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Zahl der theologischen Einrichtungen nimmt ab

Schrumpfung – notwendig aber ungesund
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Die Zukunft theologischer Bildung in Euro-Asien

M o s k a u  / O d e s s a – Ein in Rußland tätiger US-Amerikaner berichtet, die “Southern Baptist Convention” komme bei der Versorgung ihrer 16 Millionen Mitglieder mit nur fünf Seminaren aus. Die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die heute höchsten drei Millionen Protestanten beherbergen, verfügen über rund 150 Seminare und Bibelschulen. Bei einem sommerlichen Interview in Odessa meinte Dr. Sergei Wiktorowitsch Sannikow (Odessa), Geschäftsführender Direktor und Gründer der “Euro-Asian Accreditating Association” (E-AAA), hierzu: „Es ist eindeutig, daß die Zahl der theologischen Bildungseinrichtungen schrumpfen wird und muß. Aber es wäre verkehrt, diesen Prozeß als eine ‚Gesundschrumpfung’ zu bezeichnen.“ Zu viele Karrieren und ausländische Unterstützungskanäle stünden auf dem Spiel – schon deshalb könne der Prozeß nur als schmerzlich empfunden werden. „Bei der Gründung dieser Einrichtungen gab es keinen strategischen Plan – sie sind spontan entstanden. Die Menschen waren begeistert und westliche Unterstützung war vorhanden – also schritt man zur Tat.“

Sannikow fügte hinzu, die E-AAA bemühe sich, die Schläge möglichst abzufedern. Ein ausführlicher Austausch unter führenden Dozenten finde gegenwärtig im Internet statt. „Wir ermutigen die Einrichtungen, einzigartige Programme zu entwickeln oder sich mit anderen Instituten zusammenzuschließen. Jede Einrichtung wird ein erkennbares Gesicht haben, jede wird eine Nische finden müssen.“ Diversifikation (Mannigfaltigkeit) sei angesagt – erst recht wenn kein eindeutiger Standortvorteil zu erkennen sei.

Das “Moskauer Theologische Seminar”, das Flagschiff der “Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten”, gehört zu den Einrichtungen, die sich bemühen, Filialen um sich zu sammeln. Sannikow meinte: „Das halte ich für eine gute Entwicklung – erst recht in Rußland. Der Staat und die ökonomischen Zwänge setzen die kleineren Ausbildungsstätten unter Druck. Kleinere Einrichtungen begreifen, daß sie effektiver arbeiten können wenn sie sich der Dozenten und Programme größerer Einrichtungen bedienen. Strukturelle Mißstände werden behoben. Größere Einrichtungen können sehr viel effektiver Bibliotheken und andere Ressourcen organisieren und weiterleiten.“

Der Direktor von E-AAA, ein ukrainischer Baptist, vertritt die Auffassung, daß sich in den nächsten Jahrzehnten die Zahl interkonfessioneller Ausbildungsstätten nicht deutlich erhöhen werde. „Der Denominationalismus nimmt rasch zu,“ warnte er, „abgesehen von manchen Kreisen der Jugend. Es fällt den Menschen auch schwer, irgendwie von der eigenen Denomination Abstand zu nehmen wenn man meint, nur sie vertrete die gesamte Wahrheit.“ Auch sehr kleine Kirchen wie die Wesleyaner – sie gehören weder zu den Methodisten noch Nazarenern – haben in Moskau eine eigene Schule. Die Moskauer „Geistliche Akademie des Apostels Paulus“ hat ebenfalls einen sehr kleinen Unterstützerkreis. Ein zweites von Gennadi Sergienko geleitetes „Moskauer Theologisches Seminar“ schloß vor wenigen Monaten seine Tore. Eine interkonfessionelle Einrichtung ist z.B. das „Moskauer Seminar der Evangeliumschristen“ (siehe Meldung 09-14 vom 28.4.2009).

In einigen wenigen Fällen wird das Bildungsangebot weiterhin ausgebaut. Das trifft vor allem für die neo-charismatische Bewegung zu, die trotz ihrer hohen Zahl an Gemeindeschülern erst jetzt damit beginnt, theologische Einrichtungen mit akademischem Niveau zu schaffen. Das von “Greater Europe Mission” unterstützte “Zaporozhye Bible College”, das sich nördlich der Krim befindet, begründet ihr beachtliches Bauprogramm mit einem Standortvorteil.

Fünf-und-fünfzig der rund 150 Ausbildungsstätten im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gehören der E-AAA an: 28 von diesen befinden sich in der Ukraine, weitere 15 in Rußland (sieben davon in Moskau). Es gibt jeweils ein Mitglied in Belarus, Moldawien, Armenien and Litauen u.a. Das baptistische Seminar in Akademgorodok bei Nowosibirsk und eine baptistische Predigerschule in Samara/Wolga gehören nicht dazu. Vor etwa sechs Jahren gab die E-AAA eine gesamte Studenten- bzw. Schülerschaft unter ihren Mitgliedern von 7.000 an. Sannikow ist sich nicht sicher, ob die Zahl seitdem gesunken sei. Das Zählen von Eingeschriebenen hat sich stets als schwierig erwiesen. Eine ukrainische Schule, die sich auf den Fernunterricht spezialisiert hatte, gab z.B. eine Eingeschriebenenzahl von 5.000 an. Wie lange gilt ein Schüler oder Student als eingeschrieben, wenn er ein Programm begonnen hat ohne es auch abzuschließen? Folglich hat die E-AAA in jüngster Zeit Kriterien für das Zählen von Eingeschriebenen entwickelt in der Hoffnung, besser das tatsächliche Wirken der Einrichtungen vergleichen zu können.

