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Russisch-Amerikanisches Institut stellt regulären Vorlesungsbetrieb ein

Das Moskauer “Russisch-Amerikanische Institut” steht vor erheblichen Hürden

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Das RAI hat den regulären Vorlesungsbetrieb eingestellt

 

M o s k a u – Das russische Flagschiff des evangelikalen, nordamerikanischen Mainstreams ist gestrandet und droht unterzugehen. Der anmutige Traum einer christlichen, geisteswissen­schaftlichen Universität, wie sie ursprünglich von sowjet-russischen Wissenschaftlern bei einem US-Besuch 1990 anvisiert worden ist, steht vor dem Aus. Nach einer Sitzung seines Vorstands in Chicago gab das Moskauer „Russisch-Amerikanische Institut“ am 19 November bekannt, daß es seinen regulären Vorlesungsbetrieb – mit dem Bakkalaureus-Abschluß - einstellen werde. RAI beschreibt den Schritt als eine „Refokussierung“ und Umstrukturierung“, doch übrig bleiben nur der Englisch-Unterricht sowie vereinzelte Kurse zu Themen wie Seelsorge, Sozialarbeit und Ethik. Das Hauptgewicht solle nun auf nichtakkreditierte Abendkurse gelegt werden. In einer Stellungnahme am 15. Dezember bat RAI-Vizepräsident Wladimir Obrowets die vor Ort vorhandenen Freunde Kurse vorzuschlagen, die für Gläubige von allgemeinem Interesse seien. RAI möchte weiterhin den christlichen Kreisen Rußlands dienen. Peter Smirnow, Direktor studentischer Entwicklung in diesem Institut, wies darauf hin, daß hinfort Kurse fast ausschließlich von ihren Teilnehmern finanziert werden müssen. „Studenten werden das schätzen, wofür sie auch zu bezahlen haben.“

 

Im September hatte das Semester mit 80 Studierenden angefangen - zwei Jahre zuvor hatte diese Zahl bei 160 gelegen. Nur die etwa Dutzend Studenten, die noch vor Sommer 2011 ihren Abschluß machen können, dürfen ihr Studium nach Neujahr fortsetzen. Das RAI will anderen Studenten helfen, in ein befreundetes Institut zu wechseln: die englischsprachige “LCC International University”. Diese erfolgreiche Hochschule mit 650 Studierenden befindet sich jenseits des politischen und kulturellen Gefälles in Klaipeda bzw. Memel/Litauen. Der vollamtliche Mitarbeiterstab in Moskau ist auf 10 reduziert worden. Der langjährige und angesehene Dekan, der US-Amerikaner Dr. David Broersma, hat am 16. Dezember seinen Dienst beendet. Der imposante Neubau des RAI wird größtenteils an Fremdfirmen vermietet; ein Fitness-Klub hat bereits die weiträumige, nagelneue Sporthalle bezogen.

 

Das RAI geht davon aus, die wissenschaftliche Akkreditierung der Hochschule, die im Dezember 2008 abgelaufen ist, werde womöglich niemals erneuert. Das dämpft in erheblichem Maße die Attraktivität der Einrichtung für Studierende. In seiner Stellungnahme vom 19. November deutet das RAI an, der demographische Schwund habe zu einem Wettbewerb zwischen privaten und öffentlichen Hochschulen um die wenigen verbliebenen Studenten geführt. Da läge es nahe, daß der Staat seine eigenen Einrichtungen bevorzugt. Protestantische Theologieseminar sind ebenfalls vom Bewerberschwund betroffen. In einem Brief formulierte RAI-Präsident Dr. John Bernbaum: „Die Hauptfrage betrifft die Entscheidungen der Regierung Putin-Medwedew zum Schutz öffentlicher Universitäten auf Kosten der kleinen, privaten Hochschulen. Steuerliche Vergünstigungen werden beseitigt und machen eine ungünstige Lage somit nur noch ungünstiger. Der Umbau der Zulassungsbedingungen durch das Russische Bildungsministerium macht eine gesetzeskonforme, erneute Akkreditierung kleinerer Institute unmöglich.“

 

Doch die drei anderen protestantischen Einrichtungen des Landes, die sich anschicken, geisteswissenschaftliche Universitäten zu sein oder zu werden, harren aus. Keine von ihnen verfügt heute über eine staatliche Akkreditierung; die 20-Jahre-alte „Christliche Universität Sankt Petersburg“ wird international durch die „University of Wales“ akkreditiert. Die im südlichen Krasnodar gelegene und 1992 gegründete “Kubansche Evangelisch-Christliche Universität” gibt an, 550 Studenten zu haben – die meisten davon allerdings im Fernstudium. Die „Adventistische Universität Saokski“ im Gebiet Tula südlich von Moskau ist für sein weiträumiges Gelände und wohlgeordnetes Programm bekannt.

