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Das Hochhalten moralischer Werte in Rußland

Eine Gesellschaft mit hohen Preisen und niedrigen Werten

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Das nationale, Russische Gebetsfrühstück versammelte sich zum 13. Male

 

M o s k a u – Das Hochhalten moralischer Werte gehört zu den Grundanliegen des Russischen Gebetsfrühstücks. Darum ging es auch in diesem Jahr, als sich rund 200 Personen am 12. März in Moskau versammelten. Dabei handelte es sich um das 13. Frühstück im Laufe seiner 18-jährigen Geschichte.

 

Erstmaliger Gast Jaroslaw Nilow griff in seiner Rede das Thema gleich auf und stellte fest, Rußland sei „eine Gesellschaft mit hohen Preisen und niedrigen Werten“. Er fügte hinzu, sein Land verfüge über „stabile Häuser, die von zerbrechlichen Familien bewohnt werden“. Dabei legte der 31-jährige Zweite Vorsitzender der Fraktion der Liberal-Demokratischen Partei (LDPR) in der Duma noch einen wichtigen Begriff aus: „Die wahre Spiritualität wird nicht an der Zahl angezündeter Kerzen oder der Menge gespendeter Gelder gemessen. Spiritualität befindet sich im Innern des Menschen und krempelt das Leben um.“ Die Partei Nilows wird von dem umstrittenen Nationalisten Wladimir Schirinowski angeführt.

 

Alexander Torschin, Stellvertretender Vorsitzender des Bundesrates im Oberhaus und Mitglieder der Partei Wladimir Putins (Einiges Rußland), beklagte den Vertrauensmangel zwischen Volk und Obrigkeit sowie zwischen den einzelnen Menschen. „Ohne die menschliche Einheit kommt keine geistliche Einheit zustande.“

 

Der Politiker Andrei Tumanow, auch eine bekannte Fernsehpersönlichkeit, beschrieb sich selbst als nichtreligiös. Er lobte die Anzeichen einer wachsenden Zivilgesellschaft, die das Gebetsfrühstück verkörpert, und verurteilte die Verfolgung religiöser Minderheiten. „In schweren Zeiten suchen wir immer nach einem kleinen Volk oder einer kleinen Glaubensgemeinschaft als Bösewicht. Einmal sind das die Juden, ein anderes Mal die Baptisten. Das ist gängige Praxis in der ganzen Welt.“ Er verurteilte zugleich unaufrichtige religiöse Rituale und behauptete: „Ich weiß von eindeutigen Banditen, die kirchliche Orden empfangen haben. Der wahre Glaube ist etwas ganz anderes.”

 

Üblich in den Kreisen des russischen Gebetsfrühstücks ist eine mäßige Distanzierung vom Westen. In diesem Falle übernahm Eduard Grabowenko, Leitender Bischof der traditionell-pfingstlerischen „Russischen Kirche der Christen evangelischen Glaubens“ die Aufgabe. Den Staatsvätern dankte er dafür, daß sie das Land „nicht auf den Weg liberaler Prinzipien geführt haben. Sie sind stattdessen den einfachen, konservativen Werten treu geblieben“. Dabei meinte er noch: „Vielleicht sind wir konservativer als die Amerikaner – ihre liberalen Werte haben weniger Anhänger hierzulande. Doch vieles eint uns weiterhin in Anbetracht der Masse gemeinsamer Probleme.“

 

Jaroslaw Nilow nannte das flüchtige, frivole „Punkgebet“ einer inzwischen weltberühmten Mädchengruppe in der Moskauer „Christ-Erlöser-Kathedrale“ am 21. Februar 2012 ein Beispiel für den moralischen Verfall Rußlands.

 

Der kleinste, gemeinsame Nenner

Der Aufruf zur Bildung einer moralischen Bewegung auf möglichst breiter Ebene zwingt die Gebetsfrühstück-Bewegung dazu, sich auf die kleinsten, gemeinsamen Nenner zu beschränken. Auch darum ist die Bewegung nicht mehr ausschließlich christlich orientiert – sie propagiert eine Art „civil religion“. Seit Jahren stehen Juden auf der Moskauer Rednerliste; die Muslime sind seit drei Jahren dabei. In diesem Jahr stand sogar ein Redner von außerhalb der Glaubensgemeinschaften auf der Liste: der bekennende Ungläubige Andrei Tumanow. Daraus läßt sich entnehmen, daß auch Atheisten eine Rolle bei der moralischen Erneuerung des Landes spielen können.

 

Dennoch sind die Glaubensgrenzen nicht völlig beliebig: Die Bewegung in ihrer heutigen Form würde keinen Mormonen auf die Rednerliste setzen. Sie wären dennoch als stille Gäste willkommen. Das Frühstück ist für Protestanten und die Vertreter der „traditionellen“ Glaubensgemeinschaften Rußlands – sowie vereinzelte Atheisten – gedacht.

