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Denkt der Sektenkundler Alexander Dworkin um?

Baptisten – eine liebenswürdige, christliche Sekte

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Erlebt Alexander Dworkin einen Sinneswandel?

 

Kommentar

 

M o s k a u – In einem Interview in der Dezember-Ausgabe der protestantischen Zeitschrift “Christianin” gibt der Sektenkundler Alexander Dworkin, der „Lieblingsfeind“ russischer Protestanten, zu, daß Baptisten bei seiner Bekehrung keine geringe Rolle gespielt hätten. Bald nach seiner Auswanderung als 21-jähriger Hippie und Dissident im März 1977 gaben russische Baptisten in Italien ihm und seinem Freund ihre ersten Bibeln und christliche Literatur. Eine Broschüre enthielt ein einfaches Gebet, das Menschen beten konnten, falls sie Christus annehmen wollen: „Gott, an Dich kann ich nicht glauben. Aber ich will glauben. Beschenke mich mit Glauben an Dich.“ Rund ein Jahr später in den USA dämmerte ihm die Erkenntnis, daß sein Gebet erhört worden sei. Im genannten Interview fügt er hinzu, daß sein engster Freund, ein Orthodoxer aus Texas, der die eigenen Kinder zuhause unterrichtet, einmal Baptist gewesen sei.

 

Dworkin ist wegen seiner temperamentvollen und konfrontativen Ausfälle gegen jene Gruppen, die er für gefährlich hält, bekannt. In seinen Broschüren warf der Aktivist Krischna und Mun-Anhängern sowie den Zeugen Jehovas verschiedene Verbrechen vor und geißelte sie als „Gangster, Satanisten und Scharlatane“. Der Soziologe Sergei Filatow berichtete von „dem Haß und der Verleumdung, die aus Dworkin emporschießen“. Seine Gegner unterstellen ihm, die anti-sektiererische Hysterie der kommunistischen Ära am Leben zu erhalten.

 

Nachdem Dworkin im nationalen Fernsehen Sergei Rjakhowski, dem Bischof der charismatischen „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens (ROSKhWE) vorgeworfen hatte, eine Orange-Revolution auf russischem Boden zu entfachen, leitete der Bischof rechtliche Schritte ein. Im Gerichtsprozeß, der endlich im Mai 2007 zugunsten von Dworkin entschieden worden ist, hatten sich die beiden Widersacher gegenseitig unterstellt, nationale Zwietracht zu sähen und letztlich als Untergrundagenten US-amerikanischer Interessen zu agieren. Dworkin, der Ende 1991 nach Rußland zurückgekehrt war, hatte 1984 einen US-Paß erhalten und genießt heute die doppelte Staatsbürgerschaft.

 

Nicht wenige Aussagen des Sektenkundlers lassen sich als anti-westlich einstufen. Die Moskauer Menschrechtsinitiative „Helsinki Watch“ zerrte ihn vor Gericht, nachdem er die Gruppe als geheime Front der Scientology-Bewegung bezeichnet hatte. In der für russische Konservative der Gegenwart typischen Manier berichtet er im Interview der Zeitschrift „Christianin“ von der „katastrophalen Geschwindigkeit mit der Amerika die Selbstzerstörung durch die Diktatur der politischen Korrektheit vornimmt“.

 

Zwei der engsten Mitstreiter Dworkins sind westeuropäischer Lutheraner, die selbst nicht unumstritten sind. Sein 1993-gegründetes „Religionswissenschaftliches Forschungszentrum des Heiligen Irenäus von Lyon“ wurde den Berichten zufolge Dänemarks „International Dialogue Centre” des Johannes Aagaard nachempfunden Ein weiterer, enger Mitstreiter ist der Berliner Sektenkundler Thomas Gandow.

 

Trotz der starken Unterstützung des verstorbenen Patriarchen Alexei II., wird Dr. Dworkins Wirken von der seriösen, russischen Religionswissenschaft kaum beachtet. Seine aufrührerischen Reden und Beiträge, sein aufgeblähtes Curriculum Vitae und die Selbstbezeichnung als „Professor“, haben seinen Ruf als Wissenschaftler nachhaltig beschädigt.

 

Dworkins Leidenschaft hinsichtlich der Sektenkunde hängt zweifellos mit der eigenen Biographie zusammen. Vor seiner orthodoxen Taufe im Jahre 1980 hatte er mit dem Okkultismus und der Krischna-Bewegung einschneidende Erfahrungen gesammelt. Als Suchender ohne religiöse Vorbildung gehörte der junge russische Emigrant selbst zum höchst gefährdeten „Bekehrungsmaterial“ der mannigfaltigen Sekten des Abendlandes.

