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Fahrradtour von Deutschland nach Wladiwostok am Ziel

Eine Kirche kommt in Fahrt

 

Reportage

 

M o s k a u -- Die Fahrradtour ist vollendet. Am Abend vom 3. September konnte in der Moskauer Zentral der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ (RUECB) gemeinsam mit vielen Teilnehmern der Abschluß der transkontinentalen Radexpedition „Das Evangelium den Völkern der Erde“ gefeiert werden. Die Tour war am 13. Mai in Varel/Deutschland gestartet und kam plangemäß am 2. September in Wladiwostok an. Wer wie diese Gruppe einmal bei Varel Wasser aus der Nordsee schöpfen möchte, um es nachher in den Pazifik bei Wladiwostok zu schütten, weiß nun genau, wie viele Kilometer dazwischen liegen: 14.711.

 

Schon der neunstündige Flug der acht Radler von Wladiwostok zurück nach Moskau am 3. September war anstrengend: Zeitlich liegt Wladiwostok sieben Zeitzonen vor Moskau bzw. neun Zeitzonen vor Varel. Die Rückführung der Fahrräder nach Moskau in den zwei Begleitfahrzeu­gen wird nun 10 bis 14 Tage beanspruchen.

 

Hitze und Kälte waren auf der Fahrt zu bewältigen. In Sibirien waren mit bis zu 40 Grad und Mückenwolken zu rechnen; westlich von Kassel am 16. Mai lag das Thermometer bei 8 Grad plus Regen. Doch wahrscheinlich machten die Staubwolken in Ostsibirien und Fernost am meisten zu schaffen. Auf den unfertigen, aufgewühlten Sandpisten schafften die Fahrer kaum mehr als 100 km pro Tag. Die Tagesbestleistung lag weiter westlich: 318 km. Ein Tagespensum von 250 km war keine Seltenheit.

 

Es waren vier Etappen mit vier verschiedenen Mannschaften vorgesehen. Doch von den 31 Fahrern fuhr nur einer die gesamte Strecke von Varel bis Wladiwostok – der 50-jährige Gemeindediakon und zehnfache Vater Wladimir Skovpen (Klinzy bei Briansk). Er war 1980 Nationalsieger der UdSSR im Radrennen. Es wären wohl zwei geworden, doch die deutschen Behörden hatten in ihrer Weisheit allen ukrainischen Staatsbürgern das Einreisevisum verweigert. Darum konnte erst ab Briest/Belarus der in Moskau wohnende Wiktor Kabatschewski mit in die Pedale treten. Noch bei der Abschlußfeier am 3. September sah der schwerhörige Sportler äußerst fit aus. Der Zahnarzt Lewon Sarkisov (Krasnodar) war auch durchgehend von Varel bis Wladiwostok dabei, hatte sich jedoch streckenweise im Begleitfahrzeug erholen müssen.

 

Doch auch bei dieser missionarischen Expedition standen die menschlichen Begegnungen – und nicht die sportliche Leistung – im Vordergrund. Bei den allabendlichen Veranstaltungen kamen bis zu 500 Zuhörern zusammen. Einmal hatte das Kinderteam 100 Kinder zu Gast. Der Moskauer Pastor Alexei Markewitsch, der einen Teil der vierten Etappe miterlebte, erzählt: „Wir waren ein eingespieltes Team. Alle waren für verschiedene Bereiche zuständig: Musik, Verkündigung, Kinderstunde, Tontechnik oder Logistik. Es klappte wunderbar.“ Sogar die Komponisten kamen zum Tragen: Über die Fahrt wurde ein Lied komponiert und unterwegs gesungen.

 

In Polen und Deutschland war es nicht immer leicht, der Expedition eine Unterkunft zu verschaffen. Doch zwei Tagestouren vor Tschita im sibirischen Osten übernachtete das Team in einer Gemeinde mit der Mitgliederzahl 1. Markewitsch berichtet, daß sogar dort die Gruppe üppig beköstigt und jedem ein Schlafplatz geboten wurde.

