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Die Orthodoxen preschen nach vorne

Den Klerikalismus gibt es wirklich

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Russischer Baptistenpräsident Sipko nimmt Stellung zu einem gesellschaftlichen Disput

 

M o s k a u - „Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß der Klerikalismus in unserem staatlichen und gesellschaftlichen Leben vorhanden ist.“ Mit diesem Satz stimmte Pastor Juri Sipko (Moskau), Präsident der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten (RUECB), einer Hauptaussage des warnenden, Offenen Briefes von 10 Mitgliedern der russischen Akademie der Wissenschaften zu.

 

Auf diesen Brief vom 23. Juli hatte die radikal-orthodoxe Bewegung „Volksversammlung“ (Narodnii Sabor) mit einer Strafanzeige „wegen Schürens religiöser Zwietracht“ gegen einen der Akademiemitglieder – den Nobelpreisträger Witali Ginsburg – geantwortet. Patriarch Alexei II, Oberhaupt der „Russische Orthodoxen Kirche“ (ROK) vernahm in dem Brief „ein Echo der atheistischen Propaganda der Vergangenheit“. Wladimir Wigiljanski, Leiter des Presseamtes des Moskauer Patriarchats, warf den Akademiemitgliedern die „Erfüllung eines politischen Auftrags“ vor und nannte sie „Rowdys und Hütchenspieler“. Doch Unterstützung kam u.a. von Wjatscheslaw Glasytschew einem Mitglieder der Öffentlichen Kammer Rußlands. Er geißelte in einem Vortrag die „stürmische Einmischung der Kirche in staatliche Belange“.

 

In seinem Gespräch Anfang August mit Mitarbeitern seiner Moskauer Kirchenzentrale führte Präsident Sipko einen Vorfall aus der sibirischen Großstadt Omsk als Beweis für den zunehmenden Klerikalismus an. Bei einer Ortsbegehung hatte der russische Minister für Wirtschaftsentwicklung German Gref den mangelnden Fortschritt beim Bau des Flughafens und der U-Bahn sowie die fehlende Sanierung des Straßennetzes kritisiert. Darauf reagierte der Gebietsgoverneur mit der Zusicherung: „Sobald die nächste Kirche der ROK fertig ist, wenden wir uns mit allen Kräften den wirtschaftlichen Aufgaben zu.“ Allein im Raum Moskau sind in den letzten sieben Jahren 200 neue orthodoxe Kirchen entstanden.

 

Nicht nur für Sipko verstoßen die Forderungen der ROK, bei möglichst allen staatlichen Handlungen präsent zu sein – z.B. bei Gelöbnissen von Soldaten oder bei Staatsbesuchen in den Provinzen – gegen das gesetzlich verankerte Prinzip der konfessionellen Gleichstellung. Das gilt nicht zuletzt für die Erwartung, daß die Durchführung u.a. von protestantischen Musikfestivalen und Treffen zu gesundheitlichen Themen des Segens des orthodoxen Ortsgeistlichen bedürfen.

 

Im Gespräch wies Juri Sipko auf die faktische Schwäche der ROK hin - schließlich habe sie nicht einmal die Kraft, sich innerkirchlich vom überkommenen Julianischen Kalender zu befreien. Deshalb müsse sie auf staatliche Mittel zurückgreifen zur Durchsetzung des eigenen Machtanspruchs gegenüber Andersdenkenden. Über die langfristigen Folgen für das Wohlergehen der Orthodoxie ist der Baptistenpräsident deshalb besorgt. Er stellte fest, die „Grobheit“ der Akademiemitglieder sei nur eine Reaktion auf die Grobheit, die seitens der Kirche vorausgegangen war. „Was man sät, wird man auch ernten.“

 

Besonders umkämpft ist der Versuch der ROK, in diesem Vielvölkerstaat mit seinen 23 Millionen Bürgern muslimischen Glaubens den orthodoxen Religionsunterricht als Pflichtfach in Schulen einzuführen. Das ist bereits in vier westlichen Provinzen des Riesenlandes geschehen. Im Lehrbuch für den orthodoxen Religionsunterricht, „Die Grundlagen orthodoxer Kultur“ (OPK) erkennt Sipko eine Indoktrination. In ihm werde nicht nur über Kultur und Kirchenkunde berichtet - unter dem Schlagwort „Extremismus“ werde zum Widerstand gegen die „Sekten“ aufgerufen. Für den Baptistenpräsidenten ist die ROK in ihrem Streben um Zugang zu den Schulen nicht um das Wohl der Kinder bemüht, es sei vielmehr „ein prinzipienloser und schmutziger Kampf um die Macht. Und in diesem Kampf sind ihr alle Mittel recht.“ Er prophezeite: „Die Saat kehrt zu uns zurück wenn in den Seelen der heutigen Kinder die Früchte der List und Eigensucht sich morgen offenbaren. Wie kann man mit unmoralischen Mitteln die Moral steigern?“

 

Nach Auffassung der 10 Wissenschaftler sowie der Baptisten spaltet eine zunehmende Klerikalisierung die Gesellschaft. Sipko nannte den Versuch sogar ein Spiel mit dem Feuer. Deshalb fordern beide die Einhaltung der bestehenden russischen Gesetzgebung, die Gewissensfreiheit und die Gleichstellung aller Religionen vor dem Gesetz gewährt. Dabei zitierte Sipko den Präsidenten Wladimir Putin: „Nur die Diktatur des Gesetzes besitzt ein Existenzrecht in der Russischen Föderation.“ Der Baptistenpastor macht ihm jedoch zum Vorwurf, allzu geduldig bei der Realisierung seiner Forderung zu sein.

 

Anstelle der Anwesenheit eines orthodoxen Priesters verlangte Juri Sipko, daß die Staatsbeamten Rußlands gemeinsamen mit Putin ein Eid auf ihre Treue zur Landesverfassung und zur Gesetzgebung Rußlands ablegen. Vor allem Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft hätten durch Prüfungen ihre Kenntnisse der Hauptgesetze unter Beweis zu stellen. Der Baptistenpräsident stellte fest, daß „die Ignoranz (der Staatsbeamten) nicht mit Ignoranz zu überwinden ist“.

 

Doch weite Teile des Offenen Briefes der Wissenschaftler befassen sich mit der Einmischung der Orthodoxie in Fragen der Naturwissenschaft. An dieser Stelle ist Juri Sipko nun doch mit der ROK einig. Genau wie sie tritt er „mit ganzer Seele dafür ein, daß in der Schule nicht nur die Evolutionstheorie, sondern auch die Schöpfungslehre unterrichtet wird.“

 

Das gesamte Interview mit Präsident Sipko ist in russischer Sprache auf der Webseite der RUECB, „www.baptist.ru.org“, nachzulesen.

 

Dr. William Yoder

Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB

Moskau, den 13. August 2007

 

Eine Presseerklärung der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Zur Veröffentlichung freigegeben. Meldung Nr. 07-25, 739 Wörter