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Ein US-amerikanischer Priester dient in Moskau

Der Glaube kann uns vereinen

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Ein Gespräch mit dem Moskauer Archimandrit Zachäus

 

M o s k a u – Können Protestanten in Rußland missionieren ohne bei Orthodoxen den Eindruck zu erwecken, sie würden Proselytismus betreiben? „Das würde ich hoffen,“ erwiderte der US-amerikanische Priester Archimandrit Zachäus, geistliches Haupt der Moskauer „St. Katharinen-Kirche der großen Märtyrerin-in-den-Feldern“. In der gemeinsamen Arbeit bei diakonischen Projekten erkennt er einen Weg, die zwischenkonfessionellen Beziehungen zu verstärken. „Beim gemeinsamen Bemühen darum, die Hungrigen zu sättigen, können wir die Liebe bezeugen, von der wir jeden Sonntag predigen.“ Durch unser Beispiel können wir das Liebes- und Verständigungsbündnis vorleben, das zwischen uns und unseren protestantischen Brüdern und Schwestern besteht. Wir haben den Glauben an uns mit dem Glauben an Christus verwechselt. Doch wenn Gott wirklich derjenige ist, dem wir Glauben schenken, dann wird dieser Glaube auch uns vereinen.“ Bereits 2007 hatte sich seine Gemeinde an einer Suppenküche, die von Bob Bronkema, dem presbyterianischen Pastor der “Moscow Protestant Chaplaincy” ins Leben gerufen worden war, beteiligt.

 

Zachäus wurde in diesem Interview gefragt, ob das kanonische Verständnis, das vom Moskauer Patriarchat der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) propagiert wird, eine missionarische Tätigkeit durch westliche Protestanten überhaupt zuläßt. „Wir müssen einräumen, daß es in Rußland die Glaubensfreiheit gibt,“ antwortete er. „Das bedeutet, daß Rußland ein offenes Feld sei. Wir Orthodoxen müssen erkennen, daß auch wir stets aufgerufen sind, eine missionarische Kirche zu sein – hier sowie in Nordamerika. Wenn wir uns deshalb vor ausländischen Missionaren fürchten, kann das nur heißen, daß wir selbst nicht in einer akzeptablen Art und Weise missionieren.“

 

Der Archimandrit fuhr fort: „Es hat in der jüngsten Vergangenheit sehr fruchtbare Gespräche zwischen Erzbischof Hilarion und Vertretern der protestantischen Gemeinschaften gegeben. Das ist etwas sehr, sehr Erfreuliches, denn wir müssen uns darum bemühen, uns dem Nächsten zu öffnen und ihn zu verstehen. Dadurch werden wir imstande sein, vergangene Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen zu überwinden. Es ist schon vorgekommen, daß Protestanten darum bemüht waren, nicht nur Ungläubige, sondern auch Orthodoxe, zu missionieren. Darüber müssen wir uns offen unterhalten, denn das ist ungerecht und beinhaltet ein Großteil des Problems, das wir bisher mit protestantischen Missionaren gehabt haben. Wenn sie unter denen predigen, die das Evangelium noch nie gehört haben, dann ist das eine Sache. Wenn sie jedoch unter denen predigen, die gerade aus einer orthodoxen Kirche herauskommen, dann ist das höchst unverantwortlich.“

 

Der 1971-geborene Zachäus (Wood) wäre als Botschafter der Orthodoxen Kirche in Amerika (OCA) am Sitz des Moskauer Patriarchats zu beschreiben. Er ist dem in Washington/DC ansässigen Metropoliten Jona (Paffhausen) verantwortlich. Die St. Katharina-Gemeinde funktioniert als die Botschaft der OCA in Rußland. Doch diese Gemeinde ist gleichzeitig auch eine typische Moskauer Stadtgemeinde – 99% ihrer Glieder sind Moskauer. Der Priester fügte hinzu, daß orthodoxe Christen, die in der US-Botschaft arbeiten, in der Regel die St. Katherina-Gemeinde als ihre vorübergehende geistliche Heimat akzeptieren. Er sagte: „In diesem Jahr haben wir vier Teilnehmer aus dieser Botschaft, sowie andere Amerikaner aus der Geschäftswelt. Manche Jahre gibt es mehr Amerikaner hier – in anderen Jahren haben wir überhaupt keine. Die Russen stellen den stabilen Part in unserer Gemeinschaft.“ Eine englischsprachige Messe findet monatlich statt (siehe auch „www.st-catherine.ru“).

