· 

Martin Luther und "P-Riot"

Die ökumenische Schmerzgrenze überschreiten

-----------------------------------------------------------------------------

Über den Einsatz der evangelischen Christen Deutschlands für P*Riot

 

Kommentar

 

M o s k a u -- Es ist gerade eine Entscheidung gegen die Auffassung führender Vertreter der „Evangelischen Kirche in Deutschland“ gefallen. Die 16 Lutherstädte Deutschlands haben am 11. November beschlossen, der berühmtesten „Mädchengruppe“ der Welt den Luther-Preis, „Für das unerschrockene Wort“, nicht zu verleihen.

 

Ein Wort vorab: Schlitzohrig haben sich die jungen russischen Damen – bzw. deren Hintermänner – einen Namen ausgedacht, der die Honoratioren der gesamten Öffentlichkeit zwingt, eine Vulgarität nachzuplappern. Doch das braucht sich keiner antun: Nennen wir die Gruppe einfach „Katzenaufstand“. In einem lesenswerten Blog schrieb der Engländer Alexander Mercouris am 7. August: Die Teilnehmer „haben eingeräumt, die Obszönität als Waffe einzusetzen – sie kommt auch im Namen der Gruppe zum Ausdruck.“ Diese vermeintliche Musikgruppe hat einen flüssigen Mitgliederstamm, hat nie ein Lied aufgenommen und hat wohl auch kein Lied-Repertoire. Der Engländer beschreibt deren Kerngruppe als „politisch-militante Aktivisten mit ultralinken und wohl anarchistischen Ansichten“.

 

In einem Berliner Reformationsgottesdienst am 31. Oktober hatte der evangelische Bischof von Berlin und Brandenburg, Martin Dröge, die Gruppe in seiner Predigt verteidigt. Dabei räumte er ein: „Keiner von uns möchte gerne in seiner Andacht gestört werden.“ Genau dafür solle sich die Gruppe beim Gerichtsprozeß auch bereits entschuldigt haben. Doch schon lange vor dem berühmten Auftritt in der Moskauer Christus-Erlöserkathedrale am 21. Februar war der Katzenaufstand kein unbeschriebenes Blatt.

 

Seit Entstehung der ursprünglichen Gruppe „Wojna“ (Krieg) 2007 sind eindeutig strafbare Taten begangen worden: das Umkippen von - auch besetzten - Polizeiwagen, das Werfen von Brandbomben und gewalttätige Angriffe auf Menschen. Dazu zählt der Sturm auf eine Moskauer Niederlassung der Bulettenkette „McDonalds“ am 1. Mai 2007, bei dem ahnungslose Mitarbeiter mißhandelt und mit lebendigen Katzen beworfen worden sind.

 

„Nomen est omen“: Die Gruppe setzt Körperteile auch unterhalb der Gürtellinie ein. Besonders bekannt ist der Fall des öffentlich vorgeführten Geschlechtsverkehrs im Moskauer Timirjasew-Biologiemuseum im Februar 2008. Mit von der Partie war die heute inhaftierte (und damals hochschwangere) Nadeschda Tolokonnikowa. Danach verewigte sich die Gruppe mit einer Reihe pornographischer Fotos jenes Happenings im Internet.

 

Schon die Etikettierung des obszönen Auftritts am 21. Februar als Punk-„Gebet“ ist eine Blasphemie. Neben der Fäkalsprache werden Wladimir Putin und der orthodoxe Patriarch Kirill aufs übelste beschimpft. Der Patriarch wird „suka“ genannt, was sich mit „Hurensohn“ oder „Lump“ übersetzen läßt.

 

In ihrem Eintreten für die Gruppe vor der EKD-Synode am 4. November versicherte deren Präses, die grüne Politikerin Katrin Göring-Eckardt: „Das Evangelium, das sahen wir schon bei Martin Luther, befähigt zur Freiheit.“ Mit anderen Worten: Der – militant atheistische - Katzenaufstand sei in seinem Tun vom Evangelium getrieben. Zur Aktion in der Erlöserkirche meinte sie ferner: „Bei der Aktion der russischen Frauen mischt sich in die Provokation mindestens ebenso viel Verzweiflung über Verhältnisse zwischen Staat und Kirche, die wir uns hier in Deutschland kaum noch vorstellen können“. Also: Auch aus schierer Verzweiflung vor der Staatsnähe habe dieses Grüppchen seine Aktion in der Erlöserkathedrale veranstaltet.

