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Baptist Sipko bei den Pfingstlern in Fernost

Wenn dein Bruder gegen dich sündigt

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Juri Sipko auf einer charismatischen Konferenz im russischen Fernost

 

M o s k a u – Ohne Ankündigung stattete Juri Kirillowitsch Sipko, bis 2010 Präsident der Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten (RUECB), am 14. Oktober einer führenden charismatischen Gemeinde einen Besuch ab.  Es handelte sich um die Gemeinde der „Neuen-Generation“-Bewegung in der fernöstlichen Stadt Blagoweschtschensk. Es folgten Berichte über diese Konferenz in der Stadt an der chinesischen Grenze auf russischsprachigen, charismatischen Webseiten. Doch erst ein Monat später versetzte ein neuer Videokommentar zu diesem Ereignis auf der Webseite der „Slavic Voice“ (Dallas/Texas) die russischsprachige Welt des Baptismus in helle Aufregung. Die Videos zeigten eine festliche und äußerst herzliche Atmosphäre, in der sich Sipko und der gastgebende Pastor Mikhail Darbinjan unter frenetischem Beifall umarmen. Ohne ein Mandat seines Kirchenbundes kündigte der Ex-Präsident den Beginn einer neuen Ära in den Beziehungen zwischen Baptisten und Charismatikern an. Er rief aus: „Ich bin so glücklich, so begeistert, Brüder und Schwestern, daß wir uns einig sind und unsere Gefühle ohne Scham Ausdruck verleihen dürfen!“ Darbinjan erwiderte mit Unterstützung von Sipko: „Wir sind irgendwie doch EINE Kirche. Wir werden in ganz Rußland beisammen sein.“ Er versicherte ferner: „Dies ist erst der Anfang unserer Zusammenarbeit auf dem göttlichen Acker.“ Begleitet wurde Sipko von einer baptistischen Delegation einschließlich des regionalen Superintendenten Pawel Swetlow.

 

Die Baptisten der slawischen Welt waren nicht wenig verwirrt – Sipko hatte eine führende Rolle gespielt beim anticharismatischen Video „Kharismatija”, das 2005 erschienen war. Ein Blogger merkte an: „Die Lehrer der Neuen Generation weisen alle Irrtümer und Übertreibungen auf, die dieser Film verurteilt.“ Der Kiewer Andrei Iskorostenski fragte: “Wann genau war Sipko ehrlich: Als er den Film über die Charismatiker drehte, oder als er das Lob für die Führung der Neuen Generation anstimmte? Die Logik läßt nicht zu, daß beides nebeneinander steht.“ In der Regel sparen Baptistenpastoren keine Mühe, um die eigene Jugend vor der charismatischen Bewegung in Schutz zu nehmen. Sehr oft bleiben sie interkirchlichen Veranstaltungen fern wenn Pfingstler oder Charismatiker zugegen sind.

 

Frappierend für Beobachter ist ferner die Tatsache, daß Sipko mit dem radikalen Rand der charismatischen Bewegung den Start eines Versöhnungsprozesses feierte. Die Neue Generation wird von Darbinjans Mentor, dem in Riga beheimateten Alexander Ledjaew, angeführt. Ledjaew ist ein in Kasachstan aufgewachsener Ukrainer baptistischer Abstammung (siehe unsere Meldung vom 25. Juli 2011). Bei einem Rundfunk-Interview aus Sakramento/Kalifornien Ende November hatte der der Moskauer Unternehmer und Bischof der Evangeliumschristen Alexander Semtschenko darauf verwiesen, daß sich die große charismatische Union des Sergei Rjakhowski (ROSKhWE) sowie viele Pfingstler schon vor Jahren von Ledjaew distanziert hätten.

 

Pawel Starikow betritt die Bühne

In einem etwa 70-minütigen Video auf der Webseite der von Semtschenko gegründeten “Slavic Voice” (www.slavicvoice.org), schnitt Pawel Starikow aus Portland/Oregon Bruchstücke aus dem Auftritt Sipkos in Blagoweschtschensk mit Beiträgen aus dem anticharismatischen Film und schockierenden, fast gewalttätigen Szenen aus Gottesdiensten der Neuen Generation in Riga und USA zusammen. Die Mixtur, die sich daraus ergab, scheint imstande, dem Ruf des Juri Sipko ernsthaften Schaden beizufügen. Diese Zutaten statteten den Film auch mit seinem Titel aus: „Juri Sipko, ehemaliger Leiter der russischen Baptisten, wird zweierlei Maßstäben vorgeworfen und zur Buße aufgefordert“. Der Untertitel fragt: „Was treiben da die Leiter der RUECB unter den Pseudoaposteln und falschen Lehrern der letzten Tage?“ Starikow, ein ehemaliger Charismatiker aus der Ukraine, gehört einer Initiative mit dem Namen „Ketzerei – niemals!“ an.

 

Der Film wird von einem Brief an den RUECB-Präsidenten Alexei Smirnow begleitet, in dem der Nicht-Baptist Starikow Sipko auffordert, u.a. seine Verfehlungen zu bekennen und alle Beziehungen zum charismatischen Lager abzubrechen. Die RUECB dürfe dessen Leiter nicht als „Brüder“ ansprechen, müsse sich bei Ortspastoren aufgrund der entstandenen Verwirrung entschuldigen und die charismatischen Webseiten auffordern, alle Szenen aus dem Auftritt in Blagoweschtschensk zu entfernen.

