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Rußland hat erstmals eine presbyterianische Generalversammlung

Ein Anfang ist gemacht

 

M o s k a u -- “Die Zahlen sind bescheidener als wir dachten, doch der Anfang ist gemacht!” So äußerte sich Dr. Wladimir Li, Pastor der “Moscow Presbyterian Church”, nach  Gründung der ersten presbyterianischen Generalversammlung in Moskau am 4. Oktober. Neunundzwanzig Delegierte aus presbyterianischen Gemeinden von Moskau bis Sachalin – 6.600 km ostwärts – nahmen an der Gründung der „Generalversammlung (General Assembly) der presbyterianischen Kirchen Rußlands“ teil. „Alles fängt mit einem kleinen Samen an“, fügte Li hinzu. „Hauptsache ist, daß die Saat auf guten Boden fällt.“

 

Die Generalversammlung wird sich alle zwei Jahre treffen. Präsident in den ersten beiden Jahren ist Wladimir Li, ein Arzt mit einem in Kalifornien erworbenen Magisterabschluß in Theologie. Sein Stellvertreter ist Ahn Soon-Cheol, ein langjähriger Missionar aus Korea, der in Moskau lebt. „Es gäbe weniger Interesse wenn wir uns nur alle vier Jahre treffen würden“, erläuterte Li. „Wir entschieden uns, uns zweijährlich zu treffen, damit solche, die noch draußen stehen, sich uns eher anschließen können.“ Die nächste Generalversammlung soll 2014 auf der mit Erdgas und Öl gesegneten Insel Sachalin stattfinden – die Heimat zahlreicher von Koreanern gegründeter und unterstützter Gemeinden.

 

Eine erste Aufgabe wird darin bestehen, die staatliche Registrierung zu erhalten. Dies wird es Ortsgemeinden erstmals ermöglichen, sich einer genuin presbyterianischen Denomination anzuschließen. Um die Legalität zu erzielen, mußten presbyterianische Gemeinden in den vergangenen 20 Jahren unter eine Vielzahl interkonfessioneller Dachverbände schlüpfen.

 

Eine weitere Aufgabe besteht in der Schaffung einer Fakultät für reformierte Theologie. Bereits im September haben fünf Studenten ein Studium im Rahmen des „Moskauer Seminars der Evangeliumschristen“ aufgenommen, dessen Rektor der Baptist Alexander Zuzerow ist. Anfangs werden die Grundkurse von allen Studenten belegt. Danach werden spezielle Kurse von den verschiedenen Denominationen für die eigenen Studenten abgehalten. Li erklärte: „Hier handelt es sich um ein interkonfessionelles Seminar – auch wenn es eher arminianisch als kalvinistisch zu bezeichnen wäre.” Zu den weiteren kleinen presbyterianischen Seminaren zählen ein lizensiertes Seminar in Wladiwostok sowie zwei in St. Petersburg. Ein zweites Moskauer Seminar wird vom selbständig agierenden koreanischen Geschäftsmann Lee Hong Rae geführt.

 

Zu den weiteren Aufgaben zählen die Entwicklung von Ordinationsrichtlinien sowie Richtlinien für die Laienausbildung. Das wird die Zusammenarbeit aller vier Regionen der Generalversammlung (Zentral, Sibirien, Fernost und Sachalin) voraussetzen. Sie wird auch die Durchführung von größeren Kinderlagern im Sommer ermöglichen.

 

Mitgliederzahlen liegen nicht vor. Pastor Ahn Soon-Cheol geht davon aus, bereits über die Hälfte aller russischen Presbyterianer seien bei der Generalversammlung vertreten. Doch nur 70 Gemeinden waren durch die Delegierten auf der ersten Generalversammlung vertreten. Lis Denomination besteht aus 20 Gemeinden.

 

Man könnte behaupten, eine Generalversammlung wurde erst möglich nachdem die Leitung in russische Hände gelangt sei. Die acht Millionen Presbyterianer Südkoreas bilden nicht weniger als 112 eigenständige Denominationen. Li räumt ein, die Missionare hätten ihre Aufspaltungen nach Rußland exportiert. Die erste russische Konferenz zwecks Bildung einer Generalversammlung fand 2009 anläßlich des 100. Jubiläums der koreanisch-presbyterianischen Präsenz im russischen Fernosten statt. Doch Pastor Li, ein gebürtiger Russe koreanischer Abstammung, berichtet mit einem Lächeln, daß diese erste Konferenz ausschließlich von ausländischen Missionaren durchgeführt worden sei. „Wir Russen erfuhren als Letzte von dieser Konferenz!“ Nachdem deutlich wurde, daß die Gründung einer Generalversammlung nicht gelingen würde, “verloren die etwa sechs unterstützenden Denominationen in Korea das Interesse”. Eine Moskauer Zusammenkunft im Mai 2011 räumte Russen die meisten leitenden Positionen ein. Nun im Oktober bekamen russische Staatsbürger alle Positionen mit Stimmrecht – das russische Gesetz läßt weiteren Optionen nicht mehr zu. Der Präsident berichtete: „Wir haben entschieden, Russen werden die Hauptverantwortung tragen und Koreaner werden eine unterstützende Rolle spielen.“ Diese Entwicklung stößt weiterhin auf Widerwillen bei machen aus Korea.

