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Die Gefahren der elektronischen Kirchen

In der westlichen Welt vollzieht sich seit Jahrzehnten ein gewaltiger Wandel: Der Tante-Emma-Laden wird vom Supermarkt - sprich Großkonzern - überrollt. Nun greift dieser Prozeß in den USA auf die Kirchen über; mancherorts bedrohen Fernsehkirchen die Zukunft von Ortsgemeinden. Heute können dem amerikanischen Christen schwitzende, langatmige Ortspfarrer und choralische Mißklänge erspart bleiben. Ohne seinen Wohnzimmersessel und Schlafanzug zu verlassen, kann er sie nun gegen eingeübte „Profi-Redner und –sänger“ eintauschen. Wer nicht mehr ausreichend Lust hat, sich auf den Weg zu begeben, bekommt die gleiche „Ware" auch frei Haus.

 

Es ist wohl der Gemeinschaftsmangel, der das weitere Aufblühen der elektronischen Fernsehkirchen am meisten drosselt. In Supermärkten - auch in den kirchlichen - wird der freundlich-beratende Ladenangestellte von Lochkarten und Computern ersetzt. Die Fernsehkirchen sind darüber im Gespräch, diesem Problem durch die Schaffung von Kino-Kirchen Abhilfe zu leisten, denn bis dato existieren die in keiner Konfession eingebundenen Fernsehkirchen nur im Äther. Solche neuartigen Ortsgemeinden würden über die allermodernsten elektronischen Raffinessen verfügen und mittels einer Riesenleinwand den Zuschauern das Geschehen im Fernsehstudio möglichst unmittelbar miterleben helfen. Diese Kino-Gemeinden würden vor Ort von einem Pastor betreut werden, der selbstverständlich die Anweisungen des Hauptsenders zu befolgen hätte.

 

Nicht alle Schwächen der elektronischen Kirchen sind auf ihre führenden Vertreter zurückzuführen; sie werden auch zum Teil durch das Medium selbst bedingt. Wegen des macht- und zahlenmäßigen Mißverhältnisses zwischen Zuschauern und Produzierenden wirkt das Fernsehen zentralistisch und totalitär. Das Medium Fernsehen ist kaum inhaltsträchtig: Verpackung, Bewegung („action") und Genußwert sind maßgebender als das eigentliche Thema. Das Fernsehen verträgt keine schwierigen vieldeutigen Antworten. Einschaltquoten bestimmen das Programm und die Geldeinnahmen, wovon ja jegliche Fernsehkirche gänzlich abhängt. Das Evangelium muß möglichst vielen schmackhaft gemacht werden, denn sonst schneiden sich die Sender ins eigene Fleisch. Es erübrigt sich, daß sie darum für prophetische Geister keinen Platz haben.

 

Die Chancen des Fernsehens

Natürlich ist das Fernsehen oftmals imstande, Kranke und Kirchenfernstehende auf den Glauben hin anzusprechen. Fernsehkirchen erkennen zu Recht, daß Predigten und traditionelle Gottesdienstformen wahrscheinlich in den letzten Zügen liegen. Alte Formen werden jedoch nicht immer mit „hochwertiger Ware" ersetzt. Die Fernsehkirchen bieten christliche Talkshows, Unterhaltungssendungen, „Seifenoper", Werbung und vor allem viel Musik. Nicht nur in säkularen Nachrichtensendungen werden Nachrichten nach ihrem Unterhaltungswert ausgewählt.

 

Im Gegensatz zu diesen evangelikalen Privatinitiativen, tun sich die traditionellen Kirchen schwer im Eingehen auf die heutige, nordamerikanische Medienlandschaft. Elektronische Kirchen können wohl nur mit einem äußerst flexiblen nach neuen Märkten trachtenden Konzern verglichen werden; die traditionellen Kirchen ähneln eher einer schwerfälligen sozialistischen Staatswirtschaft. Funkwellen überspringen alle Grenzen; aber Satellitensendungen a là Jerry Falwell und Co. werden noch lange vor denen der Großkirchen nach Nowosibirsk und Peking verstoßen.

 

Was soll man In Zukunft tun?

Der Aufstieg dieser evangelikalen und charismatischen Fernsehkirchen wird durch den Verfall der theologisch-liberalen und europäisch-gearteten Großkirchen der USA begünstigt. Das betagte kirchliche Establishment ist in Europa noch wesentlich wehrfähiger; was sich beispielsweise im massiven Widerstand gegen die „Berliner Bekenntnistage" Volkhard Spitzers sowie den Nato-Doppelbeschluß ablesen läßt. Dennoch sind manche alarmiert: In den USA rufen ganze Denominationen dazu auf, dem Handwerk der Fernsehkirchen nachzueifern und schleunigst aufzuholen.

 

Stattdessen möchte ich Ortsgemeinden ermutigen, wirkliche Gemeinden im neutestamentlichen Sinne zu werden. Geht auf die Fremden zu, die sich in euren Gemeindesälen blicken lassen. Wirkt einladend. Kommt miteinander ins Gespräch; vergebt und liebt einander. Wenn unser Gemeindeleben durch den Geist Gottes erneuert wird, dann wird keine elektronische Scheinkirche mithalten können! Allerdings stehen die Fernsehkirchen vor einer einfacheren Aufgabenstellung.

 

Bill Yoder

Berlin, 15 September 1981

 

Erschienen in der mennonitischen „Junge Gemeinde“, Ausgabe Januar 1982, 561 Wörter