 

Die Reaktionen der baptistischen Intelligenz auf den Film Starikows waren größtenteils negativ: Der Kiewer Konstantin Teterjatnikow geißelte ihn als bar jeglicher Qualität und Objektivität; der Petersburger Mikhail Newolin verglich ihn mit den sensationsgierigen Fernsehsendern Rußlands. Eine Frau aus Albany/New York schrieb: „Man könnte jeden beliebigen Vers aus der Schrift herausreißen und darauf eine neue Lehre aufbauen. Das ähnelt der Verleumdung.“ In einem Blog merkte Iwan Kunderenko vom Kiewer „Zentrum für apologetische Forschung“ an: „Die Argumentation ist echt schwach. Das riecht nach der IUCECB (der Union der nichtregistrierten Baptisten). Das ist sehr schade.”

 

Gefallen an den Bemühungen Starikows fanden am ehesten Fundamentalisten. Der Berliner Dmitri Walter z.B. fragte nach, ob Sipko früher die kalvinistische Lehre der baptistischen Predigerschule in Samara/Wolga nur deshalb kritisiert hatte, weil sie sich gegen die Charismatiker wende. Albert Isakow aus Brooks in der Provinz Alberta behauptete in einem Blog, daß Alexander, der in Spokane wohnende ältere Bruder von Juri, „sich scharf gegen die Teilnahme seines Bruders an einer Versammlung von Gotteslästerern ausgesprochen“ hätte. Alexander Sipko ist Leiter der „Northwest Association of Slavic Baptist Churches“.

 

Die Reaktion des Alexander Semtschenko war anders. Im genannten Radiogespräch versicherte er, gegen das „Küssen und Umarmen“ von Charismatikern keinerlei Einwände zu haben. Doch in jenem Gottesdienst hatten sowohl Sipko wie Darbinjan „Putin attackiert“. In Blagoweschtschensk hatte der Ex-Präsident gesagt: „Ich habe unser Singen gehört und nun verstehe ich, warum Euch die Staatsanwaltschaft seit vielen Jahren gnadenlos verfolgt. Aber ich meine, es werde ihnen niemals gelingen, denn die Absichten Satans werden zunichte gemacht. Gott ist am Ruder – er ist der Herrscher. Der Herr ist unser Tsar. Amen, Alleluja!“ In Sakramento beschwerte sich Semtschenko: „Juri Kirillowitsch gibt sich immer wieder der antistaatlichen Rhetorik hin. Das ist seine große Masche.“ Als führender Geschäftsmann können sich Semtschenko und seine kirchlichen Vorhaben nicht leisten, sich mit den Mächtigen anzulegen.

 

Eine mäßigende Kraft bezüglich der Charismatiker, der Oligarch betonte den Unterschied zwischen Ledjaew und den Tausenden ernsthafter Brüder und Schwestern, die seine Gemeinden aufsuchen. Er fügte hinzu, daß seit den 90er Jahren das Benehmen und Denken von Rjakhowski und seinem Dachverband charismatischer Assoziationen moderater geworden seien. „Ich bin optimistisch bezüglich dieser Entwicklungen.“

 

Alexander Kusnetsow, Leiter der charismatischen, einst baptistischen Gemeinde in Moskau-Tuschino, bewegt sich weiter auf baptistische Kreise zu. In einem Blog zum Thema Blagoweschtschensk räumte er ein: „Wir haben auch sehr ernsthafte Anfragen hinsichtlich der charismatischen Randgruppierungen.“ Dabei erwähnte er Lehren bezüglich der Dämonologie und des Heiligen Geistes. Er äußerte sogar Verständnis dafür, daß die RUECB im April 2003 seine Gemeinde exkommuniziert hatte (Sipko war zu jener Zeit Präsident). „Wahrscheinlich haben sich die Brüder damals richtig verhalten“ – wir hegen keine Ressentiments. „Ich freue mich, daß Juri Kirillowitsch ein ernsthafter Mensch ist und seine Ansichten über die Kirche Jesu Christi in Bewegung sind. Nicht alles läßt sich schwarz oder weiß deuten. Wir werden für ihn beten – er befindet sich in einer schwierigen Lage.“

 

Nicht wenige Kommentare deuteten Überdruß bezüglich der endlosen Streitigkeiten zwischen Fundamentalisten und Evangelikalen einerseits und Charismatikern andererseits an. Der Blogger Juri Lubowoi bezeichnete die Aufspaltung in feindliche Lager als „komisch und sinnlos“. Er hält es für unverantwortlich, entweder Baptisten oder Charismatiker für evangeliumskonformer zu halten. Alle befänden sich weiterhin in einem langwierigen Prozeß zur Vervollkommnung der Gemeinde Jesu Christi. „Die Weigerung aufeinander zu hören ist nicht von Gott, sondern von Satan.“ Ein anderer berief sich auf einen Bibeltext: „Wie können wir behaupten, in Christus zu sein, wenn wir den Bruder hassen?“ Daniel Martschenko aus dem Bundesstaat Washington umschrieb einen anderen Vers: „Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, nimm ein Video auf und zeige es der ganzen Welt. Ist das der Sinn von Matthäus 18,15-17?“ In solchen Äußerungen ist der Wunsch nach konstruktiveren Formen menschlichen Austausches offensichtlich.

 

Offensichtlich ist zugleich die Tatsache, daß russische und ukrainische Aussiedler – und ihre Kirchenverbände – durchaus bereit und imstande seien, bei kirchlichen Entwicklungen in der alten, fernen Heimat mitzureden. Portland befindet sich 18 Zeitzonen westlich der Stadt Blagoweschtschensk.

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 14. Dezember 2011

Pressedienst der Russischen Evangelischen Allianz

 

Eine Veröffentlichung der Russischen Evangelischen Allianz. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine offizielle Meinung der Allianz-Leitung zu vertreten. Meldung Nr. 11-26, 1.240 Wörter oder 9.118 Schläge mit Leerzeichen.