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Baptistische Aussiedler in Deutschland

Rußlanddeutsche Baptisten sind nicht käuflich

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Ein Gespräch mit Pastor Hermann Hartfeld

 

M o s k a u -- Der aus Omsk stammende Rußlanddeutsche Hermann Hartfeld (Brühl) wurde wegen seiner missionarischen Arbeit 1962 im Alter von 20 Jahren zu fünf Jahren Straflager verurteilt. Da durfte er gemeinsam mit anderen Gläubigen ohne Schutzbekleidung auf dem Atomtest­gelände in Semipalatinsk/Kasachstan Reinigungsarbeiten vornehmen und im Uranbergwerg arbeiten. Im Jahr 1973 wurde er ein drittes Mal verhaftet; ein Jahr danach reiste er in den Westen aus. Nach einem Theologiestu­dium in Westeuropa, Winnipeg und Fresno/Kalifornien diente er ab 1981 als Gemeindepastor in der Schweiz und in Deutschland. Von 1999 bis zu seiner Berentung 2007 wirkte der promovierte Theologe als Dozent an dem von Aussiedlergemeinden unterstützten „Bibelseminar Bonn“ (BSB). Seit der Wende wirkt er beim Aufbau der theologischen Ausbildung in Rußland mit. Kürzlich hielt er Vorlesungen zum Thema Beratende Seelsorge am Moskauer Theologischen Seminar der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten (RUECB). Dort konnte William Yoder ihm am 16. Oktober einige Fragen stellen.

 

Könnte man sagen, daß die Aussiedler aus Rußland in Deutschland einfach viel konservativer sind als die Baptisten, die heute in Rußland leben?

 

Schon in der Sowjetunion waren die Deutschstämmigen konservativer als die russischen Baptisten. Sie hatten oft ihre eigenen Gemeinden und lebten zusammen in bestimmten Dörfern. Nur die russischen Baptisten waren bemüht gewesen, auf die russische Kultur einzugehen.

 

In Deutschland sind sie dann auf einen deutschen Baptismus gestoßen, der ihnen wiederum sehr fremd erschien. Sie waren weder in Rußland noch in Deutschland zuhause. Sie sind weiterhin auf der Suche nach einer Identität.

 

Weshalb haben die Aussiedler soviel Angst vor zwischenkirchlichen Beziehungen? Angesichts der Übermacht der Orthodoxie müssen die Protestanten Rußlands – natürlich auch mit Pfingstgemeinden – zusammenstehen. Das ist eine Lebensnotwendigkeit.

 

Man ist verängstigt, man fühlt sich unsicher. Diese Angst wird auch oft theologisch untermauert, z.B. mit einem Text wie 2. Thessalonicher 2,9-10. Der Antichrist wird von vielen Aussiedlerchristen in der Ökumene geortet.

 

Die wenigen Aussiedler, die es noch in deutschen Baptistengemeinden gibt, wirken oft sehr schüchtern und unsicher. Sie tun mir richtig leid!

 

In der Sowjetunion war man sehr eingeschüchtert, man hat sich kaum artikuliert. Man hatte die Diskussionsfähigkeit nicht eingeübt. Der zweite Punkt ist wohl die Sprache: Die Aussiedler reden Deutsch anders als die Deutschen aus Deutschland. Auch bildungs­mäßig können die in der UdSSR aufgewachsenen Aussiedler nicht mithalten. Die Mentalität ist anders und die Minderwertigkeitskomplexe sind stark.

 

Du gehörst zu den wenigen, die ihren Weg innerhalb des Bundes der deutschen Baptisten (BEFG) gefunden haben. Warum gehörst Du nicht einem Bund der Aussiedlergemeinden an?

