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Ein Amerikaner kommentiert den DDR-Besuch Billy Grahams

Zum Einstieg: Die Bedenken

Mich stört weiterhin Verschiedenes am persönlichen Stil Billy Grahams: Seine Verkündigung bezeugt weiterhin die Ansicht, der Mensch sei missionarisch ausschließlich auf seine Gefühle hin anzusprechen. Aber sehr viele Europäer möchten in der Verkündigung auch intellektuell angesprochen werden; der vor allem in den USA bewährte Verkündigungsstil paßt nicht gleichermaßen in die Kulturen anderer Länder hinein. Alle Reisen Grahams in die sozialistischen Staaten Europas stehen unter dem Vorzeichen der Evangelisation; dennoch tragen seine Blitztouren heutiger Ausführung dem evangelistischen Anliegen nur ungenügend Rechnung.

 

Es besteht der Verdacht, das Grahamsche Image sei allenfalls teilweise ein gemachtes Image; sein Erfolg und Bekanntheitsgrad können nicht ausschließlich auf den göttlichen Segen zurückgeführt werden. Grahams selbstständiger Verein, die 1950 gegründete "Billy Graham Evangelistic Association", versteht eine Menge von den Werbungspraktiken und der gekonnten Imagepflege des westlichen Mediensystems. Beispielsweise wird jede Tournee - auch die in der DDR - ungeachtet ihres wahren Ausgangs als ein "alle Erwartungen übertreffendes Ereignis" ausgegeben. Es ist keine Frage, daß das Vordringen der BGEA auf ihr bisher verwehrtes Territorium ihr Ansehen innerhalb der sich loyal verhaltenden Unterstützerscharen erheblich steigert. Die BGEA bezieht, teils dank "firmeneigener" Fernsehaufnahmen, großen werbungsmäßigen Nutzen aus den Fahrten ins sozialistische Europa. Da bei jedem Menschen auch die edelsten Ziele selbstsüchtigen Motiven entspringen können, bleibt ebenfalls bei Graham ein gewisser Verdacht haften.

 

Für das Selbstbewußtsein vieler Christen bleibt die Existenz überlebensgroßer Vorbilder unentbehrlich. Beim Beobachten der sich um Billy Graham scharenden Massen drängt sich dennoch der Gedanke auf, die Menschheit bedürfe, genauso wie einer Umverteilung des Weltkapitals, ebenso einer Umverteilung des menschlichen Liebes- und Zuwendungsvermögens. Die christliche Kapazität an Liebe und Verehrung soll gerechter auf die gesamte Menschheit verteilt werden. Unmengen an Liebeseinheiten werden einem umworbenen Prediger gespendet, die die Kleinen und Vernachlässigten dieser Erde viel ernsthafter benötigten.

 

Man kann sich dem Gedanken nicht erwehren, es ginge – trotz gegenteiliger Beteuerungen - bei einer führenden christlichen Persönlichkeit auch anders. Weltbekannte Christen wie Ernesto Cardenal, Roger Schutz oder Mutter Teresa scheinen von einem personenzentrischen Auftreten und einem aufwendigen Lebensstil Abstand halten zu können.

 

Die kirchliche Diskussion in der DDR über Billy Graham hat in den letzten Jahren die Gemüter erwärmt. Ich muß auch selbst gestehen, auf publizistischem Gebiet mehr Hitze als Licht erzeugt zu haben. Das ist sehr schade, denn das Für und Wider hinsichtlich der Person Grahams darf nirgends zum status confessionis erhoben werden. Christen, denen genauso das Missionieren und Friedensstiften auf dem Herzen liegen, befinden sich auf beiden Seiten in dieser Kontroverse. Das "überlegende Lächeln'' einerseits sowie das Pochen auf eine Kritikerhabenheit Grahams – da er ja “das Evangelium verkündige“ - andererseits sind gleichermaßen fehl am Platze. Graham und seine Anhänger verdienen es, ernst genommen zu werden.

 

Zum Abschluß: Das Erfreuliche

Mit dem Sturz Nixons 1974 ging Grahams Rolle als der "Hofprediger" von US-Präsidenten endgültig zu Ende. Heute bereist Graham jene sozialistischen Länder, wogegen deren Regierungen er einst wetterte. Heute werden seine Äußerungen von denselben konservativen westlichen Medien beklagt, die ihn einst bejubelten. Trotz heftigster Medienproteste nach seinem Auftritt auf der Moskauer Friedenskonferenz im vergangenen Mai, hält er unbeirrt an seinem neuen Kurs fest. Graham schreckte nicht voreilig davon zurück, sich in westlichen Augen zu "kompromittieren". Trotz seiner für sie stark belasteten Vergangenheit, gewährte ihm die Regierung der DDR eine neue Chance. Dies zeugt von einem erfreulichen, gegenseitigen Mut.

 

In den sozialistischen Staaten sucht Graham das vertrauliche Gespräch mit Regierungsvertretern; in der gegenwärtigen Großwetterlage ist solches Miteinanderreden eine unabdingbare Erfordernis. In der amerikanischen Tagespolitik bildet Graham immer noch eine gewichtige Stimme, und wohl nur dort könnten seine in den sozialistischen Staaten gewonnenen Erkenntnissen Wirkung zeigen. Für diesen vielleicht bescheidenen Beitrag zum Weltfrieden ist ihm Dank und Anerkennung zu zollen; der Friedensengagierte müsse sich über jede nur denkbare Hilfeleistung freuen. Es ist kein gutes Omen, daß der Friedensbeitrag Grahams in den westlichen Ländern gerne übersehen wird.

 

In der Moskauer Baptistengemeinde im Mai 1982 wurde Graham als einen "dreifach wiedergeborenen Menschen" (geistlich, sowie in der Rassen- und Friedensfrage wiedergeboren) vorgestellt. Angesichts der Wahrscheinlichkeit, daß sich eine dritte Wiedergeburt bei einem Sechzigjährigen vollzogen hat (Graham ist Jahrgang 1918), wäre denn nicht bei einem Siebzigjährigen die Hoffnung auf eine vierte berechtigt?

 

Bill Yoder

Berlin-West, den 11. Nov. 1982

 

Verfaßt für „Die Union“ in Dresden, 677 Wörter