· 

Die Black Muslims in den USA

Eine weitere gespaltene Nation

 

Seit Wochen hatte ich mich um die Erlaubnis zum Besuch eines Gottesdienstes bemüht.  Inzwischen war es eine halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes.  Nun hatte ich der Vertröstungen genug und faßte den Entschluß, auch ohne Genehmigung Gespräche in der Nähe des prächtigen Gotteshauses der "Nation of Islam" zu führen.  Leider kam ich an der 73. Straße im lädierten südlichen Chicago just zum falschen Augenblick an: Ein junges schwarzes Pärchen mit Bibel unter dem Arm war von einem der adrett gekleideten Herren vorm Eingangstor abgefangen worden und wurde nun über die historischen Verfehlungen der Bibelgläubigen aufgeklärt.

 

Als Missionsobjekte kommen Bleichgesichtler nicht in Betracht; ich verfügte über den zusätzlichen Nachteil, ein Mikrofon mit zu führen.  Kaum hatte ich die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß wir uns alle auf einem stadteigenen Bürgersteig befänden: Nur Sekunden nach meinem Eintreffen drohten die jungen Herren in schwarzen Anzügen und Fliegen bereits mit einer gewaltmäßigen Entfernung.  "Es gibt tausend Männer da in dem Tempel, die wir dir hinterherschicken, wenn du nicht abhaust," wurde mir versichert.  Angesichts derartiger Mehrheitsverhältnisse zog ich es vor, die Straßenseite zu wechseln.

 

Meine Lage verbesserte sich schlagartig als die Zunft, die als der Menschen Freund und Helfer beliebt ist, in vier Wagen vorfuhr.  Ich kehrte auf den stadteigenen Bürgersteig vor dem Tempel zurück.  Eine Beschwerde bezüglich illegalen Waffenbesitzes war eingegangen; nun konnte ich - solange ich im Visier der Uniformierten blieb - ungeschoren meine bürgerlichen Rechte wahrnehmen.  Nach 15 Minuten zogen die Gesetzesschützer wieder ab; die Pressefreiheit nahmen sie mit.  Abermals wurde ich aufgefordert, das Weite zu suchen.  Dummerweise fuhr ein Herr im Fes vor, ließ den Beifahrer aussteigen und verwickelte mich in ein Gespräch über den Sinn meiner augenblicklichen Tätigkeit.  Der Spaß näherte sich aber seinem Ende.  Nun wurde es ultimativ: Einer der kircheneigenen Ordnungshüter mit Fliege teilte mit, es sei der Rede genug, wenn er wiederkehren müsse, werde es sicherlich krachen.  Nach einem Schnappschuß von dem Wächter, der auf dem Dach vor dem Kuppel postiert war, mußte jene sonntägliche Recherche beendet werden.

 

An der Masjid (Moschee) Al-Faatir an der 47. Straße war es beschaulicher zugegangen: Dort sind sogar Germanen und Heiden willkommen.  Der Innenraum des Hauses ist mit arabischen Inschriften verziert, das Vorgetragene mit arabischen Ausdrücken gewürzt.  Der Anblick erinnert an den Vorderen Orient; das männliche Publikum besteht jedoch zu 90% aus Afro-Amerikanern.  Die Frauen sitzen streng abgeschirmt im Nebenraum; die alten Männer im gestickten weißen Käppchen (Kufia) hocken oder knien sich am Rande des Hauptsaales.  Während der Freitagspredigt tun sie lautstark ihrer Zustimmung kund; in der christlichen Kirche würde man sie die "Amen-Ecke" nennen.  Allerdings stoßen diese Patriarchen kein freudiges "Hallelujah", sondern ein "La illah illallah" hervor.

 

Vor dieser Moschee hatten mir die Männer mit einem Schmunzeln viel Erfolg beim Besuch der Nation of Islam gewünscht.  Im Nachhinein begreife ich nicht, weshalb die Härte des Verweises mich überrascht hat.  Schließlich erkennt die Nation des Islams im erbitterten Widerstand gegen die etablierte weißregierte Gesellschaft eine Grundberechtigung ihres Daseins.  Das Gespräch mit einem Pressevertreter jener Welt hätte verlangt, über den eigenen ideologischen Schatten zu springen.

