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Mennoniten und Quäker in der DDR

Die historischen Friedenskirchen in der DDR

 

Die Mennoniten

Die Mennonitengemeinde auf dem Territorium der heutigen DDR hat eine äußerst kurze Geschichte. Abgesehen vom Berliner Raum existierten vor 1945 zwischen Oder und Elbe keinerlei Mennonitengemeinden. Die sich in West-Berlin befindende Gemeinde ist 1887 im Zuge der deutschen Urbanisierungswelle entstanden; sie zählt heute 110 Mitglieder.

 

Unmittelbar nach der Gründung der ersten schweizerischen Täufergemeinde 1525 weitete sich die Bewegung nach Norddeutschland und Holland aus. Einer ihrer holländischen Führer war Menno Simons (1496 bis 1561), nach dem die Täufer ab 1545 im Volksmund benannt wurden. Schon ab 1530 siedelten im Zuge massiver Ketzerverfolgungen Tausende von holländischen Mennoniten nach Danzig und in die umliegenden polnischen Gebiete um. Die Landwirte unter ihnen machten früh von sich reden, nachdem sie die Niederungen um die Weichselmündung trockenlegten und ihre landwirtschaftliche Nutzung ermöglichten. Im Zeitraum von 1788 bis 1840 zogen 6.000 Mennoniten auf Einladung des russischen Staates in die Ukraine weiter; dennoch blieb der Danziger Raum eine der Hochburgen der deutschen Mennoniten. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zählten die ost- und westpreußischen Mennoniten rund 10.000 getaufte Mitglieder. Es gibt auf dem gesamten Globus etwa 600.000 Mennoniten.

 

Mennoniten in der SBZ/DDR (1945 bis 1961)

In den Jahren 1945 bis 47 siedelten beinahe sämtliche Mennoniten des Danziger Raumes in Gebiete westlich der Oder um. Die Mehrheit sammelte sich auf westdeutschem Gebiet; etwa 1.000 zogen weiter nach Uruguay und 300 nach Kanada. Einige schlugen dennoch in der damaligen SBZ Wurzeln; sie zählten Anfang der fünfziger Jahre rund 1.100 Gemeindeglieder.

 

In Ost- und Westpreußen sowie in der Ukraine hatten Mennoniten im Laufe der Jahre relativ geschlossene ethnische Gruppierungen gebildet, die ein ausgeprägtes Selbstbewußtsein und eigenständige Identität entwickelten. Nun befanden sich die Mennoniten in der DDR in einer ausgesprochenen Diasporasituation. Während der Gründungsjahre der DDR lebten sie in über 200 auf dem gesamten Territorium zerstreuten Ortschaften. Durch die Auflösung ihrer ethnischen Geschlossenheit erlitten die mennonitische Identität und ihr entsprechender kultureller Zusammenhalt einen empfindlichen Schlag. Einige DDR-Mennoniten schlossen sich evangelischen oder freikirchlichen Ortsgemeinden an; andere distanzierten sich von allen konfessionellen Bindungen oder wanderten in den Westen aus. Die Generationen der ersten Nachkriegsjahre fanden kaum den Anschluß zur Kirche ihrer Väter, die deshalb heute stark überaltert ist. Im Jahre 1960 zählten die Mennoniten in der DDR etwa 500 Mitglieder, heute sind es noch 260.

 

Die Entwicklungen seit 1961

Ein rechtliches Eingehen als Kirche auf die besondere DDR-Situation ließ bis 1961 auf sich warten. Erst nach dem August 1961 wurden Bemühungen unternommen, staatlich registriert zu werden, was 1962 auch gelang. Die Hauptrolle bei diesen Verhandlungen spielte Walter Jantzen. Jantzen ist gebürtiger Westpreuße und war in den Jahren 1949 bis zu seiner Pensionierung 1970 als Fuhrunternehmer im Berliner Raum tätig. Seit 1959 hat er sich als Laie, zusammen mit seiner Ehefrau Bertha Jantzen, stets mit großer Liebe und Hingabe seiner Gemeinde gewidmet.

