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Kuba: Eine Kirche der Großeltern und Enkel

Eine Rede des Brasilianers Nilson Fanini auf der Ratstagung des Weltbundes in Havanna Anfang Juli 2000 hat Pastor Elimar Brandt ganz besonders beeindruckt. Dabei meinte der ehemalige Präsident des Baptistischen Weltbundes (BWA), es seien gerade leere Kirchen, die den Baptismus auszeichneten. Pastor Fanini, der übrigens vor zwei Jahren auf der Schöneberger Konferenz "Baptists in Worship" gepredigt hat - sprach ferner von einem "ungelesenen Buch" und von "ungenutzten Knien". Gerade hier, im Grundsätzlichen, erkannte er die gravierenden Schwächen des Baptismus in der sogenannten Ersten Welt.

 

In Kuba kann von leeren Kirchen allerdings keine Rede sein. Denn erstens verfügen die dortigen Baptisten über nur wenige Kirchenbauten, und zweitens, erleben sie einen atemberaubenden Aufschwung. Kuba und Myanmar (das ehemalige Burma) sind die beiden Länder, in denen gegenwärtig die Gemeinde Christi am schnellsten wächst. Auch deshalb fallen in kubanischen Gemeinden die große Zahl älterer und jüngerer Menschen auf, denn es ist die Generation mittleren Alters, die in den 60er und 70er Jahren vom christlichen Glauben abgekommen ist.

 

Obwohl sich die meisten kubanischen Baptisten notgedrungen sehr dezentral in übervollen Familienhäusern und Wohnungen treffen, legt Bruder Brandt Wert auf die Feststellung, dass die Gemeinden nicht unorganisiert seien. "Die ackern richtig an Gemeindekonzepten," stellt er mit Überraschung fest. "Manche ihrer Begriffe sind uns aus dem Management vertraut: Leitbild, Vision, Zielsetzung. Die Gemeinden sind gut organisiert und strukturiert, aber das Entscheidende bleibt doch das Beten und das Gespräch über die Bibel."

 

Besonders erfreut war Pastor Brandt ebenfalls über den auf der Ratstagung offenkundigen Geist der Versöhnung. Erstmals haben die baptistischen Bünde von Ost- und Westkuba eine Konferenz gemeinsam verantwortet. Ihre schon über ein halbes Jahrhundert währende Dissonanz ist ein Ergebnis der Spannungen zwischen den "Südlichen" und "Amerikanischen" Baptisten der USA. "Die jungen Leute können diese Spaltung sowieso nicht verstehen," meint Bruder Brandt. "Wenn ihnen diese Spannung nicht noch eingeimpft wird, werden sie sie schnell beseitigen." Auch ein junger, politisch linker Gemeindebund, der von Raul Suarez geleitet wird, war mit von der Partie.

 

Nahezu alle älteren Prediger hatten in den 60er Jahren Bekanntschaft mit schwedischen Gardinen gemacht. Dennoch haben sie in Havanna vorwurflos von ihren Erlebnissen und den ehemaligen Peinigern erzählt. Auch wie kaum woanders auf der Welt erleben in Kuba die verschiedenen Rassen ein einmalig unbefangenes und inniges Miteinander.

 

Nichtsdestotrotz bleibt auch die einzigartige Armut des kubanischen Volkes in trauriger Erinnerung. Elimar Brandt hat nicht wenige Länder der Erde besucht, die noch viel ärmer sind als Kuba. Doch erst in Kuba stieß er auf ein besonders offensives und prägnantes Betteln. Die aufdrängelnde Bereitschaft sogar von Teenies, ihre Körper dem nächststehenden Touristen zu veräußern, erweckte bei vielen Gästen Entsetzen und Sorge.

 

U.a. auch deshalb kann sich Bruder Brandt des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die kubanische Revolution ihrem Ende zuneigt. Die Lage vergleicht er mit Ungarn im Sommer 1989 und meint: "Wenn Fidel Castro abdankt, wird es zu größeren politischen Veränderungen kommen. Ob das alles zum Besseren sein wird, wage ich aber zu bezweifeln."

 

William Yoder

Berlin, den 1. August 2000

 

Verfaßt für den „Aufbruch“, das Gemeindeblatt der EFG Berlin-Schöneberg, Hauptstr., 484 Wörter

 

Nachtrag von November 2021: Wir haben uns geirrt. Schon als ich im Oktober 1993 Kuba besuchte, äußerte ich privat die Auffassung, daß die Tage „des Systems“ gezählt seien. Fidel Castro ist bekanntlich erst im November 2016 verstorben. „Dieses System“ hat sich als äußerst zäh erwiesen und ich bewundere jene Menschen, die aus Überzeugung weiterhin dort durchhalten wollen.