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Verbrauch schafft noch keine Zufriedenheit

Texaner findet in Naberezhnye Tschelny Zuflucht

Kommentar

 

M o s k a u - Vor fünf Jahren hielt Mike Fisher, ein Texaner fast so groß wie Texas, die Zeit für gekommen, nebenbei als Missionar für kurzfristige Einsätze (short-term missionary) zu fungieren. Dr. Fisher, Betreiber einer gutgehenden zahnärztlichen Praxis nahe Rockwall, einem Vorort von Dallas, machte damals seinen ersten Besuch bei einer Gemeinde der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ in Naberezhnye Tschelny kurz vor den westlichen Ausläufern des Urals. Pastor dieser Gemeinde ist Alexander Mandzuk. Nun in einem Gespräch in der Moskauer Golgotha-Gemeinde am 17. August gestand er: „Ich kam nicht nach Tatarstan das erste Mal mit dem brennenden Wunsch, mir einen missionarischen Lebensstil anzueignen. Ich dachte, der Besuch könnte interessant sein und Spaß machen.“ Bei späteren Reisen wollte er noch eine Runde durch China und Kuba drehen. Danach würde er über einen Paß mit bunten Stempeln verfügen, mit dem es sich im Freundeskreis angeben ließe. Doch heute, 10 Fahrten nach Naberezhnye Tschelny später, weist der Paß fast nur russische Visa auf.

 

Auf dem Fußboden in einer Pastorenwohnung in der dritten Nacht des ersten Besuchs 2002 war dem Zahnarzt aufgegangen, daß er noch Wesentliches zu lernen hatte. In der Moskauer Golgotha-Gemeinde erzählte er nun: „An dem Abend hatte ich Gott gemeinsam mit Menschen angebetet, die nach unseren westlichen Maßstäben materiell nichts aufzuweisen hatten. Außer einem Dach über dem Kopf und ein paar Habseligkeiten hatten sie nichts. Und doch waren sie dank ihres Glaubens die am meisten zufriedenen Menschen, denen ich jemals begegnet bin. Das war ein richtiges Damaskus-Erlebnis für mich. In Amerika hatte ich mich voll der Jagd nach einem immer größeren Haus und Schlitten gewidmet – doch zufrieden war ich niemals.“

 

Mike Fisher räumte ein: „Noch immer kämpfe ich mit dieser Versuchung. Das Streben nach dem Materiellen ist in Amerika allgegenwärtig – auch in meiner Gemeinde. Darum muß ich jedes halbe Jahr die USA verlassen, um wieder auf die Beine zu kommen. Nur dann finde ich zu den wahren Grundlagen unseres Glaubens zurück.“ Aber ich habe den Eindruck, der Texaner will seine innere Umkehr nicht überbewerten: Es ist schließlich unredlich, das bescheidene, verarmte Leben zu idealisieren, wenn man selbst noch sehr gut lebt und das Los der unfreiwillig Verarmten nicht teilen will. Die russische Gesellschaft allgemein ist auch nicht zu idealisieren. Ebenfalls in Rußland haben die Neureichen als Erstes die schlechtesten Tendenzen der westlichen Gesellschaft – Habgier und unsoziales Verhalten – verinnerlicht. Dennoch haben Gläubige in den Gemeinden um Naberezhnye Tschelny Wahrheiten erkannt, die nach Fishers Überzeugung für texanische Gemeinden lebenswichtig sind.

 

Auf jeden Fall ist der Zahnarzt stolz und dankbar für seine Gemeinde: die 10.000 Mitglieder zählende Lake Pointe Church mit Verbindungen zur „Southern Baptist Convention“. Interessanterweise geißelt dieser Gemeindediakon die in den USA geläufige Wohlstandstheologie („Prosperity Gospel“) als eine „schreckliche Erscheinung“. Er sagte: „Es stimmt einfach nicht, daß meine Probleme verschwinden, wenn ich Jesus annehme. Das ist den Jüngern Jesu nicht passiert, und Jesus hatte kein einziges Kissen für sein müdes Haupt. Ich glaube nicht, Gott erwarte von allen, daß sie geschäftlich erfolgreich sind.“

 

Die Lake Pointe Church ist auch nicht darauf aus, ihre Zusammenarbeit mit der Gemeinde Naberezhnye Tschelny als zahlenmäßigen Erfolg zu verbuchen. Als Erfolg zählen die neuen Beziehungen, die zwischen örtlichen Christen und Nichtchristen entstehen. Sie bilden das Fundament für weitere Gespräche zu Fragen des Glaubens. Bisherige Einsätze umfaßten Sommerlager für Kinder, Englisch-Camps und Straßeneinsätze. Erst jetzt, vom 11.-19. August, führte ein fünfköpfiges Team in Naberezhnye Tschelny und erstmals in Moskau (Gemeinde Golgotha) ein Seminar zu Business-Themen durch. Mike Fisher erzählt: „Manche früheren Einsätze bestanden daraus, daß meine Frau und ich zahnärztliche Praxen besuchten. Aber es ist sehr wichtig, daß wir wiederholt kommen. Erst das schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit, erst das öffnet Türen.“ Nach seiner Überzeugung stehen einmalige Blitzeinsätze an beliebigen Orten auf dem Globus häufig in der Gefahr, „die materiellen Ressourcen Gottes zu vergeuden“. Darum ist die Beziehung nach Texas als eine langfristige Partnerschaft zu verstehen, die „in die Tiefe“ gehen will.

 

In Moskau resümierte er: Unsere Freunde in Rußland „wissen sehr viel besser als wir, was wir überhaupt für sie leisten können. Erfolgreiche evangelistische Methoden aus den USA würden hier oftmals nicht funktionieren. Deshalb können wir nur Diener sein. Die Russen sagen uns, wie sie uns am besten gebrauchen können. Dann überlegen wir gemeinsam, wie wir dem Wunsch am besten entsprechen können. Unser größter Wunsch ist es, daß die Gemeinden wachsen möchten durch den Zustrom neuer Menschen.“

 

Dr. William Yoder

Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB

Moskau, den 21. August 2007

 

Als Kommentar gibt dieser Text die Meinung des Autors wieder. Dieser Text ist keine offizielle Erklärung der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“. Veröffentlichung möglich. Meldung Nr. 07-28, 715 Wörter