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Ein Freund Dietrich Bonhoeffers berichtet

Joachim Kanitz zum Thema: „Dietrich Bonhoeffer – Zeuge des Widerstandes“

 

Am 31. Januar hielt Pfarrer i.R. Joachim Kanitz, selbst in den Jahren 1935-1937 ein Student Bonhoeffers im Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde, ein Referat in der Moabiter St. Johannesgemeinde. Er betonte dabei, daß der Widerstand gegen das Unrecht „nicht früh genug erfolgen kann“. Goebbels erkannte schon 1932 nach der Weigerung der SPD, in den offenen Widerstand zu treten, daß sie damit ihre letzte Chance verspielt hatte. Bonhoeffer gehörte zu den sehr wenigen Theologen, die – etwa im Gegensatz zu Martin Niemöller – schon im April 1933 die Judenfrage als Bekenntnisfrage einstuften. Nach dem Polenfeldzug zeigte Bonhoeffer keinerlei Interesse für die Friedensbemühungen der Ökumene, z.B. der schwedischen Kirche. Da „Friede ohne Wahrheit und Recht“ nur Scheinfriede sein kann, blieb für ihn zu diesem Zeitpunkt nur noch der Widerstand übrig.

 

Er müsse laut Kanitz außerdem festgehalten werden„ daß der Widerstand „aus dem Evangelium erfolgt“. Bonhoeffer akzeptierte es im Prinzip, daß seine Kirche ihn nicht auf die Fürbitteliste gesetzt hatte, nicht aber deren Begründung. Sie lautete, daß er ja „nicht für Christus im Gefängnis“ sei.

 

Heute könnte nur eine wirklich starke Friedensbewegung „das überwinden, was uns bedroht“. Was aber damals Bonhoeffer und dessen Schüler am meisten zu schaffen machte, war laut Kanitz „die Feigheit der eigenen Brüder innerhalb der Bekennenden Kirche“. Ein Tiefpunkt wurde 1938 erreicht, als „fast alle“ bekennenden Pfarrer dem Führer zum Geburtstag einen Treueeid spendeten.

 

Nachdem aber die anfänglichen Widerstandsversuche gescheitert waren, wählte Bonhoeffer den Weg größter Einsamkeit. Da er sonst niemanden belasten wollte, "konnte er seiner Kirche die Wahrheit - über sein Tun - nicht sagen“. Obwohl er nach Kriegsausbruch ein spannungsgeladenes Doppelleben als Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes und der Kirche führen mußte, gelang ihm „ein Doppelleben ohne Zerspaltenheit“.  Er nahm es in Kauf, im Dienst der Sache seine ökumenischen Beziehungen aufs schwerste zu belasten.

 

Wie Christus, vollzog auch Bonhoeffer eine „Schuldübernahme“ für sein Volk. Nach Pfarrer Kanitz werden Menschen nicht dadurch Christen, „daß sie eine weiße Weste behalten, sondern, daß sie die Schuld der anderen auf sich nehmen“. Sogar für den Pazifisten Bonhoeffer bedeutete die letzte Konsequenz seiner Nächstenliebe den Tyrannenmord.

 

Als Kanitz von Bonhoeffers Tod erfuhr, habe er „mit Gott gehadert". Erst viel später habe er erkannt, "was Gott damit vorhatte“. Heute gilt Bonhoeffer bekanntlich als ermutigendes Vorbild für die um Gerechtigkeit streitenden Christen in Lateinamerika, den USA und im südlichen Afrika.

 

Bill Yoder

Berlin, den 1. Februar 1983

 

Erschienen im Evangelischen Pressedienst, Landesdienst Berlin, am 1. Februar 1983, 383 Wörter

 

Anmerkungen von Januar 2022: Der West-Berliner Pfarrer Joachim Kanitz lebte von 1910 bis 1996. Ich, der Verfasser, hatte gerade noch das Glück, in den 80er Jahren enge Mitstreiter Bonhoeffers wie Kanitz, Alt-Bischof Albrecht Schönherr (1911-2009) und Wolf‑Dieter Zimmermann (1911-2007) interviewen zu können. M.W führte Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) am 14. April 1936 eine doppelte Trauung von Schönherr und Kanitz mit ihren Frauen durch. Bonhoeffers Zwillingsschwester, die 1999 verstorbene Sabine Leibholz, erlebte ich auch, habe sie aber nicht persönlich kennengelernt.  --wy