 

Vor zwei Jahren wurde ein neues, politischeres Format ausprobiert: Geistliche kamen beim Frühstück nur ganz am Rande vor. Doch dessen Leitung hat inzwischen einen Rückzieher gemacht und in diesem Jahr griff das Programm auf die alte, bewährte Mixtur von Laien und Geistlichen zurück. In den Regionen Moskaus bleibt die Bewegung in den jetzigen Anfangsstadien im wesentlichen eine Versammlung protestantischer Geistlicher und Laien.

 

Der Baptist Witali Wlasenko, Koordinator der russischen Gebetsfrühstück-Bewegung außerhalb Moskaus, ließ in einem Interview wissen: „Das Moskauer Frühstück bietet uns eine hervorragende Plattform, um Staatsvertretern zu begegnen. Die Bewegung stellt keine konkreten politischen Forderungen oder Bitten – sie bietet uns Evangelischen die Chance, unseren Patriotismus und unsere Sorge um das Gemeinwohl unter Beweis zu stellen.“ Das Frühstück drückt den Wunsch von Protestanten aus, aus den Schatten am Rande hervorzutreten und in die gesellschaftliche Mitte zu gelangen. Das äußere Erscheinungsbild ist wichtig: Die Tatsache, daß sich das Moskauer Frühstück im elitären “Präsident-Hotel” versammelt, bringt das protestantische Verlangen nach Anerkennung durch Gesellschaft und Politik zum Ausdruck.

 

Nach Wlasenko haben sich regionale Frühstücke bereits in St. Petersburg, Krasnojarsk (Zentralsibirien), Omsk (Westsibirien), Perm (Ural), Nischni Nowgorod (Wolga),

 

Workuta (arktisches Europa) und Tambow (Südrußland) gebildet. Frühstücke in Chabarowsk an der chinesischen Grenze und in Krasnodar nahe dem Kaukasus sind in Vorbereitung. Das Permer Ereignis sorgt für Aufsehen, denn es findet in enger Zusammenarbeit mit der von Bischof Grabowenko geleiteten „Kirche des Neuen Testaments“ statt. Diese 3.500-Mitglieder-starke Gemeinde konnte vor sechs Jahren das Kulturhaus der Stadt erwerben – das größte Kulturhaus im gesamten Uralgebiet. Sein Frühstück fand im vergangenen November zum zweiten Mal statt.

 

Auf internationalem Parkett scheint die Ukraine über beste Voraussetzungen für das Gedeihen einer Frühstücks-Bewegung zu verfügen. Im Gegensatz zu Rußland hat das Land keine einzige Kirche, die imstande wäre, das gesamte Volk für sich zu monopolisieren. Die wenigen Evangelischen im Parlament haben bereits damit begonnen, kleinere Frühstücke abzuhalten. Die ukrainischen Delegationen, die das jährliche Washingtoner Gebetsfrühstück aufsuchen, fallen erheblich größer als die Delegationen aus Rußland aus. Belarus hat noch kein eigenes Gebetsfrühstück – doch die Russen stehen bereit, den dortigen Christen mit dem erforderlichen Wissen auszustatten.

 

Trotz seines Wachsens innerhalb Rußlands stößt die Bewegung weiterhin auf deutlichen Widerstand. Der orthodoxe Gläubige Alexander Torschin, ein ständiger Gast bei den Frühstücken in Moskau und Washington, beschwerte sich bei der Versammlung am 12. März: „Seit sechs Jahren bemühe ich mich, eine Gebetsversammlung innerhalb unseres Bundesrates (Oberhaus) ins Leben zu rufen. Doch bestimmte Kräfte lehnen sich dagegen auf. Sie versichern, sie seien nicht gegen das Beten – doch wer beten will, sollte sich in eine Kirche begeben. So würde man der Konkurrenz (zwischen gegensätzlichen Weltanschauungen) aus dem Wege gehen.“ Dieser Widerstand ist zu orten bei Humanisten, Kommunisten und manchen Orthodoxen.

 

Wlasenko räumt ein, daß die Bewegung „zu 80- oder 90%“ von Protestanten getragen werde. Ein Gebetsfrühstück – eine Versammlung von Laien in einer säkularen Umgebung – läßt sich auch schwerlich mit einem orthodoxen Format in Einklang bringen. Das Moskauer Patriarchat erwartet, daß nur Geistliche öffentlich beten, und, daß auf das gemeinsame Beten mit Nichtorthodoxen verzichtet wird. Doch bis vor drei Jahren wohnten Vertreter des Patriarchats dem Moskauer Ereignis bei und traten sogar auf.

 

Vorstandsvorsitzender für das Nationale Gebetsfrühstück ist der baptistische Geschäftsmann Wjatscheslaw Kolesnikow.

 

Dr.phil. William Yoder

Smolensk, den 18. März 2013

 

Eine journalistische Veröffentlichung gefördert von der “Presbyterian News Service”, Louisville/USA, “www.pcusa.org”. Sie will informieren und erhebt nicht den Anspruch, eine offizielle Meinung der PNS zu vertreten. Diese Meldung darf gebührenfrei abgedruckt werden wenn die Quelle angegeben wird. Meldung Nr. 13-06, 1.045 Wörter oder 7.762 Anschläge mit Leerzeichen.

 

Abgesehen von Grabowenko (Perm) haben alle genannten Personen ihren Wohnsitz in Moskau.