 

Ungenannte Quellen geben an, das RAI stöhne unter einem Schuldenberg nordamerikanischen Ursprungs. Bei seiner feierlichen Eröffnung am 27. Mai 2010 wurde das neue Hochschulgebäude an der Uliza Menschinskowo 40 im Moskauer Norden als den prächtigsten und repräsentativsten Bau im gesamten russischen Protestantismus bezeichnet. Die RAI-Führung weigert sich, Zahlen zu nennen, doch eine Quelle geht von einem Kostenüberschuß von 460% im Laufe der neunjährigen Bauzeit aus. Die Mehrkosten hängen zweifellos damit zusammen, daß Moskau zu den teuersten Städten auf Erden zählt. Während der Bauphase hat das RAI rund 15 Straßendemos vor der Baustelle sowie negativen Pressekampagnen und bürokratischen Hürden getrotzt. Doch werden ihm nun die Schulden aus Übersee den Garaus machen? John Bernbaum, ein Spendensammler ersten Grades, behauptet: „Bauschulden spielten keine wesentliche Rolle bei der Entscheidung, das Studienprogramm einzustellen.“

 

Angesichts der endlosen Querelen um das RAI schrumpft die Zahl der Kritiker nicht. Obwohl von der russischen Medienwelt meistens als „baptistische“ Einrichtung verschmäht, ist eine Reihe seiner leitenden Persönlichkeiten reformierten Glaubens. Zu ihnen zählt Präsident Bernbaum. Doch vielleicht ginge es dem RAI besser, wenn es tatsächlich baptistisch wäre. Bei gleichzeitiger Bejahung des ehrenwerten Zieles hält es ein langjähriger Beobachter dennoch für einen Fehler, sich gleichermaßen um gute Beziehungen zu allen christlichen Denominationen Rußlands zu bemühen. Zu ihnen zählen auch orthodoxe Dissidenten und das höchstoffizielle Moskauer Patriarchat. „In einer kläglich gespaltenen und höchst zerstrittenen kirchlichen Szene muß man sich für ein bestimmtes Lager entscheiden. Man kann nicht sowohl mit Charismatikern wie mit Orthodoxen liiert sein.“

 

“Das RAI ist von unpassenden Strategien heimgesucht worden,” stellt ein baptistischer Kirchenleiter fest. Dessen Leiter „hätten sich von vornherein als protestantisch angeben sollen. Hätten sie sich ohne Umschweife zu ihrem Protestant-Sein bekannt, wäre die Unterstützung vor Ort heute stärker. Es war auch ein großer Fehler, das Wort „christlich“ aus seinem Namen zu entfernen.“ Bis 2009 hieß es die „Russisch-Amerikanische Christliche Universität“ bzw. „Institut“ auf Russisch. Doch ein unbußfertiger John Bernbaum versichert: „Wir werden weiterhin mit allen Christen zusammenarbeiten, die Nachfolger Jesu Christi sind.“

 

Das RAI hat kein enges Arbeitsverhältnis mit den anderen christlichen Hochschulen Rußlands und steht deshalb jetzt relativ einsam da. Dem Institut wird auch vorgehalten, viel eher eine amerikanische als eine russische Einrichtung zu sein. Sein Präsident räumt ein, der Untergang des Studienprogramms sei auch auf „die fehlende Unterstützung ausgezeichneter christlicher Hochschulbildung durch die Russen selbst“ zurückzuführen. „Die russische Unterstützung war – und ist – minimal. Angesichts der globalen Rezession läßt sich die amerikanische Unterstützung nicht in gleicher Weise aufrechterhalten beim Ausbleiben einer entsprechenden Gegenleistung seitens der Russen.“

 

Ein russischer, baptistischer Journalist erläuterte: „Eine geisteswissenschaftliche, christliche Hochschulbildung hat bei uns keine Tradition. Studenten ist nicht klar, weswegen sie Betriebswirtschaft auf einer christlichen Hochschule studieren sollten, wenn sie an einer staatlichen Einrichtung ein höherwertiges Studium angeboten bekommen.“ Er fügte hinzu: „Eine Partnerschaft mit dem (1995 gegründeten) RAI ist noch nicht zustande gekommen. Sein Traum ist so überwältigend, er übersteigt gänzlich unsere eigenen Ressourcen und Fähigkeiten.“  Die Enttäuschungen wirken verständlicher wenn man bedenkt, daß auch das westeuropäische Festland über so gut wie keine protestantischen, geisteswissenschaftlichen Universitäten verfügt.

 

Das RAI gehört zu den 70 Hochschulen aus 24 Ländern, die dem im Washington/DC-ansässigen „Rat für christliche College(s) und Universitäten“ (CCCU) angehören. Das Gleiche trifft für das auf Nordamerikaner zugeschnittene Programm an der 440 km östlich von Moskau gelegenen „Staatlichen Universität von Nischni Nowgorod“ zu. Die gegenwärtige Trauer wird gesteigert dadurch, daß dieses zweite Projekt des CCCU im Dezember 2010 gänzlich eingestellt worden ist. Obwohl dies auf Bewerbermangel zurückgeführt wird, haben sich seit 1994 immerhin 600 Nordamerikaner an diesem Programm beteiligt. Unzählige Freundschaften zwischen Russen und jungen Nordamerikanern sind entstanden – auch Eheschließungen. Programmgründer, Slawist und US-Amerikaner Harley Wagler will vorerst als Dozent an der gastgebenden Universität auf dem Posten bleiben.

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 22. Dezember 2010
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz

 

Eine Veröffentlichung der Russischen Evangelischen Allianz. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der Allianz-Leitung zu vertreten. Meldung Nr. 10-28, 1.107 Wörter oder 8.569 Schläge mit Leerzeichen.

Anmerkung von Juli 2020: Die Arbeit des RAI ist inzwischen so gut wie eingestellt; sein neues Gebäude ist verkauft worden. (Siehe hierzu unsere späteren Berichte.) Der Mennonite Harley Wagler (geb. 1941) ist weiterhin als Dozent an seiner Universität in Nischni Nowgorod tätig.