 

Es ist dem Elijah Mohammed zu verdanken, daß der Islam unter den Einheimischen der USA Fuß gefaßt hat.  Er ist geistiger Vater beider dieser islamischen Glaubensgemeinschaften.  Daß es ihm zu verdanken sei, ist keine Selbstverständlich­keit, denn Elijah, der Sohn eines armen Landarbeiters und Baptistenpredigers aus Georgia, verbrachte sein Leben als islamischer Ketzer.  Im Jahre 1923 war Elijah Poole, Abgänger der dritten Klasse einer Grundschule, auf Arbeitssuche nach Detroit gezogen.  Sieben Jahre später stieß er dort mit dem Teppichverkäufer und Hausierer Wallace Fard, u.a. auch Wali Farad genannt, zusammen.  Farad behauptete, jüngst aus Mekka eingetroffen zu sein; innerhalb weniger Monate hieß es, Meister Farad sei die Personifizierung Gottes und Elijah Mohammed sein Bote.  Aus dem darauffolgenden Zulauf entstand die Nation des Islams, die Elijah nach dem selbstinszenierten Verschwinden des Meisters 1934 weiterführte.

 

Elijah war ein überzeugter Gegner der Rassenintegration:  Nach ihm hatten die Schwar­zen nicht nur eigene Schulen und Firmen zu bilden, sie sollten sich sogar eine eigene Religion schaffen. Diese neue Religion bezog ihre Grundsätze gleichermaßen aus Bibel und Koran; ihre Theologie hatte jedoch einen betont säkularen Einschlag:  Das Böse, d.h. der Teufel, war buchstäblich der weiße Mann, das Gute, der Schwarze.  Harmagedon, die Endschlacht zwischen dem Guten und dem Bösen, würde auf amerikanischem Boden stattfinden, daraufhin würde das schwarze Himmelreich auf Erden entstehen.

 

Nach dieser Lehre sei die weiße Rasse erst vor 6.000 Jahren auf der Insel Patmos geschaffen worden, ihre ersten Angehörigen hießen Adam und Eva.  Die Weißen entstanden als Mischform, geschaffen durch einen Streich des verrückten Naturwissenschaftlers Jakub.  Laut Farad waren die Schwarzen der USA eigentlich muslimische Asiaten, die von den Sklavenhaltern Nordamerikas ihres Glaubens und ihrer Herkunft beraubt worden waren.

 

Elijah Mohammed hat Zucht, Fleiß und Sauberkeit gepredigt, nicht zufällig wurden seine Black Muslims "schwarze Puritaner" genannt.  Das Ergebnis war ein kircheneigenes Wirtschaftsimperium.  Zum Zeit­punkt seines Todes 1975 hatte es einen Wert von rund 80 Millionen Dollar.

 

Der fünfte Sohn des Elijah Mohammed ist heute unter dem Namen Warith Deen Mohammed bekannt.  Elijah hat Deen nicht nur dreimal aller Ämter enthoben - u.a. weil Deen ihn wegen Ehebruchs verpfiffen hatte -, er hat ihn auch zu seinem Nachfolger ernannt.  Bereits Farad soll Deen, seinen Namensvetter, als Säugling zum Nachfolger bestimmt haben.  Offensichtlich können auch Götter sich irren, denn Deen Mohammed wich erheblich vom ursprünglichen Weg seiner Förderer ab.  Sehr bald nach seiner Einführung ließ Deen die antichristlichen Parolen aus den Moscheen entfernen; muslimische Sitten und Gebräuche führte er rigoros ein.  Bereits Ende 1975 traf der ägyptische Präsident Anwar Saddat zu Besuch in Chicago ein, es folgte die Aufnahme in den Muslimischen Weltrat.  Weiße sind inzwischen als Glieder willkommen, neben dem Boxer Muhammed Ali gehört auch der weiße Sänger Cat Stevens dazu.  Die meisten dieser Muslime mögen schwarz sein, aber heute lehnen sie die Bezeichnung "Black Muslim" strikt ab.  Sie wollen nur noch als Sunni, als orthodo­xe Muslime, gelten.  Auf politischem Gebiet streben sie eine gemeinsame Front aller moralisch fundierten Kräfte an.