 

„Unsere Kirche kommt in Fahrt“ konstatierte Valerii Paschkowetz, ein ehemaliger Militärflieger und heutiger Pastor der Gemeinde Kaluga, bei der Moskauer Abschlußfeier. „Bisher lebten wir träge und abgeschirmt von unserer Umwelt. Doch nun legen wir uns ins Zeug. Wir bewegen uns hinaus auf die Straße und weg von der Wohnzimmercouch.“ Nicht nur war Paschkowetz bei der ersten Etappe von Varel bis Briansk in Westrußland geradelt; anschließend organisierte er gemeinsam mit 33 Personen aus seiner Gemeinde – 16 von ihnen auf dem Fahrrad – eine zehntägige Tour durch die Dörfer in seinem Gebiet. Überhaupt fanden in diesem Sommer Radtouren in 32 der 52 Gemeindebezirken des russischen Baptistenbundes statt. Im kommenden Sommer sollen es alle werden.

 

So jedenfalls denkt Leonid Kartawenko (Moskau), Leiter der Heimatmission und geistiger Kopf der Fahrradbewegung, die gerade ihren dritten Sommer hinter sich hat. Er stellt fest: „Auf dem Fahrrad ergeben sich ganz andere Gesprächsmöglichkeiten. Es schafft einen ganz anderen Zugang zu den Menschen. Hier bleibt der unbeteiligte Jugendliche sofort eine Antwort schuldig. ‚Die sind gläubig und fahren Fahrrad. Ich bin ungläubig und trinke. Warum eigentlich fahre ich nicht?’“

 

Valerii Paschkowetz fügt hinzu: „Man darf nicht gleich mit Gott und dem Himmel anfangen. Das überfordert die Menschen. Doch Sport, Gesundheit, und Substanzmißbrauch - davon versteht fast jeder etwas. Das schafft sofort eine Brücke zu den Menschen – erst recht zu den Jugendlichen. Für Jugendliche übersteigt der Autobesitz alle denkbaren Vorstellungen, doch mit Fahrrädern können sie etwas anfangen.“ Das Eintreffen der ersten Expeditionen vor Jahren mit einem motorisierten Fuhrpark wurde viel stärker als Agitation empfunden und war höchstens Erwachsenen von Interesse.

 

Nach vielen Begegnungen mit der Staatsmacht in diesem Sommer ist Kartawenko überzeugt, daß die Staatsvertreter eigentlich Verbündete seien. „Wir hatten unsere Treffs immer auf dem Zentralplatz der Städte. Und die Stadtverwaltung half fast immer beim Organisieren – kostenlos. Wir haben den Eindruck, die Staatsvertreter leiden an ihrem Volk. Alkohol und Drogen machen die Bürger kaputt. Wie kann man ihnen eine Perspektive schaffen? Wir werden angesehen als starke und gesunde Leute, die Rußland aus der Krise helfen können. Wir machen Menschen Hoffnung für die Zukunft. Der Staat ist nicht gegen uns. Es sind nur gewisse religiöse Kräfte, die bemüht sind, den Staat gegen uns aufzustacheln. Die offizielle Religion ist bestrebt, über den Staat auf uns einzuwirken.“

 

Neben dem Ausschütten des Wassers in den Pazifik am 2. September bildete eine Einladung des Stellvertretenden Gebietsministers für Jugend und Sport den krönenden Abschluß. Er war an dem Tage an den leitenden Wladiwostoker Pastor herangetreten mit der Bitte, die Baptisten mögen im kommenden Sommer gemeinsam mit seinem Ministerium eine Fahrradtour in umgekehrter Richtung nach Moskau veranstalten. „Das ist was Neues, daß uns der Staat um ein Gefallen bittet,“ stellte Kartawenko anschließend in Moskau mit Genugtuung fest.

 

Im August fand eine erste Radtour der orthodoxen Kirche im Gebiet Belgorod statt – finanziert durch die staatliche Gebietsabteilung für Jugendarbeit.

 

Dr. William Yoder

Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB

Moskau, den 4. September 2007

 

Eine Presseerklärung der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Zur Veröffentlichung freigegeben. Meldung Nr. 31, 916 Wörter