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Katholiken stimmen nur für Katholiken

Die polnischen Kirchen nach den Wahlen im Oktober 1991

 

Gehorchen konservative polnische Katholiken ihrem Papst nicht mehr?  Am 9. Juni war Johannes Paul II. in der lutherischen Kirche Warschaus aufgetreten.  Damals versicherte er, die Toleranz sei zur Gestaltung des Verhältnisses zwischen polnischen Katholiken und Protestanten unzureichend, sie müsse vielmehr durch die Liebe ersetzt werden.  Er wandte sich ferner gegen die Volksweisheit, daß der Lutheraner ein Deutscher und der Katholik ein Pole sei.

 

Diese Aussagen stehen im geistigen Widerspruch zu einer Predigt des Bischofs von Gorzow Wielkopolski (Landsberg) Jozef Michalik Ende September.  Im Hinblick auf die kommenden Wahlen beteuerte er: "Der Katholik ist verpflichtet, für einen Katholiken zu stimmen, . . . der Muslime für einen Muslimen, der Juden für einen Juden, der Freimaurer für einen Freimaurer, und jeder Kommunist für einen Kommunisten."  Dies heißt im Klartext, daß der Katholik weder für Juden noch für Protestanten seine Stimme hergibt.  Eine allgemeine Kanzelabkündigung im gleichen Zeitraum stellte fest, der Katholik dürfe keine Partei wählen, die für die Abtreibung oder gegen den Religionsunterricht eintritt.

 

Wegen der Abtreibungsfrage u.a. schreitet das polnische Episkopat schweren Zeiten entgegen.  Im Volk war die katholische Kirche als Wächter der Nation willkommen, nicht jedoch in ihrer neuen Rolle als Wächter der Moral.  Deshalb bricht eine Kluft zwischen Hierarchie und Basis auf.  Mazowiecki's Demokratische Union schwimmt beim polnischen Episkopat unten; ihr relativer Sieg bei den Parlamentswahlen am 27. Oktober bestügtigt in augenfälliger Weise die zunehmende Entfremdung.

 

Man hört, der Kommunismus hätte die Nationalismen Osteuropas tiefgefroren aufbewahrt.  In Polen war auch die Theologie eingefroren.  Will die katholische Kirche das Tauwetter überstehen, wird sie bereit sein müssen, eine theologische Neuorientierung vorzunehmen.

 

In dieser Kluft zwischen katholischer Führung und mündiger Basis wollen sich die 74.000 polnischen Lutheraner profilieren.  Nach Kriegsende wurde Warschauer Lutheranern das Mikolaj-Rey-Gymnasium genommen.  Jetzt fordern sie vehement dessen Rückgabe.  Dieses Gymnasium soll als Sammelbecken und Brutstätte auch für kritische katholische Geister fungieren.  Senior Jan Walter, Leiter der Warschauer Diözese, versichert, zahlreiche Mitglieder der katholischen Intelligenz warten ungeduldig darauf, ihren Nachwuchs für dieses Gymnasium anmelden zu können.  Die unter Katholiken vorhandene Kluft ist nicht in gleicher Weise unter Protestanten anzutreffen.

 

Der neue Bischof der lutherischen augsburgischen Kirche, Jan Szarek, ist Pietist.  Es bestehen jedoch Indizien dafür, daß diese Kirche einen für polnische Verhältnisse liberalen Geist verkörpert.  Eine Stellungnahme der Lutheraner spricht sich gegen ein staatliches Verbot von Abtreibungen aus.  Man gewinnt den Eindruck, protestantische Kirchen hätten dem Religionsunterricht in Schulen nur zugestimmt, um den Katholiken nicht kampflos einseitigen Vorteilen zu bescheren.  Als Nebeneffekt gewinnen protestantische Theologinnen jedoch auch einen willkommenen neuen Wirkungsbereich: Ein katechetischer Studiengang wird am ökumenischen Seminar in Warschau eingerichtet.  Noch gestatten Lutheraner die Ordination von Frauen nicht.

 

Obgleich Szarek im Evangelisieren die Hoffnung für die Zukunft seiner Kirche erblickt, versichern die meisten Protestanten, daß die polnische Erweckung bereits der Geschichte angehört.  Zdzislaw Tranda, Bischof der kleinen reformierten Kirche, meint: "In den siebziger und achtziger Jahren war das eher der Fall.  Damals wenn ein Buch oder eine Kassette über Gott erschien, konnte damit gerechnet werden, daß es gekauft wird.  Jetzt ist das viel schwieriger."

 

Die Handhabung ökumenischer Belange spricht ferner für eine relative Offenheit der augsburgischen Kirche.  Im Gebiet des ehemaligen Ostpreußen genießen griechisch-katholische Gemeinden in vier lutherischen Kirchen Gastrecht.  Das ist nicht selbstverständlich, denn diese Christen - sie werden auch "Unierte" genannt - unterstehen der römischen Kirche.  Die Weigerung von katholischen Pfarreien, sie aufzunehmen, hängt damit zusammen, daß sie als vermeintliche Ukrainer dem Verdacht ausgesetzt sind, ein trojanisches Pferd zu sein.

 

Die ökumenischen Beziehungen zur römischen Kirche bleiben im allgemeinen schlecht.  Dank des Abkommens zwischen Staat und katholischer Kirche von Mai 1989 wird ihr Eigentum in großzügiger Weise zurückerstattet.  Sie bekommt sogar Besitz, der nach dem Ersten Weltkrieg verstaatlicht wurde, zurück.  Dagegen bleiben die protestantischen Kirchen sicht selbst überlassen; sie unterliegen einem langwierigen Genehmigungsprozeß.  In Warschau selbst gilt weiterhin eine Gesetzgebung von 1946: Darum bleibt das Gymnasium staatliches Eigentum, deshalb sogar wurde die ökumenische Bibelgesellschaft kürzlich dazu aufgefordert, das Haus zu räumen, das sie nach Kriegsende gekauft hatte.

 

Obwohl noch größere Armut vorausgesagt wird, versicherte mir niemand, daß Polen auf dem Wege in die Dritte Welt sei.  Dieser anhaltende Optimismus hat neben der schier unÜbersichtlichen Zahl von Parteien dafür gesorgt, daß es bei den Wahlen zu keinem politischen Erdrutsch kam.  Viele Parteien, und nicht nur die Demokratische Union, sind in der Spannung zwischen kirchlicher Hierarchie und Basis verstrickt.  Schon deshalb war von vornherein auszuschließen, daß das Episkopat seine Traumregierung bekommt.

 

Bill Yoder

Berlin, den 28. Oktober 1991

 

Verfaßt für den Evangelischen Pressedienst in Frankfurt/M., 720 Wörter.  Ein ähnlicher Aufsatz ist im Berliner Sonntagsblatt sowie im Sender Freies Berlin erschienen.