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Auch bei den Baptisten kann es laut werden

Eine großzügige Orthodoxie in Minsk

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Die Baptisten von Belarus bleiben optimistisch

 

Reportage

 

M i n s k – Die “Gute Nachricht” (Blagowestie)-Gemeinde in der Minsker Ulitsa Tschaikowskogo 37 im Norden der Stadt ist gut vorangekommen. Sie wurde 1990 mit einer Handvoll von Gläubigen aus der nichtregistrierten Baptistenbewegung gegründet. Heute ist sie die zweitgrößte Baptistengemeinde der Stadt, die der belarussischen (weißrussischen) „Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ angehört. In den vergangenen 19 Jahren hat die „Gute Nachricht“ 500 Menschen getauft und zwei Tochtergemeinden ins Leben gerufen. Vor zwei Jahren entsandte sie 100 ihrer Mitglieder, um die Gemeinde „Neue Erde“ zu gründen. Anfang 2009 mußte sie zwecks Gründung der Gemeinde „Licht der Hoffnung“ weitere 70 Mitarbeiter abgeben. Die drei Gemeinden haben einen sonntäglichen Gottesdienstbesuch von 500 bis 600; nur die älteste Baptistengemeinde der Stadt, Golgatha, hat eventuell mehr.

 

“Wir blicken auf eine wundervolle Zeit in den vergangenen sieben oder acht Jahren zurück,” berichtete Hauptpastor Dmitri Lasuta am 27. Mai. „Wir haben jährlich 40 Neutaufen erlebt und erziehen neue, gemeindeleitende Personen. Ein zweijähriges, von 25 ehemaligen Studenten besuchtes Abendprogramm bietet hautnahe Erfahrung in der Missions- und Gemeindearbeit. Doch der Pastor gestand: „Es kommen keine großen Scharen zu uns – wir müssen um jedes neues Mitglied ringen. Darum auch müssen wir sehr professionell vorgehen. Aber ich bleibe bei meinem Optimismus: Die Kirche macht hervorragende Erfahrungen.“

 

Die “Gute Nachricht” war nie eine gewöhnliche, weißrussische Baptistengemeinde. Das begann damit, daß Pastor Lasuta am Anfang seines Dienstes einen Bart trug. Seine Gemeinde war wohl ferner die erste Baptistengemeinde des Landes, die Schlagzeuge im Gottesdienst zuließ. Auffallend sind die vielen Jugendlichen und das Fehlen einer Kleiderordnung. Lasuta berichtete: „Dank der Pfingstler entdeckten wir, daß unsere Gottesdienste fröhlich sein dürfen – daß es keine Sünde sei, Gott zu feiern.“ Seine Gemeinden sind die ersten Baptistengemeinden des Landes, die Frauen die Leitung von Hauskreisen überläßt. In der Vielfalt erkennt der Pastor Schönheit. „Ich meine, Gott benutzt die verschiedenen Strömungen des Christentums, um uns insgesamt zu bereichern.“

 

Was muß sich innerhalb der baptistischen Bewegung verändern? „Wir müssen den Wert der Toleranz hervorkehren,“ erwiderte er. „Wir sollten betonen, daß unsere Union viele gemeinsamen Werte vertritt, es bestehen jedoch unterschiedlichen Methoden und Stile. Erst jetzt beginnt unsere Leitung zu begreifen, daß wir ohne Zukunft seien, wenn wir die Unterschiede unter uns nicht anerkennen.“ Obwohl der Minsker Geistliche Bedenken hegt bezüglich der Theologie des US-Amerikaners Brian McLaren, ist er begeistert vom Titel seines 2004 erschienenen Buches: „A Generous Orthodoxy” (Eine großzügige Orthodxie bzw. Ein großzügiges Evangelikalentum). „Genau das haben wir nötig!“ schwärmte er. „Es ist uns nicht gestattet, einen Gottesdienst als ‚Begräbnisfeier’ oder als ‚Disko’ abzutun. Das ist eine Beleidigung und dagegen müssen wir uns wehren. Uns bleibt nur der Weg der großzügigen Orthodoxie. Wir müssen uns mit den Veränderungen der Zeit auseinandersetzen und die unveränderlichen Wahrheiten mit einer sich ständig wandelnden Methodik weitergeben.“

 

Wie stehen die anderen Gemeinden der weißrussischen Union zu dieser Gemeinde? „Manche sind für uns, andere sind es nicht,“ antwortete Lasuta. Der Pastor ist immerhin teilzeitiger Dozent am Minsker Seminar der Union und leitet eine Gemeindegründungs­initiative der 1933 geschaffenen „Slavic Missionary Service“.

 

Warum nahm die “Gute Nachricht” vor einem Jahrzehnt die Mühe auf sich, der „Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ beizutreten? „Mit anderen hatten wir nur eine begrenzte Gemeinschaft,“ erläuterte der Pastor, der schon 1998 ein Theologiestudium am „Regent College“ in Vancouver/Kanada abschloß. „Wir wollten uns für neue Erfahrungen und Ideen öffnen. In vielem waren wir Selbstversorger, doch hinsichtlich der Gemeinschaft eben nicht.“

 

