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Afrika ist die Herausforderung

Gespräch mit Rainer Chrupala, Leiter der Europäischen Baptistischen Mission (EBM) in Kamerun

 

Die Lage in West- und Zentralafrika ist zum Verzweifeln: Ganze Staaten gehen "den Bach runter", gesellschaftliche Strukturen lösen sich auf. Von der europäischen Warte her kommt es einem aussichtslos vor. Was können wir tun, um dem entgegen zu wirken?

 

In Afrika wie auch in Europa gibt es eine Rückbesinnung auf die eigene Identität und Volkszugehörigkeit. Stammesmentalität und Tribalismus erleben eine Renaissance. Das hat automatisch zur Folge, dass Spannungen auftauchen. Zum Glück ist Kamerun ein Land mit 200 verschiedenen Stämmen, denn sie sind zugleich eine Versicherung dafür, dass es zu keiner größeren Polarisierung kommt. Es stehen sich zu viele Stammesinteressen gegenüber.

 

Es ist also doch nicht jeder gegen jeden.

In Afrika gab es über viele Jahre hinweg das Prinzip des nationalen Ausgleichs. Der Staatspräsident und die sogenannte Einheitspartei achteten darauf, dass die Funktionen, die es zu vergeben gab, möglichst ausgewogen an Menschen gingen, die den verschiedenen Stämmen angehörten. Damit es eben zu keinen Spannungen kam. Aber durch die Modernisierungs- und Demokratisierungsaufbrüche, die es seit 10 Jahren in Afrika gibt, ist in vielen Fällen ein Mehrparteiensystem entstanden, das die alten Einheitsparteien verdrängt hat.

 

Und mit dem Auftreten dieses Mehrparteiensystems hat sich die Polarisierung leider sehr verstärkt. Denn viele dieser Parteien sind nicht Zusammenschlüsse politisch Gleichgesinnter, sondern Ansammlungen von Stammesgleichen. Das schafft Spannungen.

 

Doch was können wir in Europa dagegen tun?

Die Kirchen in Kamerun sind ein vielstämmiges Gebilde von Menschen aus den unterschiedlichsten Stämmen. In den Kirchen erleben wir diese Spannungen auch und versuchen, dem entgegenzutreten. Die Kirchen sind ein Modell dafür, wie wir trotz aller Umbrüche das Gemeinsame bewahren können. Da können wir als Kirchen zur Verständigung und zum Zusammenbleiben beitragen.

 

Gibt es keine homogenen Gemeinden, die aus Mitglieder eines einzigen Stammes bestehen?

Die Tendenz ist immer wieder da: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Wenn es viele aus einem Stamm in einer Gemeinde gibt, kommen oft noch weitere Leute desselben Stammes hinzu. Dadurch entstehen neue Majoritäten in den Gemeinden. Aber viele Menschen empfinden auch, dass die interessantesten Gemeinden die gemischten Gemeinden sind: Dort geschieht am ehesten Leben und Begegnung. Es ist wohltuend, trotz aller Unterschiede die Gemeinschaft bezeugen zu können.

 

A propos Sierra Leone. Der baptistische Generalsekretär Moses Khanu hat dazu beigetragen, dass es zu einem Friedensvertrag gekommen ist. Aber es handelt sich um einen Frieden ohne Gerechtigkeit: Die Folterer und Meuchler sind gleich in die Regierung gekommen. Wäre in Sierra Leone ein besserer Weg möglich gewesen?

Dass die Folterer von gestern heute in Amt und Würden sind, hat es schon häufiger gegeben. Manchmals ist es etwas eigenartig in Afrika: Man erträgt mit großer Geduld Situationen, die wir in unserem kulturellen Bereich so nicht hinnehmen würden. Das hat etwas zu tun mit der grundsätzlich hierarchisch ausgerichteten Orientierung der Gesellschaft. Die Sache wird nicht in gleicher Weise moralisch gemessen und beurteilt wie bei uns, sie ist weniger skandalös. Alle wußten, dass Mobutu in Zaire ein grausamer Gewaltherrscher war. Trotzdem hat ihn die Bevölkerung "Papa Mobutu" genannt.

 

Im vergangenen Sommer bist du brutal überfallen und bestohlen worden. Es wäre ja bequemer, in Europa zu bleiben. Was hält dich in Kamerun?

Die Frage habe ich für mich schon am Anfang beantwortet als wir vor 18 Jahren nach Afrika gingen. Wir wussten ja von Anfang an, dass die Bequemlichkeit in Europa ist. Aber die Herausforderung liegt in Afrika. Dass es in Afrika auch viel gefährlicher ist, wurde mir erst später bewusst. Mit dem Verfall der wirtschaftlichen Strukturen hat die Kriminalität tatsächlich zugenommen.

 

Ich bleibe, weil ich die Hoffnung habe, dass es wieder besser werden könnte. Ich sehe den Überfall auf mich als Einzelfall an. Ich versuche zu generalisieren: So etwas kann jedem Menschen an jedem Fleck der Erde passieren. Dadurch hat sich meine Sicht für meine Aufgabe in Afrika nicht geändert.

 

Und diese Herausforderung ist nämlich welche?

Ich glaube, dass Gott mich in Afrika haben möchte damit ich mein Leben an der Seite meiner afrikanischen Geschwister führen kann. Ich will gemeinsam mit ihnen unterwegs sein und das werden lassen, was werden soll. Man kann es noch frommer sagen: Ich glaube, dass ich mittun soll am Werdenlassen des Reiches Gottes in Kamerun.

 

William Yoder

Berlin, den 12. Dezember 1997

 

Verfaßt für den „Aufbruch“, das Gemeindeblatt der Ev.-Freikirchlichen Gemeinde Berlin-Schöneberg, Hauptstr., 700 Wörter

 

Anmerkung von Oktober 2021: Heute lebt Pastor Chrupala als Ruheständler in Schmitten/Taunus.