 

Der erste Gottesdienst fand in der DDR im Dezember 1961 unter Leitung von Walter Jantzen statt. Seit jener Zeit werden monatliche Gottesdienste in den Räumen der evangelischen Pfingstkirche am Petersburger Platz (Ost-Berlin) abgehalten. Nach 1965 entwickelte Jantzen einen regen Besuchsdienst; er besuchte in regelmäßigen Abständen mennonitische Familien in der gesamten Republik. Damals fanden zwei- bis dreimal jährlich Gottesdienste in Halle, Erfurt, Torgau, Rostock, Schwerin und Potsdam statt, und zwar immer in den Räumlichkeiten anderer Konfessionen (die DDR-Mennoniten unterhalten keine Gebäude oder Einrichtungen).

 

Von 1969 bis 1970 diente der Baptist Peter Müller als zweiter Prediger der Mennoniten. Müller ist heute lutherischer Mitarbeiter in der Berliner Zentrale des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM) in der DDR. Von Anfang an bestanden Beziehungen zu mennonitischen Schwesternkirchen nicht nur in West-Berlin und der Bundesrepublik, sondern ebenfalls in Holland, Kanada und den USA.

 

Theologische Einordnung

Die heutige DDR-Gemeinde ist ökumenisch gesonnen. Sie ist unter anderem Mitglied der "Diakonischen Arbeitsgemeinschaft der Freikirchen" und der "Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen". Bei der "Christlichen Friedenskonferenz" genießt sie Gaststatus. Sie unterhält Beziehungen zur Goßner-Mission, insbesondere zu ihrem langjährigen Leiter Bruno Schottstädt. Doppelte Mitgliedschaften sowie die Kindertaufen von neuen evangelischen Mitgliedern werden anerkannt. Ihre gegenwärtige theologische Position kann als pietistisch bezeichnet werden, wobei sie sich keineswegs von theologisch anders gesonnenen Kreisen abgrenzen möchte.

 

Die deutschen Mennonitengemeinden blieben keineswegs von deutschnationalistischen Tendenzen verschont. Sie waren eine der Ursachen der offiziellen Distanzierung des norddeutschen mennonitischen Kirchenbundes 1934 von seinem historischen pazifistischen Standpunkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte eine pazifistische Überzeugung bei westdeutschen Mennoniten allmählich wieder. Gewiß aus ganz anderen Beweggründen  schrieb Walter Jantzen 1975: "Zur Erhaltung des Friedens sehen wir den Schwerpunkt mennonitischen Wirkens nicht nur in der Ablehnung des Waffentragens durch den einzelnen. Jeder soll aus eigenen Gewissensgründen selbst entscheiden. Wir betrachten es vielmehr als unsere höchste Aufgabe vom Evangelium her, bereits vorher alles zu tun, um einen Krieg zu vermeiden." Bisher nahmen keine DDR-Mennoniten die Option des Bausoldatendienstes in Anspruch; allerdings ist der betroffene Kreis auch von sehr bescheidener Größe.

 

