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Berliner Bischöfe predigen im Rahmen der Gebetswoche für die Einheit der Christen

Kardinal Meisner: "Morgen mache ich mich auf den Weg Martin Luthers"

 

In einem ökumenischen Gottesdienst in der Steglitzer Rosenkranzbasilika am 23. Januar 1983 äußerte sich der zum Kardinal ernannte ehemalige Berliner katholische Bischof Joachim Meisner betont optimistisch zum langfristigen Verlauf ökumenischer Beziehungen. Über den fehlenden Besitz irdischer Macht sei das Volk Gottes "gar nicht traurig"; da es aber vom Allmächtigen bevollmächtigt sei, "wird unter uns grundsätzlich das Unmögliche möglich". Was auf ökumenischem Gebiet noch vor Jahrzehnten niemand für möglich hielt, sei schon heute selbstverständlich. Christus "bevollmächtigt uns, aufeinander zuzugehen, so daß wir nicht in einer Sackgasse enden, sondern einmal, und dauert es noch so lange, am gemeinsamen eucharistischen Tisch".

 

Meisner fuhr fort: "Wenn ich am morgigen Tage mich auf den Weg nach Rom mache, um aus den Händen des Papstes Johannes Paul II. die Kardinalswürde entgegenzunehmen, dann mache ich mich auf den Weg Martin Luthers, der 1510 nach Rom gepilgert ist. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß mich diese Romfahrt nicht in eine größere Distanz zu den christlichen Konfessionen dieser Stadt bringen wird, sondern in eine größere Nähe. Unser Papst ist Ökumeniker nicht nur von Amts wegen, sondern aus Leidenschaft. Und wenn man uns fragen sollte, wie steht es denn mit der Ökumene in Berlin, dann sollten wir immer antworten dürfen: Wir sind vom Ziel noch weit entfernt, aber dahin immer unterwegs."

 

Hinsichtlich der Vergangenheit meinte der Kardinal, das Wort Gottes sei universal: "Es ist uns nicht erlaubt, ein Fragment oder mehrere daraus auszuschneiden und dann gleichsam Wortfetzen wie nasse Lappen um die Ohren zu schlagen. Diese Zeiten liegen lange hinter uns und wir schauen uns danach nicht mehr um." Entscheidendes Moment im ökumenischen Streben sei weder unsere Tüchtigkeit noch irgendeine Sache, sonder nur die Gegenwart Jesu; nur sie könne "das Getrennte überbrücken" und "das Gestreute sammeln". Nur Christus könne den "Hunger der Christen nach Einheit" stillen.

 

In der Eröffnungspredigt wandte sich der evangelische Bischof Martin Kruse gegen die Ansicht, das Beten um das ökumenische Anliegen sei harmlos und ungefährlich: "Wenn wir uns gemeinsam Christus öffnen, dann verändert er uns, dann bringt er uns zueinander." Beide Bischöfe wiesen anhand der Losung dieser Gebetswoche darauf hin, daß Jesus das Leben aller, und nicht nur der Christen, sei."

 

Bischof Kruse vertrat die Auffassung, das Martin-Luther-Jahr dürfe kein „innerprotestantisches Erinnern" bleiben: Ausgerechnet "die katholischen Christen und die Marxisten drüben bringen uns wieder dazu als evangelische Christen, Luther zu lesen". Man solle nicht nur Texte über, sondern auch Luther selbst studieren. Ihm habe kürzlich ein Berliner katholischer Theologe mitgeteilt, er hätte alle Bände einer Lutherausgabe durchgelesen und dies sei ein spannendes Abenteuer gewesen. Bei einer solchen Lektüre "stoßen wir auch zu Trennungen. Aber wir stoßen auch auf die unzerstörten Fundamente". In Wittenberg fände man das Wort "Vivet" auf dem in Stein gemeißelten Wappen Luthers, führte Kruse aus. Dieses Wort - er lebt - sei "das Glaubensbekenntnis in kürzester Form". Er stellte ebenfalls "das gemeinsame, unzerstörbare Fundament" aller Christen dar.

 

Bill Yoder

Berlin, den 24. Januar 1983

 

Erschienen im Evangelischen Pressedienst, Landesdienst Berlin, am 24. Januar 1983, 474 Wörter

 

Anmerkung von Januar 2022: Der in Breslau geborene Joachim Kardinal Meisner (1933-2017) war von 1980 bis 1989 Bischof von Berlin. Von 1989 bis 2014 war er dann Erzbischof von Köln. Martin Kruse (geb. 1929) war von 1977 bis 1994 evangelischer Bischof von Berlin-Brandenburg. Von 1985 bis 1991 war er außerdem Ratsvorsitzender der gesamten EKD.