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Zur Lage der Protestanten in Jugoslawien

Klein aber souverän

 

In der Kleinstadt Backi Petrovac beherbergt die Bibelschule des "Christlichen Evangelistischen Zentrums" (KES) nur etwas weniger Nationen als Bibelschüler: 18. Darüber freut sich diese Einrichtung unweit von Novi Sad in der nordserbischen Wojwodina. Schließlich ist die Multiethnizität das große Pfund der Freikirchen überhaupt. Doch an einem Gebrechen der einst jugoslawischen Staaten leiden auch die Evangelikalen: Sie alle sind lieber klein und souverän als groß und mitbestimmt.

 

Um dem Wildwuchs entgegenzuwirken und den historischen Freikirchen ein einheitliches Auftreten gegenüber dem Staat zu ermöglichen, ist in den letzten 10 Jahren eine Evangelische (bzw. Evangelikale) Allianz entstanden. Obwohl sie angibt, rund 11.000 Gläubige zu vertreten, macht die größte Pfingstkirche des Landes, die von der Belgrader Zentrale Simina 8 aus geleitete "Protestantische Evangelikale Kirche", nicht mit. Auch ein evangelikaler Frauenverband hat sich jüngst von der Allianz verabschiedet.

 

Obwohl der Bombenhagel von März bis Juni 1999 die Evangelikalen näher zusammenführte, bedeutete er für die Beziehungen zur Orthodoxie eine schwere Prüfung. Vor allem in Novi Sad, Belgrad und Nis wurden Gebäude der Freikirchen von Mobs beschädigt. Für geopolitisch denkende Theologen war die NATO-Intervention nichts weniger als ein Angriff des Weltprotestantismus auf die Orthodoxie schlechthin. Gerade in diesem Kontext - und noch vor dem Besuch Jesse Jacksons - ist der weitschweifende, verzweifelte Brief an die Baptistengemeinden der Welt entstanden, der vom Nachrichtendienst der "Europäischen Baptistischen Föderation" verbreitet worden ist.

 

Doch trotz allen Schmerzes wird nach Angaben eines jugoslawischen Staatsbürgers ungarischer Abstammung eine nationale Katharsis auf sich warten lassen. Die "Stuttgarter Erklärung" von 1945 ist von oppositionellen Kreisen als denkbares Muster bereits veröffentlicht worden. Dass jedoch die NATO-Intervention eine mittelbare Folge des serbischen Tuns in Vukovar, Sarajevo und Srbrenica sein könnte, ist dem Volk noch längst nicht eingefallen. Nicht nur Gläubige serbischer Nation sind der Auffassung, es sei der NATO keineswegs um die Menschenrechte der Kosovaren gegangen, sondern darum, auf dem Balkan festen Fuß zu fassen. Die zu Lebzeiten der DDR bekannte Ansicht, die Gläubigen auf der jeweils anderen Seite hätten verstärkt ihrem eigenen System zu widerstehen, ist auch im Hinblick auf Serbien verbreitet.

 

Belastet ist das ökumenische Klima ferner durch den Verdacht des Proselytismus. Ein von Lutheranern, Reformierten und Methodisten geführtes Hilfswerk, die "Ökumenische Humanitäre Organisation" (EHO), ist bemüht, Kinder aus den verschiedensten ethnischen Kreisen zusammenzuführen. Kulturübergreifende Aktivitäten können jedoch rasch den Argwohn des konservativen Teils des orthodoxen Klerus nach sich ziehen. Um Vorwürfe des Proselytismus scheren sich die Evangelikalen wenig. Diesem Vorwurf begegnete ein baptistischer Theologe jüngst mit dem Hinweis, es gäbe sogar unter den Lutheranern der Wojwodina keinen einzigen, gläubigen Pfarrer. Wen wundert's, wenn dann die traditionellen Volkskirchen mit Etiketten wie Sektiererei erwidern?

 

Doch in ihrem humanitären Wirken läuft es unter den Protestanten gut. Bei der in Novi Sad beheimateten EHO lagen die ausländischen Spenden für 1999 300% über jene des Vorjahres. Das von Baptisten und Pfingstlern geführte "Brot des Lebens" hat sich zum aktivisten in Belgrad tätigen Hilfswerk gemausert. Auf die Regierung machte die schnelle Hilfe der Protestanten während und nach den Bombenangriffen von 1999 einen positiven Eindruck; die polizeilichen Sicherheitskontrollen in der zweiten Jahreshälfte überstanden sie problemlos. Noch als die Sirenen heulten suchte der US-Amerikaner David Troyer, ein Vertreter der konservativ-mennonitischen "Christian Aid Ministries", das Belgrader Ministerium für Religiöse Angelegenheiten auf. Ein humanitär tätiges Ehepaar, das US-Ehepaar John und Holly (Nachname gelöscht), hat sogar für die gesamten 78 Tage der NATO-Angriffe in der jugoslawischen Hauptstadt ausgeharrt. Trotz aller Visaschwierigkeiten schlug sich schon im November die britische Reise- und Missionsgesellschaft "Oak Hall" mit humanitären Gütern und 80 Besuchern bis Backi Petrovac durch. Das war deren 32. Fahrt nach ex-Jugoslawien in den 90er Jahren.

 

Auf dem Bildungssektor hofft der Belgrader Theologe Alexander Birvis, in diesem Herbst die lange geschlossenen Tore des baptistischen Seminars in Novi Sad wieder zu öffnen. Er rechnet dabei eventuell auch mit ausländischen Studierenden aus Mazedonien, Bulgarien und Rumänien

 

Dennoch läßt sich das gegenwärtige Tröpfchen auf dem heißen Stein nicht mit der für Kosovo gespendeten Hilfe vergleichen. Ein baptistischer Hilfswerkvertreter aus Schweden behauptet, es gäbe 286 humanitäre Organisationen, die im Kosovo tätig sind. In Serbien beläuft sich die Zahl offizieller Hilfswerke auf etwa 10. "Kirchliche Hilfsaktionen werden von den Westmedien bestimmt," resümiert er, "nicht vom Heiligen Geist".

 

Nichtsdestotrotz bleibt es unvorstellbar, dass es Jugoslawien gelingt, sich dauerhaft vom Westen abzukoppeln. Die Belgrader Botschaft der USA ist zwar verriegelt und mit Hakenkreuzen beschmiert, aber die Schlangen auswanderungsbegieriger junger Erwachsener, die die kanadische Botschaft umschwärmen, wurden durch die Geschehnisse des vergangenen Sommers nicht kürzer. Eine für ihre goldenen Halbbögen bekannte amerikanische Boulettenkette macht in Belgrad reißenden Umsatz. Jan Valent, Bischof der slowakischen Lutheraner in der Wojwodina stellt lapidar fest: "Auch wenn der Balkan der Schwanz von einem Körper ist, gehört er dennoch zu Europa." Zweifellos werden die Nationen, die wesentlich zum strukturellen Abbau Jugoslawiens beigetragen haben, auch für dessen Wiederaufbau zu sorgen haben. Dazu sind keine anderen Staaten fähig.

 

Dr. William Yoder

Berlin, den 30. Januar 2000

 

Verfaßt für die serbisch-orthooxe Presse in Deutschland, 792 Wörter.