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Eine ukrainische Stellungnahme zur Homosexualität

Mit den Kindern auf die Straße ziehen

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Eine Debatte im Rahmen der Christlichen Universität Donetsk erlebt sein einjähriges Jubiläum

 

Kommentar

 

M o s k a u – Es ist ein Jahr vergangen seitdem ein Sturm mittlerer Größe über den ukrainischen Protestantismus hinwegfegte. Ausgelöst wurde der Sturm durch die gemäßigte Haltung von Olena Panitsch („Jelena“ auf Russisch), damals Vize-Rektorin an der „Christlichen Universität Donetsk“, zur Frage der Homosexualität. Er fing damit an, daß die protestantische Initiative „Liebe statt Homosexualität“ sie aufforderte, zu erklären warum sie sich für eine Politikerin stark mache, die sich für die Bürgerrechte von Schwulen ausspreche. Bald darauf forderte der junge Leiter der Bewegung, Ruslan Kuchartschuk, die Universität dazu auf, sich von der Dozentin zu distanzieren bzw. ihr zu kündigen. Doch darauf ließen sich die Universität und deren damaliger Rektor, Dr. Michail Tscherenkow, nicht ein.

 

Panitsch hatte die Notwendigkeit von Kompromissen und der Verwerfung einer Politik, die aus einem einzigen Thema besteht, hervorgekehrt. Dazu meinte sie: „Ich könnte eine Person als Kandidatin unterstützen unabhängig von deren Haltung zur Frage der Homosexualität, wenn sie ein nützliches und notwendiges politisches Programm vertritt.“ Zwecks Selbstverteidigung äußerte sie ihr Erstaunen darüber, daß „Menschen meine Nichtteilnahme an der antischwulen Bewegung der Ukraine als Unterstützung für irgend etwas anderes werten könnten“.

 

Ihre wohl umstrittenste Behauptung bestand im Verständnis für den Wunsch der Homosexuellen, sich öffentlich zu verteidigen – eine Praxis, die nebenan in Rußland gesetzlich verboten ist. „Ihr Wunsch, ihre homosexuelle Orientierung offenzulegen, ist verständlich. So möchten sie Anerkennung für den Lebensweg, den sie sich gewählt haben, einfordern.“

 

Der Sturm ließ gegen Ende 2012 nach, nachdem die Baptistin Panitsch chategorisch zu Protokoll gab, daß „eine nichttraditionelle sexuelle Orientierung Sünde ist“. Sie fügte aber hinzu, Christen seien stets aufgefordert, Sündige zu lieben. Danach verließ die promovierte Historikerin die DCU und wirkte als Stipendiatin der Fulbright-Stiftung an der Pennsylvania State University in College Park. Heute erlebt sie gemeinsam mit ihrem Ehemann das Sabbatjahr in Kiew.

 

Dr. Panitsch ist weiterhin über das Gewaltpotential gegenüber Minderheiten besorgt und beschreibt jene Gruppierungen, die das ukrainische Parlament zur Annahme einer diskriminierenden Gesetzgebung drängen, als totalitär. Die Prediger von Haß und Verachtung hält sie für besonders gefährlich in der Ukraine, „weil unsere Gesellschaft gegen die Diskriminierung und Verletzung von Menschenrechten keineswegs gefeit ist“. An die Evangelikalen gerichtet sagt sie: „Solche, die sich heute für Zwang und Benachteiligung einsetzen, dürfen nicht ausschließen, daß das morgen gegen sie gerichtet wird.“ Im Nazismus suchten falsche Anschuldigungen sowohl Schwule wie Juden heim. Daraus kann sich ein heiliger Krieg ergeben, und „heilige Kriege lassen sich nur schwerlich aufhalten“.

 

Mit einem Hinweis auf die Gewalt, die Ehefrauen und Kindern ausgesetzt sind, sowie die wenig friedlichen antischwulen Proteste im Nordwesten der USA und in Lettland, fügt Panitsch hinzu, slawische Evangelikale seien nicht stets so friedlich wie sie selbst über sich zu denken pflegen: „Ein derartiges Denken kann tödliche Konsequenzen haben.“ Bereits an anderer Stelle wurde darüber berichtet (Yoder in einer Meldung vom 25. Juli 2011): Slawen, die sich als Evangelikale ausgaben, hatten im Juli 2007 bei Sacramento/Kalifornien einen Schwulen aus Fidschi dermaßen brutal zusammengeschlagen, daß er an den Folgen starb. Panitsch betrauert ferner den späteren Selbstmord eines jungen, evangelikalen Ukrainers mit homosexuellen Neigungen, der dem Druck seiner Gemeinde, Familie und Freunden nicht gewachsen war. Sie schreibt, daß wir nicht das Recht hätten, denen, die höchstwahrscheinlich nicht ins Himmelreich gelangen werden, das irdische Leben „möglichst unerträglich zu machen“.

