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Bill Hybels in Berlin-Charlottenburg

Wir sind "schwerfällig wie ein Tanker"

 

Am 18. Februar 1999 folgte Pastor Bill Hybels einer Einladung in die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Berlin-Charlottenburg. Das Thema des Abends lautete: "Suchet der Stadt Bestes". In seiner Rede vor vollbesetzten Bänken betonte der Gast die sehr zentrale Bedeutung von Gemeinden überhaupt: "Die Gemeinde ist die Hoffnung der Stadt." Hybels' Gemeinde, die "Willow Creek Commu­nity Church" in einem Vorort von Chicago/USA, wird wöchentlich von bis zu 16.000 Menschen be­sucht.

 

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde deutlich, daß sich die diakonischen Aktivitäten von Berliner und Brandenburger Christen sehen lassen können. Die Berliner Stadtmission nimmt diakonische Aufgaben unter Behinderten, Senioren, Obdachlosen, mißhandelten Frauen und Flüchtlingen wahr. Ev.-Freikirchliche Gemeinden arbeiten an Projekten u.a. für Alkoholiker, Arbeitslose und Drogensüchtige. Nicht nur der Bürgermeister und Sozialreferent der schwergeprüften Stadt Guben sind Christen bzw. Baptisten - das ist der inzwischen aus dem Fernsehen bekannte Streetworker von Guben, Ingo Ley, auch.

 

Dennoch bleibt unseren Gemeinden ein mit Willow Creek vergleichbarer geistlicher Aufschwung verwehrt. Beim Aufzählen unserer Mängel hieß es z.B., Gemeinde sei allzu häufig ein Binnenereignis für das eigene Klientel. Dr. Dietmar Lütz, Geschäftsführer des Ökumenischen Rates in Berlin und Brandenburg, stellte ein voreiliges Selbstbemitleiden fest, schließlich hätten wir "kein angestammtes Recht" auf öffentliche Anerkennung. Unser traditionelles Zögern, den Weg in die Öffentlichkeit zu wagen, bemängelten mehrere Redner.

 

Pfarrer Hans-Georg Filker von der Berliner Stadtmission folgerte: "Wir sind manch­mal so schwerfällig wie ein Tanker" wenn es darum gehe, Menschen zu Jesus einzuladen. Sehr viel eher "schrubben wir das Deck und gucken, ob die Kabinen alle in Ordnung sind". Er meinte ferner: "Wir 'elitieren' uns zu schnell. Ich merke bei Freikirchlern auch, daß viele den praktizierten Glauben den Pastoren übertragen haben."

 

Wiederholt wurde die Frage nach der Konkretisierung gestellt: Was können und wollen unsere Gemeinden tun? Volker Tepp, Pastor der EFG Berlin-Moabit, verwies auf Pläne, dem noch nicht vorhandenen Lehrter Zentralbahnhof mit einem Kirchencafé zu versehen. Pfarrer Filker bezeichnete die Neubauten am Potsdamer Platz als einen "religions­freien Raum". "Da haben wir auch einen problemfreien Raum," fügte er hinzu, "denn jeder, der Probleme hat, wird vom Ordnungsdienst beseitigt." Deshalb sei seine Mission im Gespräch mit Senat und Investoren, "um eine christliche Präsenz am Potsdamer Platz" zu schaffen.

 

Pastor Thomas Bloedorn, Leiter der Bibelschule Elstal, plädierte für eine "Verlängerung der Theologie" zu den Menschen hin. "Wenn wir nur noch sagen, 'Du brauchst Jesus' und wir Jesus mit seiner Liebe zu den Menschen nicht mehr repräsentie­ren, dann haben wir was falsch gemacht." Pfarrer Filker ermahnte die Zuhörer, ihre Herzen und Häuser den vielen Menschen zu öffnen, die dem Umzug der deutschen Hauptstadt nach Berlin folgen werden. In der Aktion ProChrist 2000 sieht er eine großartige Chance, den Berlinern das Evangelium zu proklamieren.

 

In seinem Vortrag hatte Pastor Hybels ein individuelles Evangeliumsverständnis vertreten, das der strukturellen Schuld wenig Raum läßt. Öffentliche Programme greifen immer zu kurz: "Wir werden die Stadt nur einen Menschen nach dem anderen verändern können." Im Beisein der Charlottenburger Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel wurde dennoch immer wieder auf die Notwendigkeit politischen Engagements hingewiesen. Hans-Georg Filker z.B. verwarf ein idealistisches Verständnis von Politik: "Da muß man ganz kleine Brötchen backen, und das ist schwer, aber das ist Dienst. Das ist auch kein schöner Job, oder möchten Sie heute Abend Innensenator oder Polizeipräsident sein? Guben ist Knochenarbeit und ich bewundere die Politiker, die sich die Finger schmutzig machen lassen." Ferner sprach er sich gegen das Beschränken der traditionelle "Gabensuche" in den Gemeinden auf Jungscharleitung und Bibelstunde: "Es gibt auch andere Gaben." Dietmar Lütz fügte hinzu: "Sind wir bereit zu lernen, um auf dem Niveau von Staatssekretären über Sachthemen vernünftig mitreden zu können? Sind wir bereit, solche Kosten zu tragen?"

 

Gleichzeitig warnten mehrere Redner davor, Gemeindegliedern einen unerträglichen Erwartungsdruck auszusetzen. Pastor Bernd Wittchow vom Suchthilfezentrum Eichendorfer Mühle wies darauf hin, daß eine professionelle Therapie durch das Wirken wohlmeinender Mitmenschen gar nicht ersetzt werden könne. Dennoch können sie Suchtkranke hin und wieder zu sich nach Hause einladen. Daran liege der sehr spezifische Beitrag "normaler" Gemeindeglieder.

 

In seinem Schlußwort griff auch Bill Hybels die Frage nach konkreten Schritten zur Veränderung auf. "Veränderung in der Gemeinde beginnt immer mit der Lehre," versicherte er. "Die Lehre muß theologisch rein sein, wenn sie für die Stadt relevant sein soll." Zwei weitere Schritte bezeichnete er als "Vorleben" und "Motivieren". "Die Menschen achten sehr genau auf die Lebensführung ihrer Leiter. Wenn die Leiter der Gemeinde nicht vorbildlich leben, machen sie die Lehre zunichte."

 

Dr. William Yoder

Berlin, den 20. Februar 1999

 

Pressemitteilung der Vereinigung Berlin-Brandenburg im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, 720 Wörter

 

Anmerkung von November 2021: Des zwischengeschlechtlichen Fehlverhaltens beschuldigt, trat Bill Hybels (geb. 1951) im April 2018 als Leitender Pastor von Willow Creek zurück.