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Baptisten müssen das Ghetto verlassen

Das Nachdenken über einen Ausweg aus dem Ghetto

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Wissenschaftliches Symposium der russischen Baptisten in Moskau

 

M o s k a u -- Es sei ein Irrtum zu meinen, daß die Menschen aus der gesellschaftlichen Distanz heraus für den Glauben an Christus zu gewinnen seien. Das war ein Grundkonsens, der sich aus dem wissenschaftlichen Symposium in Moskau am 19. und 20. Oktober anläßlich des 140. Geburtstages des russischen Baptismus ergab. Der Religionssoziologe Professor Remir Lopatkin (Moskau) sprach von einem „freiwillig-unfreiwilligen Ghetto, aus dem sich nicht alle Gläubigen aus Angst vor einem Zusammenstoß mit der Lebenswirklichkeit entfernen wollen.“ Ein anderer Redner sprach von der anstehenden Notwendigkeit, sich „aus dem Komplex gesellschaftlicher Marginalität“ zu befreien.

 

Der Weg aus dem Ghetto und in die Gesellschaft hinein verlangt nach Auffassung des Petersburger Wissenschaftlers und Baptisten Michael Niewolin die Absage an jeglichem Extremismus – sei er liberalistisch oder fundamentalistisch. “Leider ist der Extremismus keine besondere Entdeckung des Baptismus – er ist ein generelles Charakteristikum unserer russischen Gesellschaft. Wir sind fast unfähig, einen Dialog zu führen. Doch im 21. Jahrhundert sollten wir endlich imstande sein, uns fremde Ansichten zu achten. Und das gilt sowie innerhalb wie außerhalb baptistischer Kreise. Aber die Achtung anderer Auffassungen bedeutet nicht, daß man die eigenen Auffassungen preisgeben muß. Wir sollten das führen von Diskussionen einüben.”

 

Fragen von Identität und Perspektive spielten eine führende Rolle. Michael Iwanow, Abteilungsleiter für Theologie und Katechismus bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten (RUECB) in Moskau prangerte eine “negative religiöse Identität”, die sich ausschließlich aus der Gegnerschaft ergebe, an. Als Beispiel führte er die Freikirche der Molokhaner des 19. Jahrhunderts an, deren Identität sich aus der Gegnerschaft zur Orthodoxie speiste. Die Devise – nicht nur bei ihnen – lautete stets: “Wir sind nicht so wie die anderen.” Doch durch die bolschewistische Revolution wurden die Orthodoxen plötzlich zu Leidensgenossen. Aus einer Kirche mit einer knappen Million Anhängern wurde umgehend eine winzige Minderheit. “Wir Baptisten waren erfindischer,” fuhr Iwanow fort. “Anfangs waren wir auch Anti-Orthodoxe, doch uns gelang es, uns in Anti-Atheisten zu verwandeln. Das war unsere Rettung. Seit den 90er Jahren nehmen wir eine rein antigesellschaftliche Position ein. Wir stellen uns halt stets irgend jemandem entgegen.”

 

Bei der schwierigen Frage der Identität verwies Iwanow darauf, daß den Baptisten eine Identitätsfindung nach orthodoxer oder katholischer Art verwehrt sei. Baptisten hätten keine Überlieferung. Sie seien weder eine ethnische Gruppierung noch hätten sie den Anspruch, eine allgemeingültige – sprich katholische – Glaubensauffassung zu vertreten. Deshalb könne sich eine baptistische Identität nur aus der Bindung an die Bibel ergeben.

 

Hinsichtlich der Perspektiven gestand Niewolin, er könne sich nicht vorstellen, daß der Baptismus jemals die stärkste Konfession Rußlands wird. „Doch die Perspektive, daß Glaube unserer Mitchristen wächst und einen zunehmend stärkeren Einfluß auf die Gesellschaft ausstrahlt - eine derartige Vorstellung besteht durchaus.“

 

Der russische Baptismus führt seine Entstehung auf die Gläubgientaufe des ersten ethnischen Russen in Tiflis/Georgien am 20. August 1867 zurück. Es handelte sich um Nikita Woronin (1840-1905).

 

Die RUECB, die größte einheitliche, protestantische Kirche Rußlands, vertritt rund 80.000 erwachsene Mitglieder in 1.750 Ortsgemeinden und Gruppen. Ihr Präsident ist Pastor Juri Sipko.

 

Dr. William Yoder

Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB

Moskau, den 23. Oktober 2007

 

Eine Presseerklärung der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Zur Veröffentlichung freigegeben. Meldung Nr. 07-41, 480 Wörter