· 

Junkies unter uns?

Teen Challenge und die Zukunft

 

Berlin -- Teen Challenge findet seine Klienten nicht mehr nur auf der Straße oder auf dem Strich. Pastor Frank Wecke (EFG Spandau-Süd) vertritt die Auffassung, daß die Drogensucht für Christen keine rein familienexterne Angelegenheit mehr sei. "Wir sind uns noch nicht im klaren darüber, wieviele unserer 14- bis 16-Jährigen schon Erfahrung mit Haschisch gemacht haben," sagt er. "Ich erlebe es als Gemeindepastor so, daß eine ganze Reihe unserer normalen Gemeindekinder richtige, regelmäßige Kiffer sind. Es ist heute an unseren Schulen in Berlin üblich, daß man am Wochenende kifft, und das betrifft auch viele unserer jungen Leute. Das ist heute anders als vor 20 Jahren."

 

Bruder Wecke, seit November erster ehrenamtlicher Vorsitzender des "Teen Challenge Berlin e.V.", hält es deshalb für unerläßlich, daß die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Einrichtung Aufklärungsarbeit in unseren Gemeinden leisten. "Wann kommt es mal vor, daß wir in unseren Gemeinden das Thema Drogen behandeln?" fragt er. "Ich habe den Eindruck, das Thema sei ein bißchen tabu." Schulungen in Gemeinden sowie Praktika und ein freiwilliges soziales Jahr bei sich bietet TC uns an.

 

Doch dabei bleibt uns die Not in den traditionell problemhaften Schichten erhalten. Schon seit 1975 treffen sich Drogensüchtige in der szenenweit bekannten TC-Teestube Jakobsbrunnen in der Kurfürstenstr. 34 (Tiergarten). Daniela Fritz, die bei TC eine halbe Stelle als Sozialarbeiterin innehat, beschreibt ihren ersten Besuch in dieser Einrichtung vor wenigen Jahren: "Ich fühlte mich massiv überfordert vom Ausmaß der Not, die ich in der Teestube sah." Doch damals dachte sie noch: "Diese Arbeit ist total wichtig, aber ohne mich!"

 

Dennoch stellt Bruder Wecke fest: "Ich kenne keine einzige evangelische Gruppe außer uns, die sich (in Berlin) um Drogenabhängige kümmert. Alle sonstigen Initiativen bei uns in der Vereinigung haben mit Alkohol oder Medikamentenmißbrauch zu tun." In Hannover besteht unter den Fittichen der EFG eine mustergültige und angesehene Drogenarbeit: "Neues Land e.V.".

 

Teen Challenge als Hauseigentümer

Neben dem Erwerb der eigenen vier Wände hat es in den letzten Jahren auch andere eindeutig erfreuliche Entwicklungen bei Teen Challenge gegeben. Mitarbeiter Roland Lorenz erzählt, daß sich das Betreuungsnetz verdichtet habe. Heute ist eine nahezu lückenlose Betreuung der Kranken in den gängigen Etappen Kontaktaufnahme - Beratung - Übergangseinrichtung - Therapie (nur in einer anderen Einrichtung) - Nachsorge - Gemeindeintegration möglich. Der Nachzug von weiteren Ehrenamtlichen in das Reinickendorfer Wohnhaus gestattet eine immer umfassendere Betreuung.

 

In der Übergangseinrichtung im Vorderhaus gibt es heute vier Plätze für Neuankömmlinge, die dort von acht bis 12 Wochen auf einen geeigneten und bezahlten Therapieplatz warten. Im Hinterhaus bestehen ferner zwei Plätze für betreutes Wohnen: Dort sind mit Aufenthalten zwischen sechs und neun Monaten zu rechnen. TC fühlt sich zuständig vor allem für die Arbeit vor dem Beginn einer offiziellen Therapie; Nachsorge nach der Therapie führt dieses Haus aber auch hin und wieder durch.

 

Zur Jahresmitte 1997 erwarb Teen Challenge das Wohnhaus in der Rütlistr. 18, in dem es seit 10 Jahren gewohnt und gearbeitet hatte. Diese Transaktion ging allerdings recht unglatt über die Bühne. Über den Preis konnte sich das TC mit dem Eigentümer, dem "Verband Ev.-Freikirchlicher Gemeinden in Berlin" (dem rechtlichen Arm unserer Vereinigung) nicht einigen. In der Hoffnung, den Preis günstiger gestalten zu können, war z.B. ein Brief des TC an zahlreiche evangelisch-freikirchliche Gemeinden gegangen. Schließlich bezahlte Teen Challenge inklusiv aller Nebenkosten 1,37 Mio. DM für die rund 20 Wohneinheiten. Doch wegen der vorhandenen Darlehen betrug der Erlös für den Verband nur einen Bruchteil dieser Summe. Unsere Vereinigung hatte vor 10 Jahren leise gehofft, TC würde - damals unter der Leitung von Peter Lorenz - eine offizielle Arbeit der EFG werden. Doch dazu ist es mit dieser historisch überkonfessionellen Arbeit nie gekommen. Aus diesem Grund u.a. hat sich der Verband die Veräußerung des Hauses gewünscht.

