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Ist der neue ukrainische Präsident ein Hoffnungsträger?

Ist der neue ukrainische Präsident ein Hoffnungsträger?
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Über Selenski vertreten Protestanten geteilte Auffassungen

 

M o s k a u – Seit der Einführung von Wolodymyr Selenski, dem neuen ukrainischen Präsidenten, am 20. Mai, taut das eisige Verhältnis zwischen den Protestanten von Rußland und der Ukraine ein wenig auf. Es war ein Durchbruch am 25. Juli, als Sergei Rjachowski, dem Leitenden Bischof der „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSChWE) auf dem Youtube-Kanal von Sergei Demidowitsch auftrat. Demidowitsch, ein bekannter Pfingstpastor und Talkshow-Gastgeber in der Frontstadt Slawiansk, gilt als relativ militant auf dem Gebiet der ukrainischen Außenpolitik.

 

Sechs Tage später erschien Rjachowski ein zweites Mal in sozialen Netzwerk, diesmal bei Witali Wosniuk, einem Pfingstbischof in Kiew. Nach Wosniuk sollten Christen „die ersten sein, die sich in schwierigen Zeiten die Hände reichen“. Ganz im Sinne der russischen Auffassung fügte er hinzu, daß „die Kirche ihrer Berufung gerecht werden sollte – nicht der Politik“. Unmittelbar nach Einführung des neuen ukrainischen Präsidenten im Mai, hatte die russische ROSChWE eine außerordentliche Arbeitsgruppe gebildet mit dem Ziel, „Beziehungen zwischen den evangelischen Kirchen in Rußland und der Ukraine wiederherzustellen“.

 

Nach einer Begegnung mit Selenski am 30. September, hatte der Pfingstler Peter Dudnik, ein leitender Mitarbeiter bei humanitären Vorhaben in Slawiansk, in herzlichen Tönen über den neuen Präsidenten berichtet. Anlaß hierfür war ein Empfang Selenskis am nationalen Tag der Waisen. Auffällig wurde der politisch militante Pastor Gennadi Mochnenko durch seine Abwesenheit. Er ist der bekannteste Verfechter der ukrainischen Bewegung zur Unterstützung von Waisen. Der baptistische Politiker Pawlo (bzw. Pawel) Ungurjan, der für seine Bemühungen in sozialen und familiären Fragen bekannt ist, blieb dem Ereignis ebenfalls fern.

 

Die Friedenszeichen bleiben mehrdeutig. Die prowestlichen Evangelikalen der Ukraine hatten sich stark für den unterlegenen Petro Poroschenko eingesetzt. Sie sind seitdem bei Aufmärschen gegen die „Steinmeier Formel“ des gegenwärtigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier gesichtet worden. Diese Stellungnahme, die für eine wiedervereinigte, föderalisierte Ukraine plädiert, war von Selenski am 1. Oktober unterzeichnet worden. Neben Mochnenko bleiben der Pfingstpastor Alexander Boitschenko (Odessa) und Antila Pilgrimow (Minsk/Belarus) evangelische Gegner des von Selenski angestrebten Verhandlungsfriedens im Donbass.

 

Auf Facebook verglich Pilgrimow Poroschenkos verheerende Niederlage mit der Bevölkerung von Kelia (1. Samuel 23). Obwohl David die Stadt erfolgreich gegen den philistinischen Gegner verteidigt hatte, votierte die Stadt später für den König Saul und dies auf Kosten des Stadtretters. In gleicher Weise hatten Ukrainer dem Retter der Nation, Petro Poroschenko, den Garaus gemacht. Obgleich Poroschenko die ukrainische Armee wiederaufgebaut und die Nation gegen den „russisch-orthodoxen Aggressor“ verteidigt hatte, hatte die Landesbevölkerung deren obersten Soldaten verraten und mit einer Niederlage gegen einen TV-Komiker und Emporkömmling gedankt. 

 

An anderer Stelle sagte der Hardliner Pilgrimow voraus, daß die “russischsprachigen (ukrainischen) Parlamentarier mit gefälschten Diplomen der Lubjanka“ irgendwann liquidiert oder in den Untergrund von Rostow-am Don“ vertrieben werden würden.

 

Bedauerlicherweise befindet sich der russisch-ukrainische Baptist und Akademiker Michail Tscherenkow nicht auf dem “Peace Train” (Cat Stevens). Auf Facebook wiederholte er am 23. November die höchst anfechtbare Behauptung, daß „Millionen von Menschen langsam, still und erbarmungslos ‚verhungert worden sind’ ausschließlich, weil sie Ukrainer gewesen sind. Holodomor, ein von Sowjet-Rußland unterschlagenes Genozid, erinnert die Welt daran, daß sich derartige Greueltaten niemals wiederholen dürfen.“ Dieser Beitrag befand sich neben der Laudatio auf einen gefallenen ukrainischen Kämpfer der Gegenwart. Z.Zt. wohnhaft in den USA, verkehrt dieser an der Wolga aufgewachsene Baptist in auffallend starkem Maße mit einst pazifistischen Kreisen der Mennoniten-Brüder im Bundesstaat Kansas.

 

Ein Kommentar des Verfassers: Diese Aussagen von Evangelikalen sind nur ein Indiz dafür, daß Selenskis schier unmögliche Aufgabe darin besteht, die radikalen Nationalisten des Landes in die Schranken zu weisen. Ohne dies, bleiben die Aussichten auf Frieden im ukrainischen Osten gering. Ein Verhandlungsfrieden bleibt weiterhin der einzig gangbare Weg.

 

Evangelikale Aktivisten wie Pilgrimow, Mochnenko and Demidowitsch verfügen weiterhin über eine beachtliche Leserschaft in der Ukraine und in Belarus sowie in der nordamerikanischen und deutschen Diaspora. Alle drei haben jeweils rund 5.000 „Freunde“ auf Facebook. Dort hat Demidowitsch zusätzlich 16.439 eingetragene Leser (followers); Mochnenko, knapp über 25.000.

 

Obwohl Sergei Demidowtisch den Sergei Rjachowski auf seiner Talkshow auftreten ließ, hat Demidowitsch im privaten Gespräch wenig Interesse an einem weiteren Dialog mit dem russischen Bischof gezeigt. Sehr viel angenehmer für die ukrainische Seite wäre der russische Baptist Juri Sipko. Doch Sipko, dank seiner Pro-Kiewer-Haltung, verfügt über wenig Anhängerschaft auf russischem Boden.

 

Eine durchaus hilfreiche Quelle hinsichtlich des Wirkens der ukrainischen Orthodoxie ist Nikolai Petro, Professor an der Universität von Rhode Island/USA. Trotz Schaffung einer „einheitlichen“ orthodoxen Kirche unter der Obhut von Konstantinopel im Dezember 2018, verhält sich die Mehrheit der Gemeinden auf ukrainischem Boden weiterhin loyal gegenüber dem Moskauer Patriarchat. Siehe hierzu: “https://www.npetro.net/7.html”.

 

Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 4. Dezember 2019
Webseite „wyoder.de“

 

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