Die heutige Lage

Der von der evangelischen Kirche freigestellte Pastor Knuth Hansen ist seit März 1980 als vollamtlicher Reiseprediger der Mennoniten tätig. Im Mai 1981 wurde er ebenfalls als Mitglied der Mennonitengemeinde aufgenommen und am 1.7.81 löste er Walter Jantzen offiziell als 1. Prediger der DDR-Mennoniten ab. Gegenwärtig hält Hansen monatliche Andachten in Berlin, Rostock, Halle und Dresden ab; die Besucherzahlen belaufen sich auf 20 bis 30 Personen. Er gibt einen monatlichen Gemeindebrief heraus. Trotz der Neubelebung des Gemeindelebens durch die Anstellung Knuth Hansens liefern die Zukunftsprognosen nur mäßigen Anlaß zum Optimismus. Der größte Teil des geringen Nachwuchses besteht aus deutschstämmigen Umsiedlern aus der Sowjetunion (etwa 20 erwachsene Umsiedler zählen sich bewußt zur DDR-Mennonitengemeinde). Nur ein erfolgreiches missionarisches Engagement könnte das zahlenmäßige Überleben dieser Kirche garantieren. Dies wird von der Tatsache beeinträchtigt, daß die Existenz- und Identitätsberechtigungen als Dauerfragen kaum zu bewältigen scheinen. In einer urbanisierten Umwelt nach Auflösung ihrer ethnischen Gruppierung bleiben mennonitische Kreise oftmals auf ihr täuferisches Erbe - vor allem ihr Friedensverständnis - zur Rechtfertigung der eigenen gesonderten Existenz angewiesen. In der DDR kann man aber kaum von einer spezifisch mennonitischen Theologie sprechen; es wäre dem Neubekehrten deshalb oftmals unklar, weshalb er sich den Mennoniten statt einer größeren frei- oder volkskirchlichen Gemeinde anschließen sollte. Angesichts ihrer beschränkten Mittel muß sich die Mennonitengemeinde auf die seelsorgerische Betreuung eigener Mitglieder konzentrieren. Es sind z.Zt. wenige, die in der Lage sind, inhaltlich spezifisch mennonitische Anliegen zu formulieren und zu propagieren.

 

Die langjährige Zentrale der Mennonitengemeinde befindet sich in der Schwedter Straße 262, DDR-1054 Berlin, Tel. 28 116 47.

 

Die Quäker

Die unter dem Namen "Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker)" bekannte Konfession wurde 1652 von dem Engländer George Fox (1624-1691) ins Leben gerufen. Obwohl diese Konfession - Quäker verzichten auf "Kirche" oder "Gemeinde" als eine Selbstbezeichnung - in ihrem Friedensengagement den anderen beiden historischen Friedenskirchen nicht nachsteht, entstammt sie einem völlig andersgearteten theologischen Hintergrund. Fox betonte das nicht genau definierbare "innere Licht" und eine Religion ohne Dogma. Die theologischen Ansichten von Freunden reichen also vom Unitarismus bis hin zum Pietismus. Sie lehnen weitgehend sämtliche Sakramente ab. Der ursprüngliche Spottname "Quäker" bezieht sich auf die englischsprachige Bezeichnung für das Zittern.

 

Ihre Ansichten führten rasch zur Verfolgung und massenhaften Auswanderung nach Amerika. Quäker haben selten ihre Stärke im Evangelisieren gesehen; sie zählen heute 200.000 Mitglieder, davon leben 123.000 in Nordamerika.

 

Die Quäker in Deutschland (1790-1945)

Schon im 17. Jahrhundert lebten Quäker auf deutschem Boden. Es blieb aber Ludwig Seebohm überlassen, im Jahre 1790 den ersten tatsächlichen lebensfähigen Quäkerkreis zu schaffen. Die frühesten Kreise bestanden u.a. in Pyrmont, Minden und Barmen; noch heute ist Bad Pyrmont Hauptsitz aller deutschsprachigen Freunde. Von Anfang an bestanden Beziehungen zu hochfürstlichen Kreisen; 1822 stattete sogar Goethe den Pyrmonter Quäkern einen Besuch ab.

 

Jahre der Verfolgung und Stille folgten, und erst während des 1. Weltkrieges erlebte das deutsche Quäkertum eine Wiedererwachung. Im Jahre 1919 waren Freunde beispielsweise in der Kinderspeisung karitativ stark engagiert. Erst 1925 durch die Schaffung einer deutschen "Jahresversammlung" in Eisenach nahm das deutsche Quäkertum eine institutionelle Gestalt an.

 

In den Zwischenkriegswirren waren die Quäker um Schlichtung und Versöhnung bemüht. Der britische Quäker-Veretreter in Berlin, Corder Catchpool setzte sich für einen friedlichen Ausgleich in der Memelfrage und im Sudetenland ein. Quäker setzten sich für verfolgte Juden ein. Während einige in der Wehrmacht dienten, wurden andere als konsequente Gegner des Nationalsozialismus bekannt. Aus außenpolitischen Gründen hat die Hitler-Regierung niemals der deutschen Jahresversammlung ihr Existenzrecht entzogen; allerdings mußte das Monatsblatt "Der Quäker" im Februar 1942 seinen Vertrieb einstellen. Am Kriegsende zählten die deutschen Quäker 250 Mitglieder, davon hatten 25 Freunde Haftzeiten bis hin zur KZ-Internierung hinnehmen müssen. Rund 50 von ihnen wurden aus einem Beruf oder Amt ausgeschlossen.