 

Die Vermengung des Moskauer Patriarchats mit der Regierung Putin ist in der Tat Anlaß zur Sorge. Ihrem Selbstverständnis nach hat sich die russische Orthodoxie (ROK) immer zum Staat zu halten versucht – auch im Kommunismus. Aber die EKD ist auch keine Freikirche. Ein Anlegen desselben Maßes würde heißen: Rußland geht gegen die Verquickung der ROK mit der Staatsmacht vor. Im Gegenzug machen sich die Deutschen für die Abschaffung einer staatlich eingetriebenen Kirchensteuer stark.

 

Westliche Beobachter empörten sich darüber, daß sich der Patriarch vor den Wahlen im März für den Kandidaten Putin eingesetzt hatte. Wäre der Westen gleichermaßen empört gewesen, wenn sich Kirill gegen Putins Kandidatur ausgesprochen hätte? Falls nicht, dann ist der Vorwurf einer einseitigen Parteinahme der ROK unberechtigt. Eine politische Parteinahme läge in beiden Fällen vor.

 

Auch die EKD-Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017 und ehemalige Ratsvorsitzende, Margot Käßmann (Berlin) hat die Preisnominierung des Katzenaufstandes begrüßt. In einem Rundfunkgespräch sagte sie, sie empfinde „große Sympathie mit den jungen Frauen“, weil sie mutig seien. Bischof Dröge meinte in der genannten Predigt: „Ich bewundere den Mut und die innere Freiheit der jungen Frauen.“ Doch nur Mut zeigen und für die eigene Überzeugung einstehen macht einen nicht automatisch preiswürdig. Mut haben auch islamistische Attentäter und japanische Kamikazeflieger erwiesen. Entscheidend ist die Frage: „Mutig gegen was?“

 

Offensichtlich ist ein Großteil der westlichen Prominenz gar nicht im Bilde darüber, wie die „schweigende Mehrheit“ hinter Brest und Bug empfindet. Leitartikler in der „Washington Post“ und der „New York Times“ haben die Gerichtsprozesse gegen drei Frauen als „stalinistische Schauprozesse“ bezeichnet. Das könnte man als schamlose Verhöhnung der wahren Opfer des Großen Terrors deuten.

 

„Amnesty International“ hat das mehrjährige Strafmaß als „bitteren Anschlag gegen die Meinungsfreiheit“ angeprangert. Doch nahezu alle Länder der Erde verfügen über Gesetze gegen eine Störung der öffentlichen Ordnung. Der Jurist Mercouris versicherte, nach britischem Recht wäre der Auftritt in der Moskauer Kathedrale ebenfalls strafbar gewesen. Zum Vergleich wird manchmal der Fall der polnischen Popsängerin Dorota Rabczewska (“Doda”) angeführt. Im Mai 2010 wurde sie der Blasphemie überführt weil sie im Fernsehen behauptet hatte, die Bibel sei „von Kiffern und Säufern“ verfaßt worden. Trotz ihrer Kooperation mit dem Gericht und einer umfassenden Entschuldigung wurde ihr eine Strafe von $1.450 US aufgebrummt.

 

Doch nach Mercouris machte sich der Katzenaufstand einer Mißachtung des Gerichts schuldig. Die Verteidigung hätte nicht ernsthaft verteidigt, sondern vielmehr die Zeugen der Anklage belästigt und verspottet: „Es ist undenkbar, daß sich die Gerichte eines westlichen Staates derartige Taktiken gefallen lassen würde.“ Wochenlang weigerten sich die Angeklagten zuzugeben, daß sie überhaupt dem Katzenaufstand angehörten. Nach seiner Auffassung hätten die Frauen sich selbst und den „Unterstützern in Rußland und im Westen“ das hohe Strafmaß zu verdanken. Ich vermute, ihre anarchistische Weltanschauung hätte ein würdiges Benehmen vor dem Gericht gar nicht zugelassen.