 

Das Jahr 2009

Es ließe sich konstatieren, Russlands bekanntester Sektenkundler habe 2009 den Gipfel seines Ruhmes erreicht. Bei ihrer Jahreskonferenz in St. Petersburg im Mai hatte die „Europäische Föderation der Zentren für die Forschung und Information über Sekten“ (FECRIS) Dworkin zu einem ihrer Vizepräsidenten ernannt. Noch wesentlicher war die Tatsache, daß er ein Monat zuvor zum Vorsitzenden der neuen „Kommission für die Anwendung staatlicher Expertise über die Religionswissenschaft“ beim Justizministerium gewählt worden war. Dieses sowie der spätere Gesetzentwurf zur Verhinderung missionarischer Tätigkeiten wurde mit der Gründung der Initiative „Inquisition – Nein!“ beantwortet. Dennoch, obgleich er nun an der Spitze seines „erfolgreichen“ Weges steht, gibt es Anzeichen dafür, daß der Kampfgeist des Aktivisten zerrinnt.

 

Noch vor dem Interview in der Zeitschrift „Christianin“ hatte Dworkin damit begonnen, zwischen den „klassischen“ und den „totalitären, destruktiven“ Sekten zu differenzieren. In der russischen Ausgabe von „Wikipedia“ wird er mit dem Ausdruck zitiert, die Baptisten seien eine „liebenswürdige, christliche Sekte“. Dabei versichert er Baptisten, daß er sie mit der Verwendung dieses Begriffs nicht kränken wolle. „Sekte“ beschreibt er als einen neutralen Terminus, einen unvermeidbaren, „klassischen Begriff in der Religionssoziologie“. Im genannten Interview zählt er sogar die traditionellen, russischen Pfingstler zu den „klassischen“ Sekten. Doch die Neo-Pfingstler (Charismatiker), Zeugen Jehovas, Krischna- und Scientology-Anhänger kann er nur als „destruktiv“ einordnen. Dabei beschreibt er die Adventisten und manche Pfingstkreise als Grenzfälle, die sich irgendwo im Übergang zwischen „totalitär“ und „klassisch“ befinden. Nach seiner Überzeugung sei eine staatliche Intervention nur im Falle der destruktiven Kulte erforderlich. Im Interview heißt es, wir und die Baptisten „können uns ernsthaft streiten, doch die Glaubensfreiheit schließt die Freiheit des Meinungsaustausches ein. Der Staat soll nicht bestimmen, wo die Wahrheit bei diesen Diskussionen zu orten ist. Diese Angelegenheiten können wir selbst regeln.“

 

Doch der Sinneswandel bei Dworkin hängt wohl nicht ausschließlich mit der Weisheit zunehmenden Alters zusammen. Auf die Einstellung der Zusammenarbeit des Moskauer Patriarchats in der mit dem Weltkirchenrat liierten „Konferenz Europäischer Kirchen“ (KEK) erfolgte im Oktober 2008 eine sofortige Wiederbelebung des „Christlichen Interkonfessionellen Beratungskomitees in der GUS und den baltischen Staaten“ (CIAC). Seit Anfang 2002 hatte bei der CIAC Funkstille geherrscht. Die regionale CIAC, die nicht annährend die theologische Vielfalt der gesamteuropäischen KEK aufweist, wird der Orthodoxie eine stärkere Kooperation mit den protestantischen Denominationen Rußlands abverlangen.

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 9. Februar 2010
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz

 

Meldung Nr. 10-02, 854 Wörter oder 6.616 Anschläge mit Leerzeichen.

Alle genannten Personen wohnen im Großraum Moskau.

 

Eine Anmerkung: Obwohl Dworkin an der “Saint Vladimir's Orthodox Theological Seminary” in Crestwood/New York studiert hat, war meine bisherige Bezeichnung von ihm als “Priester” falsch.

 

Eine Anmerkung vom 23. Februar 2010: In meinen Gesprächen mit Professor Dworkin seit dem hat er stets behauptet, sein Denken erlebe keinen Wandel. Er versichert, er habe schon immer auf grundlegende Unterschiede zwischen den Baptisten und den „Dritte-Welle-Neo-Charismatikern“ hingewiesen. Er weist ferner darauf hin, ihm sei der Titel „Professor“ vom verstorbenen Patriarchen Alexei II. verliehen worden. --wy