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3. Jahreskonferenz der Russischen Evangelischen Allianz

Protestanten verdienen den gleichen Respekt

 

Protestanten verdienen den gleichen Respekt wie alle anderen großen religiösen Gemeinschaften Rußlands. So äußerte sich der konfessionslose Religionswissenschaftler Remir Lopatkin (Moskau), Professor an der „Russischen Akademie für Staatsdienste beim Präsidenten“ am 1. April im Moskauer Stadtteil Nowo-Iwanowskoje anläßlich der dritten Jahresversammlung der Russischen Evangelischen Allianz. In den letzten 400 Jahren seien Protestanten wiederholt von Zaren ins Land geholt worden, hierbei trugen sie wesentlich zum Aufbau des Landes bei. Im 19. Jahrhundert z.B. waren 20% der Armeeoffiziere protestantischen – vor allem lutherischen - Glaubens. Doch nach 1990 – so Professor Lopatkin – versäumten die protestantischen Kirchen die einmalige Chance, eine eigene Elite zu bilden, die maßgebend Einfluß auf die Gesellschaft ausüben könnte. „Warum haben Sie das nicht gemacht?“, fragte der Professor. „Sie haben das gleiche Recht, als Russen anerkannt zu werden.“ Er bemängelte ferner das gänzliche Fehlen protestantischer Literatur in allen größeren russischen Buchläden. Viele Aversionen den Protestanten gegenüber seien auf Unwissen seitens der orthodoxen Mehrheit zurückzuführen. Jedoch gibt es nach Jurij Sipko (Moskau), Bundesvorsitzender der Union der Evangeliumschristen-Baptisten, hohe orthodoxe Stimmen, die für ein sachliches Verhältnis eintreten. Auch die orthodoxe Hierarchie würde sich – so Sipko - über die primitiven anti-protestantischen Ausfälle von Agitatoren wie Alexander Dworkin und Andrei Kurajew schämen.

 

Der baptistische Philolog Igor Podbereskij, Professor an der Akademie der Wissenschaften, bemängelte jedoch, daß das neue Religionsgesetzt von allen christlichen Kirchen nur die orthodoxe erwähne. Die Verhältnisse verdeutlichte er anhand eines Fußballspiels: „Der Staat spielt gemeinsam mit den Orthodoxen gegen alle anderen Kirchen und schießt mit großem Erfolg Tore.“ Als Beitrag zur Behebung der Mißstände plädierte Podbereskij für eine koordinierte Zusammenarbeit aller protestantischen Konfessionen. Dabei erwähnte er die Frauenarbeit, das gemeinsame Schaffen von Webseiten und theologischen Werken sowie einer Enzyklopädie des Protestantismus. Der lutherische Pfarrer Gottfried Spieth (Moskau) betonte gegenseitigen Respekt und eine Lernfähigkeit der Kirchen, um im wertfreien Zeitalter des Postmodernismus die Wahrheiten Gottes hochzuhalten zu können.

 

Überhaupt spielten Fragen der Öffentlichkeitsarbeit eine führende Rolle bei dieser Tagung von 80 kirchenleitenden Protestanten. Die Journalistin Zoja Bardina (Moskau) fragte: „Wie müssen wir die Pastoren erziehen, damit sie ein richtiges Verhältnis zu den Medien bekommen?“ Der protestantische Theologe Dr. Gennadi Sergienko (Moskau) stellte fest: „Unsere Häupter bleiben in den Wolken. Wir weigern uns, den Platz für unsere Gemeinden in der heutigen Gesellschaft zu suchen.“

 

Angesichts zunehmenden Widerstands seitens der russischen Orthodoxie plädierten Redner für ein schließen der eigenen Reihen. Pastor Ulrich Materne (Wittenberge), Referent der Deutschen Allianz für Osteuropa, fragte im Hinblick auf die verschiedenen Konfessionen: „Können wir uns am Erfolg anderer freuen? Wir denken nur an die eigene Gemeinde. Das Konkurrenzdenken macht das Evangelium unglaubwürdig. Aber wir brauchen einander weil wir an der gleichen Sache arbeiten.“ Der Vertreter einer neugegründeten Allianz in Miass im Ural berichtete: „Ursprünglich kamen wir zusammen, um gemeinsam gegen die Orthodoxen zu streiten. Doch dann erkannten wir, daß wir zuerst unter uns einig werden müssen.“

 

Für die nächste Zukunft wünscht sich die russische Allianz das Gründen und Verstärken weiterer Regionalallianzen. Mit Genugtuung wurde die Nachricht von der erst vor wenigen Tagen erfolgten Bildung einer Regionalallianz im fernöstlichen Blagoweschjensk bekanntgegeben. Diese von 18 Gemeinden vorgenommene Gründung wird auf das Erscheinen der jährlichen Gebetshefte zurückgeführt. Anwesend auf dieser Moskauer Konferenz waren rund 35 Kirchen und Werke; vertreten waren erstmals die messianischen Juden.

 

Als dringendste Aufgaben auf nationale Ebene werden das baldige Eröffnen eines Allianzbüros in Moskau und die Erstellung einer Webseite angesehen. Vorsitzender der Russischen Allianz ist Dr. Wladimir Rjagusow, Rektor des baptistischen „Theologischen Instituts“ in Moskau.

 

Dr. William Yoder

Moskau, den 4. April 2005

 

Im Auftrag der Russischen Evangelischen Allianz, 565 Wörter