 

Diese Kehrtwendung vom schwarzen hin zum universellen Glauben war nicht nur auf Zustimmung gestoßen: 1978 war es zur Spaltung gekommen.  Louis Farrakhan, ein ehemaliger Musiker, wollte auf die Erfolgs­rezepte des Elijah Mohammed nicht verzichten.  Er entschloß sich, die alte reine Lehre aufrecht zu erhalten.  Für Farrakhan ist Meister Farad weiterhin der Messias.  Die Entstehung eines schwarzen Apartheidstaates auf dem nordamerikanischen Kontinent bleibt ein vorgegebenes Ziel.  Deen Mohammed hatte die "Früchte des Islams" - die mit Fliege ausgerüsteten Schutztruppen - abgeschafft; Farrakhan führte sie wieder ein.  Ein Orthodoxer in der 47. Straße erzählte vom anhaltenden Synkretismus des Unternehmens Farrakhan: Bei jener Nation hatte er einen christlichen Pastor als Redner erlebt, der die urmuslimische Gebetswunde auf der Stirn (Sudja), das stolze Ergebnis ständigen Verneigens, vorweisen konnte.

 

In den Schulen des Deen Mohammed beginnt der Schultag heute mit dem in den USA üblichen Fahnenappell.  Die Zeitschrift Louis Farrakhans, "The Final Call", beschwört hingegen die Leistungen von Moamar Ex-Gaddafi und Fidel Castro.  Deen Mohammed - wie sein Vater zuvor - saß seine Wehrpflicht als Totalverweigerer im Knast ab.  Heute jedoch huldigt seine Zeitschrift den Taten muslimischer GIs im Golfkrieg.  Seine größte Firma stellt Fertigkost für die US-Armee her.  Farrakhan aber verweist auf die anhaltende Unterdrückung in arabischen Staaten und versichert: "Ich hüpfe über keinen einzigen schwarzen Christen, um die Brüderschaft mit einem Muslim wahrnehmen zu können."

 

Die alte Nation des Islams hat Farrakhan zu neuem Leben erweckt; schließlich gehört er zu den wenigen Predigern, die für den vielgefährdeten afro-amerikanischen Mann anziehend wirken.  Deen findet im schwarzen Bürgertum Gehör, Farrakhan am ehesten unter den Inhaftierten, den Arbeitslosen und Asozialen.  Deen will innerhalb des amerikanischen Traums aufgehen, Farrakhan, nur gegen ihn.

 

Im Frühjahr lancierte die schwarze Presse Chicagos die Behauptung, die Nation des Islams bediene sich des Drogenhandels. Dieser Vorwurf ist nicht eindeutig zu klären; immerhin versteht sich die bekannteste schwarze Drogenmafia Chicagos, Ex Rukhyn, als muslimisch.  Natürlich stünde ein derartiges Geschäft im krassen Gegensatz zu den erklärten Zielen der Black Muslims.  Es ist aber gleichzeitig bekannt, daß sich sogar die Landesväter in Washington derartiger Einnahmen bedienten, um einen mittelamerikanischen Kleinkrieg zu finanzieren.  Die juristische Extraterritorialität des Grundbesitzes, den Farrakhan beherrscht, steht allemal fest.

 

Zur Erläuterung der Aufspaltung von 1978 holt der Kirchenhistoriker Lawrence Mamiya Max Weber heran: Die Beschwörung von Frugalität und Fleiß hatte zum kapitalistischen Füllhorn geführt und somit einen unbeabsichtigten Sinneswandel eingeleitet.  Um Ihr bürgerliches Dasein zu zementieren, wurden immer zahlreichere "schwarze Puritaner" bereit, die herkömmliche sektiererische Identität über Bord zu werfen.