 

Zachäus, der als Sohn eines schottisch-irischen Vaters und einer belarussischen Mutter in Spring Valley/Bundesstaat New York aufwuchs, bemüht sich darum, seine Gemeinde als Versammlungsort für die verschiedensten Völker zu empfehlen. „Das gehört zu meinen Hauptaufgaben,“ versicherte er. „Ich will Menschen mit den verschiedensten Herkünften, Glaubensrichtungen und Nationalitäten zusammenführen.“ Derartige Möglichkeiten schnellten 2007 in die Höhe als sich die „Russian Orthodox Church Abroad“ (ROCA) – auch als „Russian Orthodox Church Outside Russia“ (ROCOA) bekannt – mit dem Moskauer Patriarchat zusammenschloß. Die ROCA versteht sich als eine russische Kirche, die OCA hingegen als eine Kirche der vielen Völker, die in den USA leben. Wood berichtete, die Wiederzusammenführung der beiden, lange gespaltenen Kirchen habe seine Beziehungen zum Klerus der ROCA erheblich verstärkt: „Inzwischen kommt es selten vor, daß ein Geistlicher aus der ROCA die St. Katharina-Gemeinde nicht aufsucht. Es kommt vor, daß drei Kirchen – ROK, ROCA und OCA – eine Messe gemeinsam durchführen und gemeinsam beten. Wir sind nicht von der ROCA, aber viele, die mittwochs hierher kommen, um der wöchentlichen Messe zu Ehren des Heiligen Johannes (John Maximowitsch) beizuwohnen, sind es. Wir haben einen Teil seiner Reliquien in einer Ikone, die uns geschenkt worden ist. Einst war er nur ein Heiliger der ROCA, doch heute wird er von der gesamten ROK verehrt. Er wird als ein wahrlich amerikanischer Heiliger angesehen.“ Als der Heilige Johannes von Schanghai und San Francisco (1896-1966) von 1934 bis 1949 in China diente, war er der einzige russische Würdenträger, der sich der Autorität der in Moskau ansässigen ROK nicht unterwarf. Im Jahre 1994 wurde er von der ROCA zum Heiligen erhoben – seit 2008 wird er von allen Kirchen verehrt, die sich in voller Gemeinschaft mit der ROK befinden.

 

Einzigartig an dieser Gemeinde sind die Glocken in ihrem Kirchhof an der Bolschaja Ordynka 60/2. Sie wurden der Gemeinde von einer US-Firma und einer Stiftung gespendet, um jene zu ehren, die bei den Terrorattacken am 11. September 2001 ums Leben kamen. Archimandrit Zachäus erläuterte: “Terroristische Überfälle halten an, deshalb haben wir das Gedenken auf Beslan und alle anderen Opfer des Terrors in der ganzen Welt ausgeweitet. Deshalb haben wir bei der jährlichen Feier am 11.9. die Botschafter von 15 bis 20 Ländern hier zusammen. Wenn in ihrem Staat eine Attacke stattgefunden hat, erscheinen sie zur Feierstunde. Nur wir führen eine derartige Gedenkstunde in Moskau durch, und das ist etwas sehr Positives für uns. Uns ist es ein Vorrecht, diesen Dienst tun zu dürfen.“

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 27. Februar 2010
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz

 

Meldung Nr. 10-04, 896 Wörter oder 6.292 Anschläge mit Leerzeichen.

Anmerkung von September 2020: Im Juli 2011 wurde Archimandrit Zachäus seines Amtes enthoben. Er kehrte daraufhin in die USA zurück.