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Die slawische Jugend in Nordamerika

"Unsere Hände sind gebunden“

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Zur Lage der Jugend bei den nichtregistrierten Baptisten und Pfingstlern

 

Kommentar

 

M o s k a u -- Der Staat ist noch immer der Gegner für die nichtregistrierten Baptisten und Pfingstler der ehemaligen Sowjetunion - doch heute sind es größtenteils andere Staaten. Dank der Emigrationswelle, die bereits vor 30 Jahren einsetzte, befinden sich die staatlichen Gegner heute vor allem in Deutschland und im Nordwesten der USA. In Rußland verbleiben heute rund  25.000 erwachsene, nichtregistrierte Baptisten – etwa 16% der Zahl von 1966 für die gesamte UdSSR. Rund 100.000 evangelikale Baptisten und Pfingstler sind heute im Großraum Portland/Oregon versammelt; eine ähnliche Zahl hat es nach Sacramento in Kalifornien gezogen. Folgerichtig besitzen nichtregistrierte Baptisten heute den Namen: „Internationaler Gemeindebund – oder Rat - der Evangeliumschristen-Baptisten“.

 

Ein Bericht aus dem Raum Portland, der am 28. Februar vom Moskauer Pressedienst „Portal-Credo“ abgedruckt worden ist, beschreibt in erschüttender Weise die Seelenot eingewanderter russischer und ukrainischer Eltern, die nun in einem völlig neuen kulturellem Umfeld mit ihrem Nachwuchs zu Rande kommen müssen. Diesem Bericht zufolge führen zwischen 50 und 67% der eingewanderten Oberschüler ein Doppelleben. Vor und nach dem Unterricht ist ein längerer Aufenthalt auf der Schultoilette nötig, um sich entsprechend den Erwartungen der jeweiligen Umgebung zurechtzumachen.

 

Aber auch Drogen, Prostitution und Gewaltverbrechen sind im Spiel. David Klassen, Pastor einer slawischen Gemeinde in der Stadt Gresham/Oregon meinte: „Viele der älteren Generationen hatten einst wegen ihres Glaubens in sowjetischen Gefängnissen gesessen. Heute gelten ihre Kinder als Banditen und sitzen deshalb im Gefängnis. Natürlich bricht das die Herzen der Eltern.“

 

Der Wunsch nach Wohlstand hatte diese Menschen nach Übersee gelockt. Dazu zählte aber auch die Erwartung, ihren von der UdSSR geprägten Glauben in einer Umgebung frei von atheistischen und orthodoxen Drängeleien unverändert erhalten zu können. Doch offensichtlich machte man die Rechnung ohne den Wirt – die Kinder. Mit Leichtigkeit gelingt es der dortigen, kulturellen Dampfwalze, ihnen die Kinder abzutrotzen. Es hieß lapidar: „Die Auswanderung hat die Kluft zwischen den Generationen gesteigert.“

 

Die Abwehr einer eindringenden Umwelt durch das Zusammenhalten der Ortsgemeinde greift nicht mehr im nordamerikanischen Kontext. Ungeschulte Laienpastoren aus der Heimat sind für die Auseinandersetzung mit der neuen Gesellschaft nicht gewappnet. Diesen seelisch bedürftigen Familien wäre es auch eine Schande, bei säkularen, staatlich kontrollierten Sozialämtern um Hilfe nachzusuchen. Familienvater und Pastor - die Patriarchen - haben die Sache zu richten. Diese Neueinwanderer streben nach dem schnellen Geld auf Baustellen und in Autoschlossereien; die Frauen sollen sich um den vielköpfigen Nachwuchs kümmern. Eine längerfristige, kulturelle Einschulung ist nicht vorgesehen.

 

Eine leidende Mutter aus den ukrainischen Karpaten beklagte sich, ihre Kinder würden es mit einer Anzeige bei der Polizei quittieren, wenn sie ihnen eine körperliche Strafe androhe. In Amerika würden die Kinder die Eltern diktieren. Ein russischsprachiger Sozialarbeiter behauptete: „Manche Eltern fragen ihre Kinder nicht einmal nach den Hausaufgaben weil sie Angst haben, der Staat könnte ihnen die Kinder wegnehmen.“

 

Der Prozeß in Salem

Diese Angst ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. In der zweiten Jahreshälfte 2009 wurde die Welt im Internet (z.B. www.examiner.com) Zeuge eines Gerichtprozesses in Salem/Oregon, bei dem ein ukrainisches Paar mit sieben Kindern für mehr als sieben Jahre ins Gefängnis wanderte. Nach körperlichen Bestrafungen hatten sich die drei ältesten Kinder von Oleksandr und Liudmila Kozlov an die Polizei gewandt. Herzzerreißend war dann das Spektakel, als die sechs Minderjährigen im Prozeß gegen die eigenen Eltern aussagten. (Das siebte Kind war damals nur wenige Monate alt.) Eine der Überschriften bei der dortigen Presse lautete: „Vor Gericht rechtfertigen Eltern mit der Bibel den Kindesmißbrauch“. Mit bis zu 100 Protestlern am Verhandlungsort ergriffen vier benachbarte Aussiedlergemeinden für das angeklagte Paar Partei.