 

Der Osten tritt für die hohen Werte ein

Man möge staunen, doch die Christen Osteuropas halten sich meistens für weniger dekadent als die „Glaubensgeschwister“ im Westen. Sie wollen für die hohen historischen Werte der Christenheit eintreten: Familie, Treue, Sitte. Auf weiter Strecke erachtet sich Moskau seit einem Jahrtausend als das „Dritte Rom“ (nach Rom und Konstantinopel), als Damm gegen übermächtige, vom Westen einströmende liberale oder gottlose Kräfte. (Darunter fällt auch der Marxismus.)

 

In Bezug auf die Toleranz gegenüber der Homosexualität behauptete Sergei Rjachowski, Bischof der „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens (ROSKhWE)“ im vergangenen Sommer, der nichtsowjetische, russische Staat habe niemals die Unmoral gesetzlich festschreiben lassen. Er versicherte ferner: „Ich zögere nicht, diese Personen (der Katzenaufstand) als Feinde des russischen Volkes und der Kirche zu bezeichnen.“

 

Stellvertretend für alle will das Dritte Rom heute den Kampf mit einer säkularistischen „politischen Korrektheit“ im Westen aufnehmen. Doch da paktieren die evangelischen Partner im Westen lieber mit dem Feind und lassen ausgerechnet die größten Gegner von Kirche, Moral und Sitte hochleben. Pastor Witali Wlasenko, Abteilungsleiter für kirchliche Außenbeziehungen bei der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“ in Moskau stellte fest: „Wir haben überhaupt kein Verständnis für die Haltung von Christen in Deutschland, die diese Band verteidigen. Das kapieren wir nicht. Die hiesigen Lutheraner können sich nur verschämt abwenden.“

 

Wo bleibt hier die einst gehuldigte Ökumene? (Russische Baptisten reden lieber von „interkonfessionellen Beziehungen“.) Ökumene hatte zu tun mit Kulanz, mit gegenseitiger Achtung und Rücksichtname. Es kommt einem wie ein Anschlag auf den ökumenischen Gedanken vor. An dieser Stelle trifft genau das zu, was Bischof Dröge Anfang 2009 meinte: „Hier wurde die ökumenische Schmerzgrenze deutlich überschritten.“ Doch damit meinte er eine Handlung des Vatikans und seines deutschen Papstes.

 

„Sitte“ und „Anstand“ klingen spießig in westlichen Ohren. Man könnte sie aber im Namen der kirchlichen Verständigung auch ertragen und sogar gutheißen. Und was denkt die muslimische Welt über das kirchliche Eintreten für den Katzenaufstand? Mit einem solchen Auftritt in einer Moschee hätten die Frauen vielerorts ihr Leben aufs Spiel gesetzt.

 

Anatoly Karlin, ein in Kalifornien studierender Russe, versuchte in „Al Jazeera“ am 23. August die globale Beliebtheit des Katzenaufstands zu erklären: „Die Leute sind telegen, ausgefallen, haben einen schmissigen Namen und sind - was am allerwichtigsten ist - gegen Putin.“

 

Der Wittenberger Propst Siegfried Kasparick hatte sich gegen eine Nominierung ausgesprochen, weil sich seine Stadt damit „lächerlich“ gemacht hätte. Ein zweiter bekannter Wittenberger Pfarrer, Friedrich Schorlemmer, meinte, man dürfe keine „Gotteslästerung„ ehren; die Punkband habe „am falschen Ort provoziert“. Dank des Einsatzes von Kirchenmenschen wie ihnen könnten noch größere Schäden von der EKD abgewendet werden.

 

Es fällt schwer, Bischof Dröge und den anderen böse Absichten zu unterstellen. Sie sind auf die Medien angewiesen. Sie haben es immer eilig, und wer von ihnen versteht schon Russisch?

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 17. November 2012

 

Eine Stellungnahme der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen bei der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“. Sie erhebt aber nicht den Anspruch, eine einheitliche, offizielle Position der RUECB-Leitung zu vertreten. Diese Meldung darf gebührenfrei abgedruckt werden wenn die Quelle angegeben wird. Meldung Nr. 12-28, 1.384 Wörter oder 10.044 Anschläge mit Leerzeichen.