 

Ich komme aus den Kreisen der Nichtregistrierten Baptisten. Ich habe die Spaltungsten­denzen - auch in Deutschland – beobachtet, und das hat mich abgeschreckt. Daß man sich gegenseitig unterstellt, für die KGB gearbeitet zu haben; wer überhaupt anders dachte war schon deswegen ein Liberaler. Ich sagte mir: „Das mache ich nicht mit. Davon habe ich genug. Ich will doch Gemeinde Jesu bauen.“

 

Läuft die Zeit zu Gunsten der alteingesessenen, deutschen Baptisten? Wird es in den nächsten Generationen zu einem Zusammengehen zwischen Rußlanddeutschen und Deutschen kommen?

 

Im Äußerlichen ist die junge Generation freier. Aber viele Absolventen des BSB sind theologisch-ethisch noch strenger als ihre Eltern - was ich nicht unbedingt für einen Nachteil halte. Nur einige wenige Jugendliche werden sich dem BEFG anschließen. Die Ansätze einer historisch-kritischen Exegese stören sie, wohl aber nicht alle.

 

Ist also eine Dauerexistenz rechts vom evangelikalen Mainstream (BEFG, Pfingstgemeinden, Lausanne, Baptistischer Weltbund) denkbar?

 

Das ist denkbar. Institute wie Brake, Gießen und das BSB werden eine längere Existenzberechtigung haben. Nur einzelne Aussiedler werden einen anderen Weg gehen.

 

Sind die deutschen Baptisten aber wirklich freundlich genug gewesen? Ihre Gemeinden wirken nicht immer einladend. Oftmals kommen sie den Aussiedlern nicht entgegen.

 

Ich denke, das stimmt nicht ganz. Dr. Günter Wieske und Pastor Viktor Krell z.B. haben sich sehr viel Mühe gegeben. Sie haben die ersten Aussiedler beschenkt mit allem was es nur gab. Ich glaube, die Enttäuschung kam in den 80er Jahren als der große Exodus aus Rußland begann. Dann fing man an, die deutschen Baptisten u.a. als Ökumeniker zu verurteilen – obwohl sie gar nicht zum Weltrat der Kirchen gehören. Man hielt die Deutschen auch – etwa im sexuellen Bereich - für ethisch bedenklich.

 

Dann kam noch die Enttäuschung seitens der deutschen Baptisten: „Wir haben so viel investiert, so viel Liebe bewiesen. Wir dachten, es kommen Leute aus dem Osten, die unseren Bund beleben werden! Und nun wollen sie gar nichts mit uns zu tun haben.“ Deshalb sind die Deutschen müde geworden. Man sagt sich, es hat sowieso keinen Sinn. Man hat so viel geleistet und sie sind undankbar geblieben. Aber das ist auch ein Beweis dafür, daß die rußlanddeutschen Baptisten stur und absolut nicht käuflich sind. Sonst hätten sie die furchtbaren Verfolgungen nicht überlebt.

 

Aussiedler mit baptistischem Hintergrund übersteigen die Zahl der einheimischen Baptisten in Deutschland fast um das Dreifache. (Der BEFG hat rund 76.000 Mitglieder.) Man hat Angst, die Aussiedler könnten – etwa in Zusammenarbeit mit der Southern Baptist Convention aus USA – einen alternativen, internationalen Baptistenbund gründen.

 

Die großen Aussiedlergemeinden haben keine Notwendigkeit, sich der SBC anzuschließen. Sie werden sich auch nicht von dem Geld der SBC beeindrucken lassen. Rußlanddeutsche Baptisten sind nicht käuflich.

 

Ich glaube, beide Seiten machen sich große Illusionen. Wenn die Aussiedler nur wüßten, was in der SBC so alles passiert! Die Südbaptisten sind sich nicht einig - sie sind keine homogene, fundamentalistische und bibeltreue Baptistenbewegung. Sie haben jetzt eine konservative Leitung. Aber wenn sich die Leitung ändern sollte, wird sich vieles wieder ändern. Die SBC ist mancherorts in USA eine Art Volkskirche, und große, dezentralgeführte Kirchen können von Ort zu Ort sehr verschieden sein. Es gibt auch charismatische Südbaptisten.