Im usbekischen Taschkent gibt es eine offiziell zugelassene, baptistische Schule; eine weitere, die vor allem von pfingstlerischen und charismatischen Kreisen getragen wird, befindet sich in Almaty/Kasachstan. Ukrainische Schulen und Hochschulen unterstützen mehrere inoffizielle Schulen in den zentralasiatischen Republiken. Keine der dortigen Einrichtungen ist bisher von der E-AAA akkreditiert worden. Es kommen außerdem nicht wenige künftige Pastoren aus Zentralasien zum Studium nach Rußland und der Ukraine.

Die offiziell erst 1997 gegründete E-AAA umfaßt pfingstlerische, lutherische, presbyterianische, baptistische und interkonfessionelle Einrichtungen – allerdings keine adventistischen. Obwohl sich mehrere Mitglieder an anderen Orten befinden, fühlt sich die E-AAA für russischsprachige Einrichtungen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zuständig. Dabei weist Direktor Sannikow darauf hin, daß die – staatlich nicht anerkannten - Akkreditierungskriterien nicht von der EAAA alleine entwickelt worden seien. Sie ist das jüngste Regionalmitglied der “International Council for Evangelical Theological Education” (ICETE). Geschaffen 1980 mit Unterstützung der Weltallianz (WEA), umspannen die sieben Regionalfilialen der ICETE heute den Globus.

Die Arbeit der E-AAA wird von ihren 55 Mitgliedern gefördert. Regelmäßige Mitgliedsgebühren fallen an, eine weitere Gebühr wird für jeden Studenten, der in ein akkreditiertes Programm aufgenommen wird, erhoben. Kosten für die Besuche von E-AAA-Komissionen bei Mitgliedseinrichtungen werden ebenfalls vom Gastgeber getragen. Sannikow wies jedoch darauf hin, daß sich die Arbeit der E-AAA nicht auf Akkreditierungsfragen beschränke. Ihr von Taras Djatlik (Riwne/Westukraine) angeführtes Forschungszentrum publiziert eine Zeitschrift auf Papier und Bücher als CDs, sammelt historische Dokumente und verteilt Studienhefte zu Führungsfragen. Es führt Konferenzen und Seminare durch; deren Ergebnisse werden oftmals publiziert. Ein Projekt aus jüngster Zeit befaßt sich mit der Wirkung theologischer Ausbildung in Euro-Asien. Dieses Zentrum wird nicht von den Mitgliedsbeiträgen getragen, sondern von den Zuschüssen ausländischer Organisationen und Stiftungen.

Die Anfänge in Odessa
Dr. Sergei Sannikow befaßt sich seit Jahrzehnten mit der theologischen Ausbildung in Rußland und der Ukraine. Als der sowjetische “All-Unionsrat der Evangeliumschristen-Baptisten” im Januar 1991 in Moskau sein erstes Seminar für das Studium vor Ort eröffnete, war Sannikow der Rektor. Doch Räumlichkeiten in der historischen Zentralen Baptistengemeinde Moskaus waren sehr beengt und die Bibliothek kaum der Rede wert. Deshalb wurde nach einem einzigen Lehrabschnitt der Entschluß gefaßt, das Seminar nach Odessa in eine bereits 1989 gegründete Bibelschule zu verlegen. Nach Klärung der logistischen Fragen sollte das Seminar in zwei Jahren nach Moskau zurückkehren.

Doch die Auflösung der UdSSR im Dezember 1991 und die Zersplitterung des „All-Unionsrats“ kurz darauf schufen eine völlig neue Ausgangslage. Eingangs blieb Odessa das Seminar der neuen ukrainischen Union; ein zweites Seminar wurde 1993 in Moskau eröffnet. Die Hauptausbildungsstätte der ukrainischen Union befindet sich heute in Irpen westlich von Kiew.

Aus politischen Überlegungen bejaht Sannikow die Aufteilung des alten Baptistenbundes. Schließlich wäre es politisch ungünstig gewesen, einer ausländischen Institution Rede und Antwort stehen zu müssen. „Wir haben keine organisatorische Einheit notwendig, um die Einheit in Christus, die wir verspüren, auszudrücken,“ erklärte er. „Ich leide nicht unter dieser Trennung.“ Er räumte jedoch ein, daß die Trennung einen geistlichen Preis habe. „Es gibt einen gewissen Nationalismus in unseren Gemeinden, und er belastet das Leben unseres Bundes und unsere Beziehungen untereinander. Eine Gruppe betont das Russische, die andere, das Ukrainische. Ich habe nicht das Gefühl, die eine Gruppe sei schuldiger als die andere. Aber jede Gemeinde hat Leute, die die Nationalitätenfrage überzeichnen.“

Der E-AAA-Direktor versicherte dennoch, die Ukraine werde auf absehbare Zeit eine Brücke zwischen Ost und West bleiben. „Die Ukraine wird nicht so sehr wie Georgien auf einem Beitritt zur Europäischen Union bestehen. Aber wir sind keine Russen – wir haben eine andere Mentalität. Zwischen den 16. und 18. Jahrhunderten bewegten wir uns in der Mitte. Vielleicht werden wir uns für immer in der Mitte befinden – weder europäisch noch asiatisch. Aber das ist auch ganz in Ordnung so!“

Die Anschrift der russischsprachigen E-AAA-Webseite lautet: “www.e-aaa.org”.

Dr. phil. William Yoder
Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der RUECB
Moskau, den 22. August 2009

Eine Veröffentlichung der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der RUECB-Leitung zu vertreten. Meldung Nr. 09-26, 1.210 Wörter oder 9.107 Anschläge mit Leerzeichen.