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Slowaken gespalten über die Aufspaltung der Tschechoslowakei

Slowakische Lutheraner zur Aufspaltung der Tschechoslowakei

 

In Bratislava/Preßburg bleibt die Freude über die Schaffung eines slowakischen Separatstaates geteilt.  Pavel Uhorskai, Bischof der lutherischen Kirche in der Slowakei, bedauert weiterhin die Aufspaltung des Staates, "Wir nehmen sie halt als Faktum hin," gab er resignierend zu Protokoll.  "Aber auch in dieser Lage muß die Kirche ihre Arbeit fortsetzen."

 

Bei anderen kirchlichen Funktionären ist die Zustimmung eindeutiger.  Professor Dusan Ondrejovic erkennt in den Kulturschaffenden evangelischer Konfession eine Lokomotive der Unabhängigkeitsbewegung.  "Im vergangenen Jahrhundert traten alle unserer Schriftsteller - und sie waren zu 90% evangelisch - für die Bildung eines slowakischen Staates ein," versicherte er.  "Erst im I. Weltkrieg stieß man auf die Idee, die Verselbständigung gemeinsam mit den Tschechen zu versuchen."  "Ich bin kein Tschechoslowake, sondern Slowake," steuerte dieser Dekan der evangelischen Fakultät an der Preßburger Universität hinzu, "'Tschechoslowake' ist an sich überhaupt keine Nationalität."  Seine Ehefrau, Milada Ondrejovicova, sitzt auf der Regierungsbank im slowakischen Parlament im Auftrage der HZDS, der 'Spalterpartei' Vladimir Meciars.

 

Das Slowakische soll nun seine Blütenstunde erleben.   Das Liederbuch, das um 1840 entstanden ist, wird im Laufe dieses Jahres durch ein rein slowakisches Liederbuch ersetzt: Das bisherige Buch bestand schließlich zu 80% aus Hymnen in tschechischer Sprache.  Die erste Gesamtbibel in slowakischer Sprache erblickte ohnehin gerade vor 15 Jahren das Licht der Welt.

 

Trotz allem Optimismus schimmert auch Zukunftsangst hindurch: In der Slowakei spricht die Geschichte nicht für das harmonische Zusammenleben der katholischen Mehrheit mit den 330.000 Lutheranern und den 100.000 Reformierten.  Laut Kenneth Zindle, Bischof der "Slovak Zion Synod" der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELCA), seien die Beziehungen zwischen Katholiken und Protestanten nirgends auf der Welt schlechter: "Erst vor kurzem, im II. Weltkrieg, waren die Beziehungen zwischen ihnen bis aufs Äußerste angespannt."

 

Über die Beziehungen zum neuernannten Kardinal Korec ist der amerikanische Bischof optimistisch; schließlich hatte Korec in einem kommunistischen Kerker die Zelle mit einem lutherischen Pfarrer geteilt.  Da ist Jan Steklac, ein Preßburger Theologiestudent, weniger vertrauensvoll: "Korec will den katholischen Staat," brummte er.  "Ökumenisch sind nur seine Verlautbarungen."

 

Zweifellos könnte die Aufspaltung der Tschechoslowakei einem radikalen Nationalismus Vorschub leisten.  Laut David Nelson von der "Division for Global Mission" der ELCA, "lauern die Gefahren des Nationalismus erheblich größer in einem slowakischen Staat als in einer tschechoslowakischen Föderation".  In ihrer Geschichte als Staat war die Slowakei bisher ein klerikaler, monolithischer Staat.  Der Preßburger Dekan räumte ein, daß der säkulare tschechoslowakische Pluralismus der Zwischenkriegsjahren dahin sei: "Alle staatlichen Maßnahmen müssen erst einmal durch die katholische Kirche hindurch."

 

Über ihren Groll gegenüber Tschechen und Ungarn reden die Slowaken frei heraus.  Es gehört beispielsweise zum Allgemeinkonsens, daß Ungarn alle Mächte der Assimilierung gegen die auf ihrem Gebiet lebenden Minderheiten entfachen.  Professor Ondrejovic versicherte zum Beispiel: "In Ungarn wird ein kultureller und geistiger Genozid gegen Slowaken praktiziert."  In den letzten Jahren hatten die Böhmischen Brüder der Tschechei zwischen slowakischen Lutheranern und den in der Slowakei lebenden ungarischen Reformierten vermitteln können.  Nun fallen sie als Bindeglied weg.

 

Entgegen anderslautender Meldungen wird der Ökumenische Rat der CSFR nun doch aufgeteilt.  Auch im Geringsten fühlten sich die Slowaken benachteiligt: Ein Gesprächspartner führte die Aufteilung des Rates u.a. darauf zurück, daß slowakische Pfarrer bei der Vergabe von Kuraufenthalten in der Schweiz, die der Weltkirchenrat organisierte, stets den Kürzeren zogen.  Laut Ondrejovic wurden die slowakischen Kirchen in Werken über die Kirchen der Tschechoslowakei wiederholt übergangen.

