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Eine Russische Evangelische Allianz gibt es wieder

Am 2. April wurde in Rumjanzevo bei Moskau die Neugründung der Russischen Evangelischen Allianz ausgerufen. Beschlossen wurde der Schritt von einem Großteil der mehr als 150 Teilnehmern aus über 40 Kirchen, Vereinen, Werken, Missionen und Ortsallianzen. Erst bei der nächsten nationalen Konferenz in einem Jahr soll eine endgültige Verfassung verabschiedet werden. Zu klären sind noch Einzelheiten der Mitgliedschaft, Finanzen und Leitungsform. Einig waren sich die Delegierten, daß der Aufbau einer jährlichen Gebetswoche, gemeinsame Bibelkonferenzen und Evangelisationen sowie die Wahrnehmung einer sozialen und politischen Verantwortung zu den künftigen Arbeitsschwerpunkten gehören.

 

Gordon Showell-Rogers (London), Generalsekretär der Europäischen Evangelischen Allianz, zeigte sich über den starken Wunsch nach der Gründung einer Allianz erfreut. „Es traten eine Menge Meinungsunterschiede im Laufe unserer Zusammenkunft auf, doch dabei wurde immer wieder betont, daß wir zusammenarbeiten müssen. Und die Menschen haben nicht widerwillig eine Zusammenarbeit hingenommen, sie stimmten der Sache mit Leidenschaft zu.“

 

Dr. Wladimir Rjagusow, Rektor des Moskauer Seminars der Baptisten und Vorsitzender des Gründungskomitees fügte hinzu: „Mich hat die Einheit der Delegierten überrascht. Sie sind sich im Klaren, was eine Evangelische Allianz für Russland bedeutet und welche Aufgaben auf sie zukommen.“ Dabei räumte er ein, daß eine Reihe der geladenen charismatischen und pfingstlerischen Gruppierungen nicht erschienen sind. Es ist auch kein Vertreter des konfessionellen Luthertums im Sinne der in Russland aktiven „Missouri-Synode“ gekommen. Die Angst vor Souveränitätseinbüßen und übergreifenden Organisationen überhaupt gehören zum Erbe des russischen Protestantismus.

 

Dennoch plädierte Rjagusow in einem Referat für das Bündeln mancher kirchlichen Dienste. Für ihn gehe es z.B. nicht an, daß drei kleine Gemeinden in einem entlegenen Dorf in diesem dünnbesiedelten Flächenstaat jeweils von einem eigenen Pastor der entsprechenden Benennung betreut werden während anderweitig Tausende vom Evangelium nichts zu hören bekommen.

 

Dabei mangelte es keineswegs an Bekundungen guten Willens. Der methodistische Bischof Dr. Rüdiger Minor (Moskau) versicherte: Da russische Methodisten die Blankenburger Allianzkonferenz bereits kennen- und liebengelernt hätten, „stimmen sie mit Begeisterung der Idee einer Allianz zu“. An die Delegierten gewandt meinte Siegfried Springer (Moskau), Bischof der „Evangelisch Lutherischen Kirche im Europäischen Russland“ (ELKER): „Wenn Sie mich brauchen für irgend etwas, bin ich für Sie da. Und ich habe das Vertrauen, daß wenn ich Hilfe brauche, ich auch zu Ihnen kommen darf. Es ist der eine Geist, der uns eint und trägt.“ Vertreten war seine Kirche vor allem durch eine Delegation aus Saratov/Wolga.

 

Die Konferenzveranstalter legten Wert auf die Feststellung, daß es sich bei der russischen Allianz keineswegs um eine Neuerscheinung handelt. Im Jahr 1906 war die Erstgründung einer Russischen Allianz erfolgt. Der damalige Zusammenschluß ging jedoch im folgenden Jahr in einem Streit über die Tauffrage zwischen den Baptisten und den aus der Orthodoxie stammenden Neomolokanen zu Bruch. Schon 1896 wurden westeuropäische Allianzvertreter beim Zaren in Sachen Glaubensfreiheit vorstellig; für den Kauf des Allianzhauses in Bad Blankenburg/Thüringen haben 1902 auch russische Gläubige gespendet.

 

Seit Mitte der 90er Jahre haben sich Allianzaktivitäten auf regionaler Ebene entwickelt; heute bestehen regionale Allianzen in Krasnodar, Perm, Saratov, Izhevsk, Omsk und Odessa. Seit vier Jahren erscheint das Heft zur Allianz-Gebetswoche auf Russisch.

 

Die Moskauer Anwältin und Baptistin Jekaterina Smyslova betont: „Staatliche Stellen stufen uns Protestanten häufig als Eintagsfliege und das Produkt ausländischer Missionen ein. Wenn sie nun erkennen, daß wir heimisch sind und auch mit einer Stimme sprechen, wird es unser Ansehen in der Gesellschaft heben.“ Inzwischen verfügt Russland über 720.000 Protestanten. Sie stellen 0,5% der Bevölkerung.

 

Mit von der Partie in Rumjanzevo war Pastor Ulrich Materne (Wittenberge), Referent der Deutschen Allianz für Russland. Er engagiert sich seit Jahren für den Aufbau einer russischen Allianz.

 

Dr. William Yoder

Berlin, den 4. April 2003

 

Veröffentlicht im Auftrag der Russischen Evangelischen Allianz, 580 Wörter