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Heimatmission des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden tagt

Wir gehen kaputt, wenn wir uns nicht ändern

 

Für eine Aufwertung der Großstadtmission hat Pastor Herbert Szepan (Bad Homburg), Beauftragter für Heimatmission des Bundes Evangelisch­Freikirchlicher Gemeinden, plädiert, um der anhaltenden zahlenmäßigen Talfahrt entgegenzuwirken. Szepan erklärte am Sonnabend, 19. März 1983 vor der Tagung der Heimatmission der Vereinigung Berlin-West des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden im Spandauer Johannesstift: "Wenn wir in unseren Großstadtgemeinden" nur unsere Mitgliederzahlen hielten, hätten wir im gesamten Bundeswerk ein enormes Wachstum." Statt dessen sei 1982 die Gesamtzahl der Mitglieder der Vereinigung Berlin-West um 204 auf 3.454 Personen zurückgegangen. Heute seien es die am dichtesten besiedelten Gebiete Deutschlands, die den geringsten Gemeindebesuch aufweisen. In Berlin besuchen 0,4 Prozent der Bevölkerung regelmäßig einen Gottesdient.

 

Nach Auffassung von Szepan haben freikirchliche Gemeinden in ihrem jetzigen geistlichen Zustand "kein Gegenmittel gegen die Entchristlichung". Aus der einst missionarischen Gemeinde sei eine "sprachlose, verbürgerlichte Gemeinde des Mittelstandes und der gehobenen Klasse" geworden. "Während die Großväter noch einfache Leute waren, sind die Enkel in den Mittelstand abgewandert. Sie fühlen sich nur noch unter ihresgleichen wohl." Diese "isolierte Gemeinde" habe "der Welt den Rücken zugewandt, in die sie von Christus hinausgesandt worden ist". Dieser Tatbestand habe "die Liebe erkalten lassen", denn "Liebe in der Gemeinde kann nur sein, wenn Liebe zur Welt ist". Die kirchlichen "Geh-Strukturen" hätten sich in "Komm-Strukturen" verwandelt; wer die Botschaft hören wolle, müsse die hohe Hemmschwelle überwinden und in den Gemeindesaal kommen.

 

Laut Pastor Szepan habe sich der Gemeindesaal in einen Hörsaal verwandelt. Dieser nun rein passiv erlebte Gottesdienst sei nur noch "eine Versammlung von Menschen, die sich eine Predigt anhört". "Diese Anleihe aus der protestantischen Tradition hat uns verändert."

 

Durch die Abwanderung in schönere Wohngebiete hätten Gemeinden "die Grenzen der Ortsgemeinden mehr und mehr überschritten". Eine natürliche Folge der Weigerung, in eine räumlich näher liegende Gemeinde überzuwechseln, sei die Tatsache, daß "die Schere zwischen Mitgliedschaft und Gottesdienstbesuch immer weiter auseinander gefallen ist". In einem Nachgespräch fügte er hinzu: "Wir gehen kaputt, wenn wir uns nicht ändern."

 

Wie es die baptistischen Kirchenväter getan hätten, so müßten auch wir die "Chance der Neuankömmlinge" in der Großstadt nutzen: "Wenn die Menschen schon zu einem gewissen Grade 'verstädtert' sind, kann sich die Aufnahmebereitschaft "in Widerstand verwandeln." Nur langfristige Lösungen seien sinnvoll; "Außenbootmotore" - etwa Evangelisationswochen - können einen mangelhaften "Innenmotor" nicht ersetzen. Da die "Sünde größer ist, als wir es meinen", sei eine neue Evangelisierung der Gemeinden selbst von höchster Priorität; es gäbe ja "Gottesdienste ohne Jesus, wo alles formal richtig" sei. Statt vor allem der Informationsvermittlung oder Erbauung zu dienen, sollte die Predigt wieder zur Entscheidung aufrufen.

 

Heute werde bedauerlicherweise das gesamte Gemeindeleben "in den Gottesdienst hineinverlegt"; es müsse darum eine "neue Öffnung des Gottesdienstes" stattfinden. Szepan forderte: "Wir brauchen Räume für zwanglose Begegnungen; unsere Gemeindehäuser müssen ein Treff werden. Die missionarische Gemeinde müsse fähig werden, sogar "zerlumpte, verkrachte Existenzen" willkommen zu heißen. Außer der "Angel" bedarf die Gemeinde ebenfalls des "Netzes", denn "ohne Netz verhungert sie".

 

"Um die Gemeinden in wahre Ortsgemeinden zurückverwandeln zu können, schlug der Referent vor, daß keiner eine Gemeinde mehr als vier Kilometer von seinem Wohnort besuchen sollte: "Die Stadt brauche eine Gemeinde, die man zu Fuß erreichen kann."

 

William Yoder

Berlin, den 19. März 1983

 

Erschienen im Evangelischen Pressedienst, Landesdienst Berlin, am 21.3.1983, 511 Wörter