Gemeindliche Anfänge

Dmitri Lasuta gab zu Protokoll, daß sich 1989 eine zweite Spaltung innerhalb der nichtregistrierten Baptistenbewegung Weißrußlands vollzog. Ursprünglich war die Bewegung 1961 vom gesamtsowjetischen „All-Unionsrat der Evangeliumschristen-Baptisten“ abgespalten. Achtundzwanzig Jahre danach verlangte sein weißrussischer Zweig eine Neuregistrierung seiner Mitglieder. „Damals hatte diese Kirche ein Mittel zur Selbstreinigung entwickelt, genannt Sündenbekenntnis. Jedes Gemeindemitglied sollte vor die versammelte Gemeinde treten und seine Sünden bekennen. Mein Freundeskreis und ich waren der Meinung, daß das nur als freiwilliger Schritt in Frage käme. Deshalb sind wir und einige Hunderte mehr aus dem Bund ausgetreten.“ Er fügte hinzu: „Ich habe bei ihnen auch viel Gutes mitbekommen – Treue und Hingabe z.B.“ Bis heute versteht er sich als Pazifist. Doch Lasuta empfindet jenen Gemeindebund ebenfalls als gesetzlich und rechthaberisch: „Der geistliche Hochmut bleibt bei ihnen ein Problem.“

 

Heute unter dem Namen „Internationale Union der Kirchen der ECB“ (IUCECB) bekannt, bleiben die einstigen „Initiativniki“ in Belarus relativ stark vertreten. Sie haben noch bis zu 4.000 Mitglieder im Lande und verfügen über große Gemeinden in Minsk, Brest, Gomel und Mogilew. Ihre Mitgliedschaft weltweit beträgt rund 78.000; wohl die Hälfte von ihnen wohnt weiterhin in den Ländern der ehemaligen UdSSR.

 

Allerdings ist die weitere Zersplitterung der baptistischen Gruppierungen im Lande noch nicht zum Stillstand gekommen. Im vergangenen Jahr sind 16 Gemeinden mit rund 300 Mitgliedern aus der offiziellen weißrussischen Union ausgetreten. Leiter der neuen Gruppierung ist Viktor Nemtsew (Minsk), ein ehemaliger Professor. Der Bruch wird eher auch Leitungsfragen als auf Theologie zurückgeführt. Ein Mitarbeiter der offiziellen Union sagt: „Unser größtes, gegenwärtiges Problem ist der Mangel an Einheit.“

 

Pastor Lasuta ist der einzige Unionspastor, der bis heute in der umstrittenen, charismatischen “Neues Leben”-Gemeinde in Minsk gepredigt hat. Er erläuterte: „Ich wollte meinen Respekt für das zum Ausdruck bringen, was sie als faktische Untergrundkirche leisten. Ich habe Achtung vor ihrem Mut.“ Die 1.000-köpfige Gemeinde, die sich in einem ehemaligen Kuhstall am westlichen Stadtrand versammelt, ist für ihren streitbaren Umgang mit staatlichen Stellen bekannt. Zu ihren Aktionen zählten bisher ein 23-tägiger Hungerstreik im Jahre 2006 sowie eine Petition mit 50.000 Unterschriften, die im März 2008 der Europäischen Union in Brüssel überreicht worden ist.

 

Dennoch bleibt die baptistische Zeltmission in Belarus aktiv und das baptistische Kinderlager und diakonische Programm „Zhemtschuzhinka “(Kleine Perle) in Kobrin unweit von Brest verfügt über starke Beziehungen zur Minsker Regierung. In einem Gespräch räumte Sergei Lukanin (Minsk), der Anwalt von “Neues Leben”, ein, daß sich die Lage seit 2007 entspannt habe. Damals verbrachten drei Pastoren der Gemeinde mehrere Tage im Gefängnis. Problematisch bleibt auf jeden Fall die riesigen Graubereiche in der Handhabung des Gesetzes. Viele Praktiken (und Gebäude), die dem Gesetz nach als illegal einzustufen seien, werden weiterhin von der Regierung des Präsidenten Alexander Lukaschenko toleriert. Zum 1. Juni 2009 wurde „Neues Leben“ einmal wieder aufgefordert, sein höchst ungewöhnliches Gotteshaus zu räumen.

 

Lasuta resümierte: “Ich danke Gott für die Lage, in der wir uns befinden. Ich wünschte mir, wir hätten mehr Freiheit, doch wir haben auf jeden Fall sehr viel mehr Freiheit als vor 20 Jahren. Wir haben nicht das Recht, uns zu beklagen. Wir haben noch immer viele Möglichkeiten, unseren Nachbarn und Verwandten ein Zeugnis zu geben. Das bleibt die Hauptquelle für das weitere Anwachsen der Gemeinde. Unsere Regierung könnte autoritär sein, aber sie ist auf keinen Fall totalitär. Wir schweben irgendwo in der Mitte zwischen Demokratie und Totalitarismus. Die wirtschaftliche Schocktherapie, die die russische Regierung von Boris Jelzin der Bevölkerung unterwarf, blieb uns erspart und viele Beobachter meinen, diese Politik habe unserem Lande nur geholfen. Wir bleiben gespannt bezüglich der Aussichten auf weitere Wandlungen und Verbesserungen.“

 

Die „Union der Evangeliumschristen-Baptisten in der Republik Belarus“ vertritt 13.500 Mitglieder in 290 Ortsgemeinden. Ihr Präsident ist Nikolai Sinkowets (Minsk). Ungefähr 100.000 (1%) der 9,8 Millionen Bürger des Landes sind Protestanten.

 

Dr. William Yoder

Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB

Minsk/Moskau, den 3. Juni 2009

 

Eine Veröffentlichung der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der RUECB-Leitung zu vertreten. Zur Veröffentlichung freigegeben. Meldung Nr. 09-17, 1.168 Wörter oder 8.473 Anschläge mit Leerzeichen.