 

Quäker in der SBZ/DDR (1945-1969)

In den ersten Nachkriegsjahren hat sich die Zahl deutscher Freunde fast verdoppelt. Ihr beneidenswertes Vorbild im Kampf gegen den Faschismus sowie ihr Eintreten gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands schufen ihnen einen beachtlichen Vertrauensvorschuß gegenüber sozialistischen Parteiinstanzen. Beispielsweise wurde die von den Nazis internierte Marie Pleißner aus Karl-Marx-Stadt mehrmals mit DDR-Orden ausgezeichnet. In den Jahren 1954-59 fungierte sie als "Schreiberin" (Leiterin) der gesamtdeutschen Pyrmonter Jahresversammlung.

 

Professor Emil Fuchs (1874-1971) siedelte 1949 von Frankfurt/M. nach Leipzig um, wo er an der dortigen theologischen Fakultät dozierte. Obwohl mehrmals in Haft, galt Fuchs während des II. Weltkriegs als tragende Persönlichkeit der deutschen Quäker. Als Gesprächspartner hoher staatlicher Stellen durfte er 1951 als erster deutscher Theologe die CSSR besuchen. Fuchs, ein Mitstreiter Josef Hromadkas, zählte 1958 zu den Mitbegründern der Prager Christlichen Friedenskonferenz.

 

Im Westen wie im Osten setzten sich Quäker für eine Legalisierung der Kriegsdienstverweigerung ein. Unmittelbar nach Verkündigung des DDR-Gesetzes über eine allgemeine Wehrpflicht am 24.1.62 plädierten Freunde in einem Schreiben an den Staatsrat für das Recht des einzelnen, aus Gewissensgründen auf den Waffendienst zu verzichten. Zusammen mit anderen DDR-Kirchen führten diese Bemühungen im September 1964 zur Aufstellung der ersten NVA-Baueinheiten.

 

Noch lange nach der DDR-Grenzsicherung wehrten sich die Quäker gegen eine Verselbständigung ihrer DDR-Mitglieder. Ihr Zögern schien dennoch eher vom Friedensanliegen als von gesamtdeutschen politischen Bestrebungen motiviert zu sein. Die Aufgabe der Quäker ist es, Brücken zu bauen, nicht aber, schon bestehende abzubrechen, hieß es 1968 in Quäker-Kreisen.

 

Schließlich wurde am 2. März 1969 nach einer außerordentlichen Mitgliederversammlung in Dresden die Gründung einer DDR-Jahresversammlung beschlossen. Dies wird noch heute als eine rein praktische Überlegung bezeichnet; das Bemühen um eine Zusammenarbeit zwischen Ost und West ist erhalten geblieben. Federführend in den damaligen Verhandlungen mit dem Staatssekretariat für Kirchenfragen war Dr. Horst Brückner aus Frankfurt/Oder.

 

Die heutige Lage

In den Jahren 1962-73 unterhielt die Philadelphia-Zentrale des "American Friends Service Committee" einen Vertreter in West-Berlin, der sich um die Vermittlung zwischen Regierungsstellen der DDR, der Bundesrepublik Deutschland und den USA bemühte. Im September 1963 fand auf Einladung des Friedensrates der DDR ein vielbeachteter Besuch nordamerikanischer Quäker statt. Diese Delegation traf sogar mit Walter Ulbricht zusammen. Der erste nordamerikanische Vertreter, Dr. Robert Warren, sowie seine Nachfolger trugen durch ihren ständigen Dialog, u.a. mit Heinrich Albertz und Egon Bahr, auch mit zur Realisierung des Grundlagenvertrages mit der DDR bei. DDR-Repräsentanten nahmen von 1970 bis 1972 an den jährlich stattfindenden Konferenzen der Quäker für Diplomaten aus Ost und West teil.

