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Harald Eichhorst – ein Polizist an den Grenzen Berlins

Es lohnt sich, Vertrauen zu investieren

 

Im April 1997 feierte unser Mitglied Harald Eichhorst sein 40-jähriges Dienstjubiläum als Berliner Polizeibeamter. Im Sep­tember 1998 geht er in Rente. Bruder Eichhorst hat den Dienst­grad "Polizeidirektor" und ist seit zwei Jahren tätig als Bereichsleiter für das Informations- und Kommunikationswesen. Bei einem Großeinsatz z.B. hat er alle Fernmeldeverbindungen zwischen den oberen und unteren Ebenen der Polizei sicherzu­stellen. Seinen Schreibtisch hat er im "Mutterhaus" - d.h. Präsidium - der Berliner Polizei am Flughafen Tempelhof. Er macht keinen Streifendienst mehr, doch als Abschnittsleiter in Schöneberg vor 20 Jahren kam er wiederholt mit unserer Ge­meinde in Berührung.

 

Harald Eichhorst kam mit 18 Jahren in einer Brüdergemeinde zum Glauben; erst nach einem Wohnsitzwechsel von Lichterfelde nach Tempelhof vor zehn Jahren entschied sich die Familie für unsere Gemeinde. Bruder Eichhorst und seine Frau, Karin, haben drei erwachsene Kinder und drei Enkelkinder.

 

Wo kommst Du eigentlich her, und warum hast du dich überhaupt für den Dienst bei der Polizei entschieden?

Ich bin in Lichtenhagen bei Rostock geboren; 1951 zog meine Familie nach West-Berlin. Hier habe eine Lehre als Groß- und Außen­handelskaufmann abgeschlossen, eine Perspektive hatte ich in diesem Beruf damals aber nicht. Im öffentlichen Dienst gab es eine gewisse berufliche Absiche­rung. Ich wußte auch, daß man da sehr viel Sport machen kann. Ich hatte auch den Eindruck, daß ich mit der Rechtsmaterie einigermaßen klarkommen würde. Dort hatte ich sehr gute Entwicklungschancen. Es gibt bei der Polizei nur eine Einhalts­laufbahn: Wer mit dem mittleren Dienst beginnt, hat die Chan­ce, bis in den höheren Dienst aufzusteigen. Das ist mir glück­licherweise auch gelungen.

 

Wie hast du als Westpolizist die DDR erlebt?

Während der ersten Phase meines Dienstes arbeitete ich in Schulzendorf nördlich von Tegel. Das war mitten im Wald mit vielen Sportmöglichkeiten. Ich hatte aber auch als Bereitschaftspolizist oft Schichtdienst an der Mauer machen müssen. Das war überwiegend an der Bernauer- oder Schwedter Str., dort wo die Hausfassade selbst die Begrenzung war. Jeder in der Bernauer Str., der den Kopf aus dem Fenster hielt, befand sich theoretisch schon im Westen. Hier habe ich auch manches Tragi­sche erlebt. Ich erinnere mich auch an einen Fluchtvorgang, der in der Ausstellung "13. August" dokumentiert wird: Nachdem Enkel und Großmutter im Sprungtuch gelandet waren, eröffnete ein Volkspolizist im 2. Stockwerk ein Fenster und begann mit dem MG auf den Großvater im 4. Stock zu schießen. Aber es waren zum Glück nur Warnschüsse - auch der Großvater kam unversehrt im Westen an.

 

Unmittelbar nach dem Mauerbau gab es noch Begegnungen zwischen Polizisten an der weißen Linie in den U-Bahn-Schächten. Genau wie früher wurden Zeitungen ausgetauscht, oder sie baten um Jeans in einer bestimmten Größe und um Westzigaretten. Solche Wünschen haben wir gerne erfüllt und haben dafür unter den Kollegen gesammelt. Aber der Staat wußte um solche Kontakte und nach nicht allzu langer Zeit wurden die Polizisten und Grenzsoldaten ausgewechselt. Dann wurde ganze rigide z.B. ein Thüringer und ein Sachsen-Anhaltiner zusammengespannt, die sich nicht kannten, und möglichst jeden Tag ein anderes Team. Es durfte nicht zu Prozessen kommen, die dem östlichen Si­cherheitsdenken zuwider gewesen wären.