 

Gerade in Phasen ökonomischer Flaute haben es die Überkonfessionellen besonders schwer, sich wirtschaftlich zu behaupten. Das gegenwärtige Jahresbudget von TC beläuft sich auf 160-170.000 DM. Es bestehen gegenwärtig 2,5 Planstellen, die (neben einem Zivi) auf vier Personen verteilt sind. Der einzige offiziell vollzeitiger Mitarbeiter ist Roland Lorenz. Peter-Andreas (Terschi) und Doris Terschüren teilen sich eine weitere Stelle. Bruder Terschüren erzählt: "Wir hatten schon mal 190.000 DM im Jahr, aber inzwischen haben wir stellenmäßig reduzieren müssen, weil so wenig Geld da war. Eigentlich wären 190-200.000 DM für diese Arbeit erforderlich." Dieser wichtige und aufoperungsvolle Dienst geschieht inmitten einer Schar von Kindern: Terschürens haben vier junge Kinder, Roland und Wiebke Lorenz, drei.

 

Der Trägerkreis von TC hat 17 Mitglieder - vor zwei Jahren waren es noch 21. Die Beziehungen zu EFG-Gemeinden haben 1998 abgenommen. Ohne uns als Hauseigentümer ergeben sich außerdem weniger verwaltungstechnische Anlässe zur Begegnung.

 

Trotz seiner charismatischen Vergangenheit möchte sich diese seit 1970 in Berlin vertretene Arbeit nicht ins charismatische Lager abdrängen lassen. Das Ehepaar Lorenz stammt aus Gemeinschaftskreisen; Terschürens sind Methodisten. "Was ist heute noch ein Charismatiker?" fragt Bruder Wecke, selbst Leiter von "Gemeinde und Charisma" in unserer Vereinigung. Ein anderer fügt hinzu: "Wir leben hier nicht von irgendwelchen Prophetien. Was wir machen ist harte Knochenarbeit im Detail." Die methodistische Kirche ist nun erstmals finanziell an diesem Projekt beteiligt; feste Beziehungen zu methodistischen Ortsgemeinden bestehen jedoch nicht.

 

TC und wir

Längst nicht nur aus finanziellen Erwägungen wünscht sich Teen Challenge weiterhin Beziehungen zu EFG-Gemeinden. Beispielsweise werden Freiwillige für die Arbeit in der Teestube dringend benötigt. Hierzu meint Frank Wecke: "Ich merke, daß Mitarbeiter aus unseren Gemeinden, die bei TC ehrenamtlich mitarbeiten, im Laufe der Jahre sehr gereift sind. Sie sind toleranter geworden. Sie haben die Nöte von Menschen kennengelernt und sind barmherziger geworden. Da kommt auf unsere Gemeinden wieder etwas zurück, wenn wir Mitarbeiter freigeben."

 

Bei diesem Kontaktwunsch geht es umgekehrt auch darum, daß Klienten an Gemeinden weitervermittelt werden. Dies stellt harte Anfragen an uns: Sind wir bereit und fähig, ehemaligen Junkies eine Heimat zu bieten? Bekanntlich schickt uns Gott meist nicht solche Menschen, die wir uns ausgesucht hätten. Pastor Wecke sagt: "Ich denke, wer heute in unsere Gemeinden kommt, sind in der Regel kranke Menschen mit starken Problemen. Die Yuppies und die fitten Leute, die in der Arbeit von Willow Creek dargestellt werden, kommen nur in der Ausnahme in unsere Gemeinden." Er räumt jedoch ein: "Wir dürfen nicht die Illusion haben, daß unsere Gemeinden auf einen Schlag viele Drogen- und Alkoholabhängige aufnehmen können. Da müssen wir einfach realistisch sein. Aber ein paar Leute aufnehmen - so viel Kraft hat jede Gemeinde."

 

Dabei findet er es verständlich, daß viele Ehrenamtliche vom Getümmel an den Werktagen völlig abgehetzt in den Gottesdienst kommen und nur noch ihre Ruhe haben wollen. "Unsere Gemeinden sind heute nicht umsonst in einem solchen Spannungsprozeß," sagt er. "Den Wunsch, am Sonntag aufzutanken kann ich sehr gut verstehen. Aber da ist auch eine Gefahr von Egoismus dabei, da muß man beides sehen."

 

Bruder Terschüren, ein promovierter Biologe, betont, daß ehemalige Drogensüchtige auch brauchbare Menschen seien. "Viele haben eine ganze Menge Potential in sich - doch vielleicht nicht gleich auf geistlichem Gebiet. Aber ich habe schon viele erlebt, die bei praktischen Arbeiten leidenschaftlich gerne mitgeholfen haben." Ein Ehemaliger, der den Sprung geschafft hat, will auch nicht auf Dauer von einer Gemeinde als Betreuungsfall behandelt werden. "Ich weiß von einem, der sich am Anfang in der Gemeinde ganz wohlgefühlt hat. Aber irgendwann konnte er es nicht mehr hören, daß er jedes Mal gefragt wurde, wie es ihm jetzt gehe. Er wollte nur so behandelt werden wie jeder andere auch. Als Gemeindeglied kam er nicht an, und deshalb hat er dann einen Rückzug gemacht. Das ist mir ein großes Anliegen: Wie gehen wir in den Gemeinden mit solchen Menschen um?" Wenn eine Gemeinde als familiärer Klüngel nur nach innen Wärme ausstrahlt, schaffe kein Ehemaliger den Anschluß.

 

Weitere Informationen gibt es direkt bei TC: Rütlistr. 18, 13407 Berlin, Tel.(030) 456 55 65, Fax: 456 84 12.

 

Bill Yoder

Berlin, etwa Januar 1999

 

Verfaßt für „Wort und Werk“ und die baptistische Zeitschrift „Die Gemeinde“, 1.276 Wörter