 

Die heutigen DDR-Quäker sind alles andere als eine ethnische Gruppierung. Die Familie Horst Brückners ist die einzige, die schon in der dritten Generation der Gesellschaft der Freunde angehört. Nur in Ausnahmefällen fanden DDR-Quäker über ihre Eltern den Anschluß. Eine selbstverständliche Mitgliedschaft von Quäker-Kindern wird abgelehnt. Ungefähr die Hälfte aller Freunde sind ebenfalls Mitglieder einer evangelischen Landeskirche in der DDR. Im Gegensatz zu den Mennoniten kommen die Quäker vor allem aus Kreisen der Intelligenz und der Akademiker. Obwohl 40 Prozent der insgesamt 50 DDR-Quäker über 70 Jahre alt sind, ist es in dieser Versammlung besser als in der Pyrmonter um den Nachwuchs bestellt. Die Zahl der Freunde in der DDR hält sich seit Gründung ihrer Jahresversammlung etwa konstant. Diese Versammlung wirkt ausgesprochen dezentralisiert und erwartet die Mitwirkung jedes einzelnen Mitglieds. Es fällt auf, daß Frauen völlig gleichberechtigt mitarbeiten. Seit fünf Jahren ist die Dresdner Physikerin Dr. Ines Ebert die offizielle Schreiberin, obwohl ebenfalls von einer "Schreibergruppe" gesprochen wird. Die einzige bezahlte Mitwirkende ist eine Methodistin, die in der Berliner Zentrale wöchentlich einen Tag mit der Erledigung von Büroaufgaben verbringt.

 

Die DDR-Jahresversammlung ist Mitglied im "Beratenen Weltkomitee der Freunde" sowie vor Ort in der "Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft Berlin". Einzelne Mitglieder gehören der Christlichen Friedenskonferenz an. Dr. Friedrich Huth (Ost-Berlin) ist ebenfalls Physiker und engagiert sich in der Gruppe "Friedenserziehung" der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. In dieser Rolle nahm Huth im September 1979 an den Gesprächen des Bundes mit dem Nationalen Kirchenrat der USA in Stony Point/New York teil. Einige Freunde sind Mitglieder des staatlichen Friedensrates, mindestens einer gehört der DDR-CDU an. Quäker betonen allerdings, daß ihr Friedensengagement sich schwer in die Zwänge irgendeiner politischen Partei pressen lasse.

 

Die Teilung der deutschen Versammlung 1969 wurde auf publizistischem Gebiet nicht nachvollzogen. Das Monatsblatt "Der Quäker" wird von der Pyrmonter Jahresversammlung für beide Versammlungen herausgegeben. Der Dessauer Justus Muttray gehört zu den Korrespondenten dieses Blattes; eine DDR-Einfuhr von 80 Exemplaren je Ausgabe wird genehmigt. "Der Quäker" bringt Beiträge sozialer sowie meditativer Art.

 

Meist vierzehntägige Andachten werden in Berlin, Karl-Marx-Stadt, Dresden und Leipzig gehalten. Die Freunde haben dafür eigene angemietete Räume in Berlin und Leipzig. In jedem Jahr findet eine Frühjahrs- und Herbstversammlung statt. Bibel- und Gesprächsabende werden meist monatlich an den eben genannten Orten durchgeführt. Eine Familienfreizeit ist für jedes zweite Jahr vorgesehen. Kinder nehmen an der Christenlehre der evangelischen Kirche teil.

 

Seit 1923 befindet sich die Zentrale der heutigen DDR-Quäker in der Planckstraße 20, DDR-108 Berlin. Verbindungsperson ist Frau Tacke, Tel. 28 11 888.