 

Durch diese neuen unbekannten Gewässer soll eine neue Kirchenbesatzung lotsen: Vor drei Jahren wurde dem alten Kirchenregiment der slowakischen Lutheraner ein jähes Ende bereitet.  Der Hungerstreik eines engagierten Laien beförderte den inzwischen verstorbenen Bischof Jan Michalko in den Ruhestand.  Als Nachfolger wurde der damals einundsiebzigjährige Theologe Pavel Uhorskai von der Orgelbank in den Bischofsstuhl katapultiert.

 

Unter den Etablierten sorgten die frischen Gesichter für Unruhe: Laie bekamen Ämter, die früher stets von Pastoren besetzt waren.  Beispielsweise ist der neue Generalsekretär, Peter Kroslak, von Beruf Ingenieur.  Uhorskai, ein ordinierter Theologe und Volksmissionar, wurde 1951 eingesperrt.  Danach mußte er sich jahrzehntelang als einfacher Arbeiter und als Kantor verdingen.

 

Einer der auch lange vor der Wende Etablierten, Dekan Ondrejovic, hält Uhorskai vor, daß die theologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte spurlos an ihm vorübergegangen seien.  "Es ist spürbar, der er die neuen Entwicklungen der Theologie nicht verfolgt hat," konstatierte Ondrejovic.  "Eine theologische Entwicklung kann ich bei ihm nicht erkennen."

 

Zweifellos ist der frischgebackene konservative Bischof ein Mann der Tat und nicht der Theorie.  Er erspäht mächtige Gegner vor sich: Kommunismus, Katholizismus, Liberalismus, und Feminismus führte er gegenüber dem Verfasser ins Feld.  Nach Ondrejovic hängt die mangelnde bischöfliche Liebe für die slowakische Verselbständigung damit zusammen, daß die Regierungspartei HZDS größtenteils aus gewendeten Kommunisten besteht.

 

Dieser Bischof ist kein bequemer Mittelstandsbürger: Verlorenes Terrain soll offensiv zurückerobert werden.  Drei florierende Gymnasien wollen an die glorreiche Vergangenheit in Bildung und Kultur anknüpfen; weitere Vorhaben befinden sich auf dem Reißbrett.  Obgleich sich nur 6,2% der Bevölkerung zu seiner Kirche zählt, kämpft Uhorskai um die juristische Gleichstellung mit der katholischen Kirche.  Im vergangenen November amtierte er bei der Beerdigung Alexander Dubceks.  Mit Genugtuung wird zur Kenntnis genommen, daß der Sproß des ehemaligen Reformkommunisten, Pavel Dubcek, dem Vorstand einer lutherischen Gemeinde im Preßburger Stadtteil Peterzalka angehört.

 

Für den geplanten steilen Aufstieg sind allerdings auch fremde Zugpferde vonnöten: Zuschüsse treffen nicht nur von der Slovak Zion Synod der ELCA, sondern zugleich von der als separatistisch berüchtigten "Lutheran Church-Missouri Synod" (LCMS) ein.  Zwischen den Kriegen lag die Missouri Synode mit der slowakischen Kirche in Fehde: In der Slowakei hatte sie drei eigene Kirchengemeinden aus dem Boden gestampft.  Inzwischen soll die LCMS jedoch eine innere Wendung vollzogen haben.  Laut Uhorskai "missioniert die Missouri-Synode heute gemeinsam mit uns, nicht um hier eigene Kirchen zu gründen."  Mindestens einmal haben die Diplomaten beider amerikanischen Kirchen dem Bischof gemeinsam ihre Aufwartung gemacht.

 

Beide amerikanischen Kirchen, die ELCA und die LCMS, buhlen um die Gunst der slowakischen Kirche.  Dabei hat die Missouri-Synode den nicht unerheblichen Vorteil, als spendenfreudiger zu gelten.  Doch so viel Eintracht kommt einem links-liberalen Lutheraner nicht gelegen.  Mit Ärger registriert Uhorskai, daß ihm die Zeitschrift der Slovak Zion Synod in die Parade fährt.  "Die Zion Synode ist jetzt sehr neidisch," folgerte der Bischof.  "Pastorin Anna Kalindova wohnt in New Jersey und redigiert die Zeitung mit.  Sie schreibt ferner Briefe an die Pfarrfrauen hier und hetzt gegen unsere Kirche.  Sie fordert, daß wir alle Kontakte mit der Missouri-Synode abbrechen sollten, weil sie die Frauenordination nicht anerkennt.  Doch wir haben bereits Frauenpastoren."

 

Ebenfalls an dieser Stelle vermißt Professor Ondrejovic das theologische Gespräch.  "Wir wissen nicht, was die Missouri-Synode heute darstellt," resümierte er.  "Vielleicht haben sie eine falsche Vorstellung von uns.  Es wäre gut für beide Seiten, wenn ein Dialog zustande käme."

 

Bill Yoder

Evanston bei Chicago, den 29. März 1993

 

Verfaßt für den „Evangelischen Pressedienst" in Chicago, 1.080 Wörter

 

Anmerkung von Januar 2021: Pavel Uhorskai (1919-2010) war lutherischer Bischof nur von 1990 bis 1994. Professor Dusan Ondrejovic (geb. 1930) ist noch am Leben; Kenneth Zindle in den USA hat im Juni 1993 auf das Bischofsamt verzichtet. Jan Chrzyzostom Cardinal Korec SJ lebte von 1924 bis 2015.