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Lutherische Gemeinde in Tschernjachowsk will überwintern

Gemeinde Tschernjachowsk: Bestens gerüstet für bessere Zeiten

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Eine lutherische Gemeinde im Gebiet Kaliningrad

 

L a d u s c h k i n -- In der evangelische-lutherischen Gemeinde von Tschernjachowsk (Insterburg) bekommt man den Duft der Urgemeinde mit. Dort versammeln sich auch ohne Gottesdienste zumeist ältere Frauen; die Gemeinde kommt ohne Pastor aus. Alle sind aus eigenem Antrieb dabei; keine(r) erhält ein Honorar für die geleisteten Dienste. Diese Frauen können es einfach nicht lassen, Gottes Wort zu hören und Gemeinschaft zu pflegen – auch wenn ihnen das Abhalten von Gottesdiensten seitens der Propstei formell untersagt ist. So hinterläßt die Versammlung den Eindruck überzeugender Echtheit.

 

„Wir sind wie eine Familie“, versicherte die Gemeindeleiterin Jelena Romanowna Flegel. „Wir treffen uns auch unter der Woche.“ Diese größtenteils aus Witwen bestehende „verschworene Gemeinschaft“ trifft sich seit Jahrzehnten. Die Gemeindeleiterin Jelena Flegel stellte fest: „Wir haben heute ein Kollektiv, das nirgendwohin auswandert.“

 

Zur Vergangenheit

Die Gemeinde Tschernjachowsk wurde 1992 gegründet; im Gemeindehaus – die Wohnung Nr. 10 in der Uliza Karla Marksa 8 - versammelt sie sich seit mehr als zwei Jahrzehnten. „Anfangs verfügten wir über eine große Gemeinde mit mindestens 70 festen Mitgliedern,“ erzählte Frau Flegel. „Bei Feststunden hatten wir mehr als 100 Besucher.“ Doch nach einer Auswanderungswelle befinden sich heute nur noch 30 Personen auf der Gemeindeliste; der Kern der Gemeinde besteht aus 15 Aktivist(inn)en.

 

Trotz mehrerer Anläufe ist es niemals gelungen, dieser Gemeinde mit einem „richtigen“ Gotteshaus auszustatten. Aus eigenen Mitteln kann sich die Gemeinde fast selbst erhalten – für Strom und Heizung kommt sie selber auf. Doch für den Ausbau von Aktivitäten bestehen keine Mittel. Das Wesentliche ist vorhanden, sagte Frau Flegel: eine Gemeinde und ein fester Versammlungsort. Nun geht es darum, bis zum Eintreffen besserer Zeiten durchzuhalten.

 

Lange hatte der landwirtschaftliche Experte Peter Brümmel die Gemeinde aufgesucht. Dr. Brümmel war im Rahmen der Initiative „Rat und Tat“ unterwegs, doch liegt sein letzter Besuch mehr als ein Jahr zurück. Dieser inzwischen hochbetagte Freund der Gemeinde wohnt in Horneburg unmittelbar vor den Toren Hamburgs.

 

Sehnsüchte

Offiziell ist der lutherische Pastor in Gusew (Gumbinnen), Aleksei Tschizhow (Алексей Чижов), auch für Tschernjachowsk zuständig. Der Kontakt beschränkt sich jedoch auf ein Mindestmaß. Der bewährte Pastor Wladimir Michelis ist in Tschernjachowsk wohnhaft; als Rentner ist er jedoch an anderen Orten kirchlich unterwegs.

 

„Wir sehnen uns nach einem Pastor“, versicherte die Gemeindeleiterin. „Ihm soll wichtig sein, wie wir beten. Er sollte Fragen an uns haben und sich für unser Leben interessieren. Er sollte Gottesdienste abhalten. Wir können uns schon jetzt gegenseitig unterstützen, doch einen solchen Helfer brauchen wir.“

 

Eine blühende Kinderarbeit ist ein weiterer Traum. Früher gab es Kinderscharen in der Gemeinde zu Ostern und zu Weihnachten. Im Dorf Dowatorowka (Leipeningken/Georgental) nur wenige Kilometer nordwestlich von Tschernjachowsk gibt es noch heute zahlreiche Kinder aus deutschstämmigen Familien. Obwohl die Orthodoxie schon jetzt Kinderarbeit betreibt, wollen die Lutheraner von Tschernjachowsk wegen der Pandemie vorerst keine Haftung für Minderjährige übernehmen. Deshalb ruht auch diese Arbeit.

 

Bei der Stadtverwaltung und dem emsigen Bürgermeister, Sergei Bulitschew, geht Jelena Flegel ein und aus. Da sie als Direktorin des Tourismus- und Infozentrums der Stadt engagiert ist, legt sie Wert auf eine Präsenz der Evangelischen bei feierlichen Anlässen. An staatlichen Feiertagen und etwa bei Gedenkstunden für Gefallene will sie den geistlichen Impuls nicht den orthodoxen und katholischen Würdenträgern überlassen. Sie war deshalb besonders dankbar dafür, daß der Kaliningrader Sergei Kiwenko 2019 einen solchen Anlaß wahrnehmen konnte.

 

Im Jahre 2017 war das 25-jährige Jubiläum der Gemeinde in der benachbarten, katholischen Sankt-Bruno-Kirche begangen worden. Propst Igor Ronge war erschienen; weltliche, katholische und lutherische Chöre traten auf. Der orthodoxe Bischof schickte sogar seinen eigenen patriarchalischen Chor. „Das hatte es vorher nie gegeben,“ schwärmt die Gemeindeleiterin. „Es war ein großes ökumenisches Fest. Die ganze Stadt war erschienen, um den Lutheranern zu gratulieren.“ Sie beschreibt weiterhin das Verhältnis zur orthodoxen und zur katholischen Kirche als hervorragend.

 

Kontakte

Beziehungen zu einer Partnergemeinde, der Sankt-Nicolai-Kirche in Oranienburg bei Berlin, bestehen. Der letzte Besuch aus Oranienburg fand im Juni 2019 statt.

 

Die 1966 geborene Jelena Flegel wuchs in der kasachischen Hauptstadt Selinograd (heute Nur Sultan) auf. Erst im Oktober 2012 siedelte sie ins Kaliningrader Gebiet um. Sie hat drei Kinder im Alter von 19 bis 28 Jahren. Der ältere Sohn sowie die Mutter wohnen noch immer in Kasachstan; ein weiterer Sohn und die Tochter sind bei ihr. Zahlreiche Verwandte wohnen seit Jahrzehnten in Deutschland.

 

Frau Flegel ist am besten über das Tourismus-Zentrum in der Uliza Pionerskaja 2 zu erreichen. Dort hat sie die Telefonnummer +7 991 383 0343, eMail: „elena.flegel(at)rambler(dot)ru“. Sie spricht Deutsch.

 

Dr. phil. William Yoder

Laduschkin, den 27. Januar 2021

 

Verfaßt für die Zeitschrift „Gemeinschaft evangelischer Ostpreußen“ (GeO). Dieser Aufsatz will informieren und erhebt nicht den Anspruch, die offizielle Meinung einer Organisation zu vertreten. Meldung 21-02, 723 Wörter.

 

Dieser Aufsatz erscheint nur auf Deutsch.