 

Offiziell verfügt Deen Mohammeds Gemeinschaft über die eindeutig imponierenderen Zahlen: Zum Zeitpunkt der Trennung sollen ihm rund 90% der Black Muslims die Treue gehalten haben.  Im Gegensatz zu Farrakhan erweist sich Deen Mohammed jedoch als ein schlaferregender Redner.  Aus verständlichen Gründen ist der wenig bemittelte Afro-Amerikaner kein Kosmpolit, die kulturelle Fremdheit, die ihm in den Moscheen des Deen Mohammed entgegenschlägt, kann kaum verlockend wirken.  Soll vom reichen kulturellen und musikalischen Erbe des afro-amerikanischen Christentums wirklich nur noch eine arabischhaspelnde Amen-Ecke übrig bleiben?

 

Das Pochen auf Orthodoxie ist ein Ausdruck der bürgerlichen Sehnsucht nach Anerkennung und Respektabilität; im herkömmlichen Glauben der Schwarzen war die Orthodoxie jedoch Nebensache.  Die Anziehungskraft der Theologie Elijah Mohammeds bestand nie in deren Orthodoxie.  Über die angestrebte Rechtgläubigkeit ist sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen: Deen Mohammed wirft der Nation des Islams vor, sie verkündige anstelle der Religion ein sozialpolitisches Programm.  Den gleichen Vorwurf richten strenggläubige Sunni jedoch auch gegen den rührigen Imam Warith Deen.  Tatsächlich berühren seine Vorträge die Feinheiten islamischer Theologie nicht; die Vorzüge des "common sense" gehört beispielsweise zu seinen bevorzugten Themen.

 

Es wird gemunkelt, der Zustrom saudischen Geldes könne in politische Abhängigkeiten führen; schließlich haben sich die Saudis die Entstehung einer einheimischen muslimischen Präsenz auf dem nordamerikanischen Kontinent etwas kosten lassen.  Die Ergebenheitsadressen, die Deen in Rijahd zum Zeitpunkt des Golfkrieges von sich gab, geben dieser Sorge Aufwind.

 

Orthodoxe Muslime setzen weiterhin auf die Aussöhnung mit der Farrakhanschen Nation: Die "Königsfamilie" (die fast zahllosen unmittelbaren Nachkommen des Elijah Mohammed) befindet sich ja in beiden Lagern.  Elijah selbst soll sich in seinen letzten Monaten dem orthodoxen Glauben zugewandt haben; tatsächlich gehört dies zu den wenigen plausiblen Erklärungen für die Ernennung von Deen Mohammed zum Nachfolger.  Malcolm X, der wichtigste Mitstreiter Elijahs, war ein Jahr vor seiner Ermordung 1965 zum orthodoxen Glauben konvertiert.  Schon deshalb klammern sich Orthodoxe an der dünnen Hoffnung, Farrakhan werde deren eigenen Gang in die Rechtgläubigkeit nachvollziehen.

 

Optimisten behaupten, es gäbe bereits mehr Muslime als Juden in den USA, und es sind fast sechs Millionen Juden.  Nüchterne Beobachter berichten jedoch von vier Millionen Muslimen.  Eine Prognose erscheint schlüssig: Solange es den Schwarzen schlecht geht, wird es der schwarzen Nation Louis Farrakhans gut gehen.

 

Unter den Weißen hat Deen Mohammeds Weg in die Orthodoxie nicht nur Lob geerntet: Wen eigentlich habe das abendländische Amerika mehr zu fürchten?  Das schleichende Vorrücken eines angepaßten islamischen Bürgertums oder die Be­schimpfungen einer militanten halbchristlichen Sekte?  Lawrence Mamiya und C. Eric Lincoln prophezeien: Für Afro-Amerikaner werde der Islam attraktiver sein als die weißregierten christlichen Kirchen es jemals waren.

 

William Yoder

Berlin, den 22. Juli 1991

 

Verfaßt für das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ in Hamburg, 1.825 Wörter

 

Anmerkung von Dezember 2020: Warith Deen Mohammed (geb. 1933) ist 2008 verstorben. Als Nachfolger gilt am ehesten der Imam Bashir Ali in Chicago. Diese Glaubensgemeinschaft ist unter dem Namen "American Society of Muslims" bekannt. Das Oberhaupt der "Nation of Islam", Louis Farrakhan (geb. 1933), befindet sich weiterhin im Dienst.