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Der jetzige Stand bei den Baptisten im Gebiet Kaliningrad

Bestandsaufnahme und Vergleich

 

Am 11. August 2002 erlebte Anatoli Krikun, Pastor der größten Baptistengemeinde Königsbergs/Kaliningrads, eine Sternstunde. An dem Sonntag feierte die Gemeinde im weitläufigen Bethaus in der Uliza Gagarina 18 den Abschluss des ersten, dreijährigen Bibelschullehrgangs. Diese kleine Bibelschule mit bis zu 20 Schülern ist die große Hoffnung des Pastors; ab sofort wird die Zahl der jährlichen, zweiwöchigen Unterrichtseinheiten von zwei auf fünf aufgestockt. Lehrer sind die nebenberuflich tätigen Dozenten der Aussiedler-Bibelschule Bonn. Gerade wegen dieser Schule ist neben dem Bethaus ein Internat entstanden. Da können übrigens auch deutsche Gäste vorzüglich und preisgünstig übernachten und frühstücken.

 

Im gesamten Köngisberger Gebiet gibt es nur 800 Baptisten, die Hälfte davon in der Hauptgemeinde Königsberg. Weitere größere Gemeinden gibt es in Preußisch Eylau/Bagrationowsk, Palmnicken/Jantarny, Tapiau/Gwardejsk und Tilsit/Sowjetsk sowie „Königsberg II“. Insgesamt bestehen 10 Predigt- und Versammlungsstätten; weitere Pastoren befinden sich in der zweiten Königsberger Gemeinde und in Preußisch Eylau. Abgesehen von der Teilnutzung der alten Kapelle in Palmnicken steht den Baptisten keine deutsche Kapelle mehr zur Verfügung. Das imposante Bethaus hinter dem Königsberger Königstor wurde im August 1998 eingeweiht. Dank erheblicher Eigenleistungen schlug sie mit nur 500.000 DM zu Buche; hier war der Schweiß russisch, das Geld, deutsch. Dabei fungierte der gelernte Ingenieur Anatoli Krikun als Bauleiter.

 

Zum Evangelisieren besteht mehr als genügend Anlass: Gerade ist Tapiau dran gewesen, Versammlungen in Insterburg/Tschernjachowsk und Friedland/Prawdinsk sind in der Planung. Über Sommerlager für Kinder erhoffen sich die Gemeinden Zugang auch zu deren Eltern. Seit 2002 verfügen die Baptisten über einen Linienbus als Schenkung aus Deutschland; doch bisher sind keine gemeindenahen Firmen als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme entstanden. Begründet wird dies mit der Undurchdringlichkeit des russischen Gesetzesdschungels.

 

Kaum bekannt doch keineswegs zu vernachlässigen sind die kleinen Versammlungen der sogenannten Initiativniki, der nichtregistrierten Baptisten. Auch sie gibt es in Königsberg; der schicke Kapellenneubau im ehemaligen Pferdeparadies Trakehnen wurde von deutschen Aussiedlerkreisen finanziert. Diese Gemeinde hält sich zu den Initiativniki, doch inzwischen wohnt deren Pastor in den USA.

 

Viel Kummer bereitet den russischen Baptisten die Tatsache, dass es sich in diesem Gebiet um eine sich ständig bewegende Drehtür handelt. Nach Pastor Krikun habe sich in den letzten 30 Jahren die Mitgliedschaft seiner Gemeinden fast 100-prozentig ausgetauscht – die leitende Schicht erst recht. Wer es aufgrund eines „ungeeigneten“ Stammbaums nicht nach Deutschland schaffte, versuchte es jenseits des Großen Teichs. Allein 20 Königsberger Chormitglieder befinden sich inzwischen in den USA. Doch trotz dünner Besetzung bleibt dieser Chor ein Ohrenschmaus.

 

Die Baptisten sind dennoch russischer und einheimischer als die zahlenmäßig stärkeren Lutheraner, die inzwischen 42 Ortsgemeinden und 3.000 Mitglieder aufweisen. Die lutherischen Gottesdienste sind eindeutig „deutschfreundlicher“, denn deren Gottesdienste werden zumeist simultan in Deutsch und Russisch abgehalten. Bei den Baptisten bleibt die Türschwelle für deutsche Gäste hoch: In der Ul. Gagarina z.B. wird Gästen nicht einmal ein russisches Liederbuch gereicht. Doch zweifellos ließe sich dieser Tatbestand relativ problemlos verändern.

 

Sehr interessant ist, dass die Baptisten mit großem Zeitabstand die erste im Gebiet registrierte Glaubensgemeinschaft wurden. Das geschah bereits 1967, 21 Jahren vor der Registrierung der Orthodoxie. Zu der Zeit mussten die wenigen Lutheraner noch nach Litauen ausweichen, wenn sie einen Gottesdienst der eigenen Benennung erleben wollten. Baptisten haben große Familien, geistliche Substanz und eine 35-jährige Vergangenheit in der Enklave. Darauf schielen die Lutheraner mit Neid, die als Neulinge 1990 hinzukamen. Die Kehrseite lautet, dass Lutheraner eine größere theologische und soziologische Vielfalt an den Tag legen und so eher über Zugang zur Gesellschaft und Ökumene verfügen.

 

Die Königsberger Baptistengemeinde gilt als eindeutig konservativ, die Jugend wandert in andere Gemeinden ab. Auch Pastor Krikun ist konservativ, aber er ist kein Eigenbrötler. Auf eine Mitarbeit in der jungen, von Pfingstlern, Baptisten und Lutheranern getragenen Ev. Allianz legt er großen Wert. Er hat längst erkannt, dass ein gemeinsames Auftreten gegenüber der übermächtigen Orthodoxie und den staatlichen Stellen von Vorteil ist. Nicht selten sind die Beziehungen zu den Lutheranern – z.B. in Friedland – ausgesprochen herzlich. Doch nach wie vor – so meinte ein Baptist in Königsberg – seien 20% der Mitglieder jeglicher zwischenkirchlichen Zusammenarbeit abhold. Bei zwei evangelistischen Abenden Anfang September in der Stadthalle „Junost“ blieben die etwa vier Königsberger Pfingstgemeinden als Veranstalter unter sich. Evangelist war Wolfgang Wegert von der Hamburger Gemeinde „Arche“.

 

Dr. William Yoder

Berlin, den 14.September 2002

 

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