 

Am anderen Ende des Spektrums befindet sich eine Gruppe aus St. Petersburg, die im US-Bundestaat Mississippi beheimatet ist. Diese “Slavic Reformation Society” unterhält sich weder mit koreanischen Missionaren noch mit der neuen Generalversammlung. Ihr amerikanischer Leiter ist Blake Purcell, ein Pastor der konservativen “Presbyterian Church of America” und Vertreter der “Communion of Reformed Evangelical Churches” (CREC). Ein Missionar in Rußland seit 1990, Purcell fungiert als Ältester in der „Refomiert-Presbyterianischen Kirche von St. Petersburg“ und fördert deren „Biblisches Theologieseminar“. Das Seminar ist als Verfechter des “Christian Reconstructionism” von R.J. Rushdoony (1916-2001) bekannt. “Wikipedia” beschreibt ihn als Kopf einer radikalen Rechtsbewegung, die zur Gründung eines christlichen Staates mit drakonischen, im Alten Testament fundierten Strafmaßnahmen für Missetäter aufruft. Rushdoony gehörte zu den Gründern der Hausunterrricht-Bewegung (homeschooling). Scott Davidson aus Colorado, ein Vater von acht Kindern, propagiert sie im Petersburger Raum.

 

Pastor Walerian Ten, ein weiterer Moskauer Russe mit koreanischem Stammbaum,  wirft Purcell vor, die Lehre der “Federal (Föderativen) Vision” nach Rußland gebracht zu haben. Sie wird von manchen als Ableger des „Reconstructionism“ verurteilt. Ein besonders strittiger Punkt betrifft das Erteilen von Abendmahl an Kindern sobald sie kauen können – eine Praxis der östlichen Orthodoxie. Ten beschreibt Purcell als „reformiert-presbyterianischen Ketzer“.

 

Eine zweite, von Wiktor Kasanski geleitete presbyterianische Gruppe in St. Petersburg besteht darauf, daß die Generalversammlung prinzipiell von der Frauenordination Abstand nimmt. Gleichzeitig soll sie schriftlich den Genuß von Alkohol und Tabak einräumen. Aus beiderlei Gründen hält diese Gruppe sich bisher von der Versammlung fern. „Warum Alkohol und Tabak in unseren Schriften überhaupt erwähnen?“ fragte Dr. Li. „Eine Erwähnung überhaupt käme deren Propagierung gleich.“

 

Presbyterianer und Reformierte

Walerian Ten zieht die Etikettierung “reformiert” vor und hat seine eigene, aus zehn Gemeinden bestehende “Union der Evangelisch-Reformierten Kirchen Rußlands” ins Leben gerufen. Obwohl seine Gruppe der Versammlung noch nicht beigetreten ist, macht er beim Aufbau der Moskauer Fakultät voll mit. In Rußland sind die „Presbyterianer“ meistens koreanisch und relativ groß, die „Reformierten“ hingegen amerikanischen oder europäischen Ursprungs und sehr klein.

 

Die Gründe, die Ten angibt für die Wahl des Begriffes „reformiert“, klingen eher politisch als theologisch. Wladimir Li insistiert sogar, die theologischen Unterschiede zwischen den russischen Presbyterianern und Reformierten seien minimal. Reformierte wie Lutheraner blicken auf eine lange Tradition auf russischem Boden zurück. Reformierte gehörten dazu als Peter der Große die Ingenieure und Intellektuelle Westeuropas zur Mithilfe bei der Modernisierung Rußlands einlud. Rußland verfügt weiterhin über öffentliche Plätze, die nach den reformierten Generälen Franz Lefort (1655-1699) aus Genf und dem Schotten James Daniel Bruce (1670-1735) benannt worden sind. Ten berichtet davon in einer Studie, daß Lefort sogar ein enger Vertrauter des großen Tsars gewesen sei. Im Jahre 1717 wurde in St. Petersburg die erste reformierte Gemeinde gegründet; bald darauf folgte eine Gemeinde in Odessa. Erst 1927 wurde die Petersburger Gemeinde von den Kommunisten aufgelöst. Durch das Belegen ihrer langen russischen Vergangenheit könnte die kleine reformierte Bewegung ähnlich wie die Lutheraner das Recht beanspruchen, zu den traditionellen Religionen Rußlands zu gehören.

 

Die Beziehungen nach Korea bleiben eng, doch Pastor Li bedauert, daß die Beziehungen der Generalversammlung nach Westen auf dort anwesende koreanische Gruppierungen beschränkt seien. „Wir brauchen Literatur und theologische Informationen“, bekannte er. „Wer könnte uns helfen, unsere neue theologische Fakultät zu entwickeln und strukturieren? Wir brauchen Dozenten, die hierher kommen und für eine befristete Zeit Vorlesungen halten. Das wäre uns eine sehr konkrete Hilfe.“

 

Wladimir Li kann in englischer Sprache unter folgender Anschrift kontaktiert werden:

 

Rev. Dr. Vladimir Li

Moscow Presbyterian Church

ul. Dm. Ulianov 25-1

Moskva 117449

007 (495) 126 0910

Fax 126 7758

livladimir(at)hotmail(dot)com

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 8. November 2012

 

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