr wohl als Brücke zwischen diesen beiden Nachbarn fungieren. Eine Keller-Gemeinde im Süden Moskaus berichtet von 500 Teilnehmern – manche von ihnen gehören auch eindeutig der Mittelklasse an. Sie arbeitet unter dem Schirm der traditionell-pfingstlerischen „Russischen Kirche der Christen evangelischen Glaubens“. Die leitende Pastorin erzählte, daß ihre Gemeinde einem Netz von 20 ähnlichen Gemeinden quer durch Rußland angehört.

 

Nachwort: Das positive Ergebnis eines äußerst traurigen Ereignisses

Vor etwa einem Jahrzehnt wurde die russische Gesellschaft von den Novellen der Beverly Lewis heimgesucht: Sie berichten von Geklatsche und Skandal unter der Glaubensgemeinschaft der Amischen. Die Berichterstattung über die Amischen hat sich aber in China völlig anders entwickelt. Die beiden Journalisten erzählten vom Film „Amish Grace“, der 2010 in den USA herauskam und bei Millionen von Chinesen einen bleibenden Eindruck hinterließ. Der Film, bekannt unter dem Namen „Wie auch wir vergeben“ in Deutschland, berichtet von der Reaktion der Amischen auf die Erschießung von fünf und die gravierende Verletzung von fünf weiterer Kindern in einer amischen Schule in Nickel Mines/Pennsylvania am 2. Oktober 2006. Alle Opfer waren Mädchen im Alter zwischen sechs und 13 Jahren. Der Täter, Charles Roberts IV, beging noch in der Schule Selbstmord. Die Amischen vergaben der Witwe des Mörders sofort, und einer von ihnen tröstete den bitterlich weinenden Vater. Die Witwe wurde zu einer der Beerdigungen eingeladen. Die Amischen sammelten sogar Geld für die Familie des Mörders. Sie waren um das Wohlergehen aller Betroffenen besorgt.

 

Fazit: Es sind oft nicht jene Christen mit den besten TV-Shows oder den meisten Privat-Jets, die globale Aufmerksamkeit erregen. Die effektivsten Missionare sind vielleicht gerade jene, die es gar nicht werden wollen. Es kommt auf die persönliche Glaubwürdigkeit an.

 

Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 30
. December 201

 

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