 

Da ist viel Ungutes in der Geschichte der SBC zu finden. Sie hat mal die Sklaverei und den Rassismus gutgeheißen. Die SBC-Leitung hat auch den jetzigen Krieg mit dem Irak willkommengeheißen. Wenn die Rußlanddeutschen Wind davon bekommen, könnten sie sofort auf Distanz gehen. Die SBC muß nur einen einzigen größeren Fehler machen und schon ist sie abgeschrieben.

 

Manche Baptistenbünde in Mittelasien sind auf Gelder aus dieser Quelle angewiesen. Aber das geht nur bis man sich kennengelernt hat. Das sieht man immer wieder: Wenn man eine andere Bewegung kennengelernt hat, entdeckt man, daß die Differenzen zu groß sind. In der SBC gehen die Frauen ohne Kopfbedeckung und in Hosen. Auch ein Südbaptist kommt nicht immer ohne Zigarre aus. Was man in den eigenen Gemeinden zu verbieten versucht, ist beim ausländischen Partner Gang und Gäbe.

 

Sind die Emigranten aus der UdSSR in den USA anders als in Deutschland?

 

In den USA sind die Leute kulturell angepaßter. Sie sind etwas liberaler, doch nicht unbedingt theologisch liberaler. Die Emigranten in Nordamerika und Deutschland sind sehr zurückhaltend einander gegenüber. Der Rußlanddeutsche glaubt, zu viel an den Russen gelitten zu haben, um sie jetzt noch finanziell zu unterstützen. Missionarisch geben sie ihr Geld lieber nach Afrika oder Südamerika. Auch in der Ukraine wird eher geholfen; nach Moldawien fließen Hunderttausende. „Die Russen haben uns Böses angetan“, heißt es und man verwechselt die kommunistische Tortur mit den Russen per se. Das sitzt bei den Älteren tief drin; das kriegt man nicht mehr raus. Die junge Generation denkt da ganz anders.

 

Das ist sehr ungerecht! Die Russen selber haben auch stark am kommunistischen System gelitten.

 

Da haben die Russen auch vollkommen Recht! Mit mir im Gefängnis waren weit mehr russische Baptisten als deutsche. Aber die drei Jahrhunderte Geschichte der Deutschen in Rußland lassen sich nicht einfach auslöschen.

 

In Deutschland werden Russen von den Rußlanddeutschen zu Gast sehr gerne aufgenommen.

 

(RUECB-Präsident) Juri Sipko ist immer willkommen – auch am BSB z.B. Aber man hat trotzdem nicht das Gefühl, man würde zusammengehören.

 

Was ist anders geworden bei den Baptisten in Rußland in den letzten 20 Jahren? Was überrascht Dich?

 

Sie sind lau geworden. Der Druck früher hat den Eifer gefördert. Man war missionarisch ausgerichtet. Heute kämpft man ums finanzielle Überleben – man hat aber auch den Hang, etwas mehr besitzen zu wollen. Das Gemeindeleben steht nicht mehr im Vordergrund, sondern das finanzielle Wohlergehen. In meiner Jugendzeit lebten wir von Brot und Wasser und man war glücklich. Heute jedoch sehe ich meistens mürrische, gequälte Gesichter, die mit dem materiellen Leben unzufrieden sind.

 

Heute wollen Gemeinden von zentralistischen Strukturen nichts mehr wissen. Da treten Gemeinden einfach aus dem Bund aus. Man möchte autonom sein. Das macht mich sehr traurig. Wir brauchen die Einheit in Christo und keine Splittergruppen, die ihr "eigenes Süppchen" kochen.

 

Dr. William Yoder

Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB

Moskau, den 8. November 2008

 

Eine Veröffentlichung der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Sie will informieren und gibt nur die Auffassung der interviewten Person wieder. Meldung Nr. 08-53, 1.368 Wörter.