 

Gesteigert wurde das Strafmaß durch die beharrliche Nichteinsicht der Eltern. Die bibeltragende Liudmila Kozlova verglich sich mit dem alttestamentlichen Daniel, umgeben von Löwen und Feinden. An die gerichtlichen Weisungen und Gepflogenheiten hielt sich das Paar nicht. Ohne jeglichen Beleg warf der Vater den Staatsbeamten vor, die Kinder unter Drogen gesetzt und die Fotos der Prügelwunden per Photoshop digital verschlimmert zu haben. Ein Diakon aus ihrer Heimatgemeinde, der „First Slavic Church“, versicherte, wäre er – der Diakon - selbst betroffen, hätte er sich beim Anblick solcher Bilder und trotz Androhung einer Haftstrafe auch geweigert, sich bei der Polizei zu melden.

 

Schützenhilfe aus Übersee traf ein – auch aus Rußland. Ein Brief auf der Webseite des „Internationalen Gemeindebundes“ (http://iucecb.com) vom 26. August 2009 an den US-Präsidenten Barack Obama beschwor die völlige Schuldlosigkeit des Ehepaares. Diese überwiegend russischsprachige Webseite wird immer mehr von Protesten gegen die Maßnahmen westlicher Staaten geprägt. Sie tritt auch für die Rechte jener Eltern ein, die in Deutschland für die Heimbeschulung eintreten. In einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin vom 19.2.2011 heißt es bezüglich sieben zu kurzen Haftstrafen Verurteilten: „Wir sind sehr besorgt über die Verfolgung unserer Brüder und Schwestern im Glauben . . .  aus Salzkotten. Sie werden dafür verfolgt, daß sie ihre Kinder im christlichen Glauben und Gehorsam gegenüber Gottes Wort zu erziehen versuchen. Sie haben nicht zugelassen, daß ihre Kinder am Sexualkundeunterricht und an gottlosen Theateraufführungen teilnahmen.“

 

Resumee

Erst recht durch die Vorfälle in Salem 2009 wird der alte Leidensweg der nichtregistrierten Kreise der Sowjetunion kompromittiert. Waren diese Menschen tatsächlich wegen ihres Glaubens verfolgt worden, oder hatte man damals mitunter die eigenen (sub)kulturellen Normen mit Glauben verwechselt? Danach sieht es in den USA aus – war es in der alten Sowjetunion wirklich immer ganz anders gewesen? Ist diese Verwechselung erst nach 1990 entstanden?

 

Es ist viel Tragisches dabei. Eltern haben nach eigenem Verständnis das Beste für ihre Kinder gewollt – doch das Ergebnis waren Haftstrafen. (Das kann ich aber im konkreten Falle Salem nicht beurteilen.) Natürlich fühlen sich die nichtregistrierten Baptisten und Pfingstler von Liebe bewegt – doch die andere Seite kann das als Verachtung empfinden. Ein US-Missionar in Rußland behauptet sogar, die Beziehungen der Nichtregistrierten zu anderen Evangelikalen seien „durch Haß“ geprägt. Offensichtlich können Absicht und Ergebnis weit auseinander klaffen. „Unsere Hände sind gebunden“, meinte die betroffene Mutter aus den Karpaten. Der Satz läßt sich wahrlich mehrfach deuten; er kann neben Trauer auch Freude und Erleichterung auslösen.

 

Diese Entwicklungen sind allerdings nicht neu – schon Anfang der 90er Jahre wurde u.a. aus Pennsylvania über Spannungen zwischen den Aussiedlergenerationen berichtet. Es sind aber auch Hoffnungszeichen in Sicht. Olga Parker, eine Therapeutin bei den „Lutheran Community Services Northwest“, meinte z.B., daß die Flexibilität ein Schlüssel zum Erfolg sei. „Russischsprachige Eltern müssen verstehen, daß ein gegenseitiges Einvernehmen wesentlich wichtiger sei als Strenge und Genauigkeit.“

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 16. März 2011
Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz

 

Eine Veröffentlichung der Russischen Evangelischen Allianz. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der Allianz-Leitung zu vertreten. Meldung Nr. 11-01, 1.036 Wörter oder 7.458 Schläge mit Leerzeichen.