 

Theologisches Selbstverständnis

DDR-Freunde fühlen sich mit dem theologischen Erbe ihrer Bewegung stark verbunden; beispielsweise wird die schweigende Gottesdienstform, die die Mitwirkung aller Anwesenden erfordert, beibehalten. Es kann im Weltquäkertum zwischen einer eher pietistisch-geprägten und einer sozial-engagierten Strömung unterschieden werden. DDR-Quäker sind zweifellos bei dieser zweiten Gruppierung einzuordnen. Da Taten wichtiger sind als Dogmen, wird auf ein geschriebenes Glaubensbekenntnis verzichtet. Es besteht aber ein geschriebenes, für alle Freunde verbindliches Friedenszeugnis pazifistischer Glaubensgemeinschaft in der DDR. Jedoch wehren sie sich gegen jedes Reglement und überlassen es dem Gewissen des einzelnen, ob er sich für oder gegen den aktiven Wehrdienst entscheidet. Keiner würde aufgrund einer Entscheidung für den Wehrdienst aus ihrem Kreis ausgeschlossen werden; junge, den Quäkern nahestehende Männer, haben aber bisher als Bausoldaten in der NVA gedient.

 

In den sozialistischen Ländern gibt es Quäkerversammlungen außer in der DDR noch in Kuba. Kontakte nach Kuba existieren kaum, und darum gelten DDR-Mitglieder als unentbehrliche Gesprächspartner des Weltquäkertums. Manche DDR-Freunde halten sich für kritischer gegenüber der bürgerlichen Demokratie als etwa ihre westdeutschen Glaubensgenossen. Andererseits waren westdeutsche Freunde als erste um die Aussöhnung mit Polen bemüht. Trotz seines fortschrittlichen politischen Engagements ist wohl das gesamte Weltquäkertum stark im Bürgertum verwurzelt. Unanfechtbare, markante Unterschiede zwischen den Ansichten von Quäkern in den beiden deutschen Staaten lassen sich daher kaum feststellen.

 

Bei einer Aufzählung der gesellschaftlichen Aktivitäten von Freunden läßt sich rasch feststellen, daß ihre reale Bedeutung ihre zahlenmäßige Bedeutung bei weitem übersteigt. Es handelt sich hier wohl um das ermutigende Beispiel einer DDR-Glaubensgemeinschaft, die niemals die Gesprächsfäden zu hohen staatlichen Vertretern hat abreißen lassen, obwohl ihre Ansichten an zahlreichen Stellen von denen der SED abweichen.

 

Die Kirche der Brüder

Diese dritte historische Friedenskirche besitzt heute keinerlei europäische Zweige, obwohl sie 1706 aus dem deutschen Pietismus hervorgegangen ist. Ihre gegenwärtigen nordamerikanischen Mitgliederzahlen belaufen sich auf 178.000; sie ist darum die kleinste Friedenskirche. Die Kirche der Brüder ist die einzige Friedenskirche, die in ihrer Gesamtheit Vollmitgliedsstatus im Genfer Weltkirchenrat genießt. Sie wird vertreten in der DDR durch Dale Ott, seit Jahren Beauftragter dieser Kirche in Genf. Es bestehen seit rund 20 Jahren Beziehungen zur Goßner Mission; im Jahre 1978 besuchte auf Einladung dieser Mission letztmalig eine Delegation die DDR.

 

William Yoder

Berlin-West, den 16. Juni 1981

 

Erschienen in dieser Form im Berliner Blatt „Kirche im Sozialismus“, Ausgabe 4/81, 2.574 Wörter

 

Anmerkungen von April 2022: Walter Jantzen (1907-1993) ist 1982 als Rentner gemeinsam mit seiner Frau Bertha in die BRD ausgereist. Knut (auch Knuth) Hansen (1947-2019) war von 1980-89 Pastor der Mennonitengemeinden in der DDR. Danach war er evangelischer Pfarrer in Berlin-Köpenick.

 

Der Quäker und Professor Emil Fuchs war Vater des bekannten Atomphysikers und Sowjetspions Klaus Fuchs (1911-1988). Die Chemnitzerin Marie Pleißner (1891-1983) war zugleich eine Funktionärin der LDPD. Der Engländer Thomas „Corder“ Cathpool (1883-1952) engagierte sich ab 1919 bis zu seinem Tode für humanitäre Projekten in Deutschland.