 

Im Herbst 1990 bekam in dann den Ruf, in den Ostteil zu gehen und im Neubaugebiet von Hohenschönhausen eine Polizeidienst­stelle umzuorganisieren und als Polizeidienstabschnitt zu führen. Das fiel mir nicht leicht: Was wir an erniedrigendem Verhalten bei den regelmäßigen Durchreisen über die Inter­zonenstrecke erlebt hatten, war noch sehr gegenwärtig. 1959 mußte ich selbst mal acht Stunden in einer Zelle verbringen - dabei versuchte man, mich für geheimdienstliche Tätigkeiten zu gewinnen. Ohne das zu verdrängen, mußte ich also einen Weg finden, diese Erfahrungen hinten anzustellen. Das ist die theologische Haltung, die man annehmen muß, wenn man dem anderen vergeben will. Man muß ihm nachsehen, was er selbst einem angetan hat, man muß bereit sein zur Versöhnung. Ich sagte mir: "Investiere erst mal Vertrauen, dann wirst du sehen, ob dieses Vertrauen zurückfließt." Die Personalakten waren ja stringent umgearbeitet worden und wir hatten nur einen Teil der notwendigen Informationen zur Verfügung.

 

Da habe ich auch die Sicherheitseinrichtung an meiner Vor­zimmertür demontieren lassen. Dort war es üblich, daß der Inspektionsleiter nicht unmittelbar kontaktiert werden durfte, sondern nur über eine Außengegensprechanlage. Ich habe meine Diensttür weitestgehend offen stehen lassen, so daß jeder der wollte, zu mir konnte.

 

Ich versuchte, meine Weisungen transparent zu machen. Ich habe Sachen nicht unerklärt zum Vollzug angeordnet, sondern auch die nötigen Informationen gegeben. Ich habe versucht, die Wahrheit zu leben. Damals kursierten viele Gerüchte. Die Menschen glaubten, sie würde irgendwann alle entlassen werden, wir suchten nur noch nach Gründen, um das zu belegen. Die Tatsache ist aber, daß ein Großteil der Volkspolizisten über­nommen worden ist.

 

In dem ersten 10 Tagen meines Dienstes hatte ich auch noch meinen Vorgänger da weil es noch keine Entscheidung gegeben hatte, was mit dem Herrn geschehen sollte. Ich hätte ihn irgendwo in ein kleines Zimmer setzen können, aber das habe ich nicht gemacht. Ich habe ihn in seinem Dienstzimmer belas­sen, obwohl es eigentlich mein Zimmer war. Ich habe zu ihm auf menschlicher Ebene ein gutes Einvernehmen herstellen können.

 

In seiner Bewerbung für die Volkspolizei hatte ein anderer Polizist geschrieben, er habe "schon immer die Machenschaften des Klassenfeindes zu bekämpfen versucht". Ihn habe ich dann zum Gespräch geholt und mit dieser Aussage konfrontiert. Aber dieser Mann war tüchtig, ich empfahl ihn zur Übernahme und er wurde auch übernommen. Doch schon nach anderthalb Dienstjahren bei uns erkrankte er an Bauspeichelkrebs und verstarb. Auf Wunsch seiner Frau habe ich dann die Trauerfeier gemacht. Das Beispiel mit dem Klassenfeind habe ich in meine Ansprache mit eingeflochten: Zunächst waren wir uns als Klassenfeinden gegenübergesessen, aber wir haben dann beschlossen, den weite­ren dienstlichen Weg gemeinsam zu gehen. Diese Entscheidung hat sich dann durch seinen späteren Einsatz bestätigt.

 

Was hast du durch diesen Dienst in Ostberlin neu über die Menschheit gelernt?

Wenn man Menschen es zutraut, sich einer veränderten Situation zu öffnen, kommt oft das Vertrauen, das man investiert, zu­rück. Auch mir wurde Vertrauen entgegengebracht. Ich habe ferner gelernt was es bedeutet, sich solidarisch zusammen zu schließen. Ich hatte einen Teil meiner Mitarbeiter nach Ost­berlin mitgenommen. Da haben wir ein ganz neues Solidaritäts­gefühl entwickelt. Ich bin noch heute mit diesen Kollegen der ersten Stunde einmal in der Woche zum Sport zusammen. Das sind Wessis, aber inzwischen sind auch Ossis dazugekommen. Ich war fast fünf Jahre da. Wir hatten das Gefühl, etwas aufgebaut und auf den Weg gebracht zu haben.

 

William Yoder,

Berlin, den 9. Oktober 1997

 

Verfaßt für den „Aufbruch“, das Gemeindeblatt der Ev.-Freikirchlichen Gemeinden Berlin-Schöniberg, Haupstraße. Deshalb wird „Bruder“ als Anrede benutzt, 1.047 Wörter.