 

Die Vorliebe für den Brudertwist

Olena Panitsch merkt an, die Homosexualität sei als Waffe auch auf ganz anderen, weit entfernten Schlachtfeldern begehrt. Sie werde z.B. im globalen Ringen gegen den Westen eingesetzt. „In der Ukraine heute hat der Kampf gegen das Phantom einer aggressiven Homosexualität die Absicht, unser Land unter dem ideologischen Einfluß der russischen Sphäre zu behalten. Es soll zumindest . . . eine kulturelle Mauer zwischen uns und (West)europa erhalten bleiben.“

 

Eine Umfrage des Verfassers stellte vor kurzem fest, die Homosexualität an sich sei von nur geringem Interesse unter der allgemeinen sowie der evangelikalen Bevölkerung Rußlands. Anscheinend sei nur der Bruderzwist wirklich interessant und erst als Waffe in diesem Kampf sei die Homosexualität als Thema attraktiv geworden. Nachdem im Juli veröffentlicht worden war, daß das „Fuller Seminar“ in Kalifornien eine LGBT-orientierte Studentengruppe zugelassen hatte, sorgten konservative Baptisten in Rußland dafür, daß die Nachricht entsprechend im Internet verbreitet wurde. Damit sollte verdeutlicht werden, daß die Abgänger dieses Seminars Liberale seien – und davon hat Rußland mehrere. Generell wird die Homosexualität als preiswerter und schneller Lackmustest eingesetzt, um die Rechtgläubigkeit unter Beweis zu stellen. Sie wird so zu einem willkommenen Instrument zur Bekämpfung jener Kreise eingesetzt, die liberaler sind als die eigene.

 

Um den Bruderzwist ging es ebenfalls bei Tscherenkows Erwiderung vor einem Jahr. „Irgendeiner ist darauf aus, zu kämpfen und Kriegsgewinnler zu werden. Und wer sich nicht als Freiwilliger für den Kampf meldet, wird als Verräter, Deserteur und Geheimagent abserviert. . . . Die ukrainischen Christen wollen den Feind in den eigenen Reihen ausfindig machen. Das ist verrückt.“ Er fuhr fort: „Ich nahm mir alle Briefe vor - sie waren mit Fluchen und Beleidigungen gespickt - die uns von den Verfechtern der ‚traditionellen christlichen Werte‘ zugeschickt worden sind. Ich schloß daraus, es gehe diesen Menschen nicht so sehr um ein reines Christentum als darum, den antichristlichen Kräften einen Skandal zuzuschanzen.“

 

Olena Panitsch warnt vor einer Neigung zum Klerikalismus: „Man darf nicht der Versuchung erliegen zu glauben, der staatliche Zwang sei wirksamer im Kampf gegen die Sünde als das fromme Leben, das Wort Gottes und die Kraft einer aufrichtig vorgetragenen Predigt.“ „Gute, starke Familien“, die moralische Überzeugungen vorlebten, gehörten zu den akzeptabelsten und effektivsten Mitteln, die Folgen von Unmoral und Sünde zu überwinden. Wir sollten deshalb „die geballten Fäuste öffnen, ein Evangelium in die Hand nehmen und mit den eigenen Kindern auf die Straße ziehen“.

 

Sie ruft zu einem dualistischen Vorgehen auf, das sich in der Behandlung von Homosexualität durch Kirche und Staat widerspiegelt: „Die Kirche ist dazu aufgerufen, Menschen zum ewigen Leben mit Gott hinzuführen. Doch der Staat hat die Aufgabe, das irdische Leben möglichst vernünftig zu gestalten.“ Zwecks gesellschaftlichen Friedens müsse sich der Staat darum bemühen, die Interessen widerstreitender Gruppierungen und Individuen auszugleichen „unabhängig von deren Beziehung zu Gott“.

 

Panitsch berichtet, sie habe bei diesem Streit entdeckt, daß sie keineswegs alleine auf verlorenem Posten stünde. „Ich habe viele neue Freunde gefunden. Die Debatte hat wohl vielen geholfen, ihre eigene Position zu bestimmen.“ Gegenüber der Leitung der Christlichen Universität Donetsk äußert sie ihre Dankbarkeit dafür, daß sie „den Provokationen nicht nachgegeben und mich unterstützt haben“.

 

Andere Belange

Am 30. September gab die DCU ihre Absicht bekannt, eine enge Partnerschaft mit der “LCC University” von Klaipeda/Litauen (Memel) aufzubauen. Das LCC ist wohl die erfolgreichste evangelische Bildungseinrichtung auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR. Tscherenkow, das eigentliche Hirn hinter dem Projekt, der heute nur noch als Berater für die DCU fungiert, versicherte: „Ich träume sogar von noch mehr – von der Integration beider Einrichtungen in eine einzige osteuropäische, christliche Universität.“ Diese Entwicklung hat herzlich wenig mit Homosexualität und der ehemaligen Vize-Rektorin Panitsch zu tun, zeigt jedoch immerhin auf ein verstärktes Zusammengehen der gemäßigten, evangelikalen Kräfte in Ost- und Mitteleuropa. Fazit: Die Gemäßigten haben keinen Anlaß mehr, sich einsam zu fühlen.

 

Meldung Nr. 13-17, 1.157 Wörter oder 8.282 Schläge mit Leerzeichen.

 

Nachwort

Mikhail Tscherenkow hat gebeten, ein Nachwort verfassen zu dürfen:

 

„Ich verteidige weniger die Meinung von Olena Panitsch als ihr Recht, diese Meinung zu äußern. Ich habe sie als guter Mensch und als eine gute Christin kennengelernt und gab ihren Widersachern den Rat, sich an die Ortsgemeinde zu wenden. Als Mitglied ist Olena ihrer Ortsgemeinde rechenschaftspflichtig. Doch die Stifter des Skandals waren wenig an die Wahrheit interessiert – sie wünschten einen Skandal. Ich wollte weniger für oder gegen irgendeinen Menschen auftreten, sondern eben dagegen protestieren, daß ein Mensch fertiggemacht wird nur wegen dessen, was auf Facebook steht. Ich bin auch gegen bestellte, billige, journalistische Provokationen. Hier wurde nicht zum ersten Male versucht, christlichen Hochschulen Skandale anzuhängen und ich verurteile derartig verwerfliche Praktiken.“

 

Dr.phil. William Yoder

Moskau, den 15. Oktober 2013

 

Für diesen Beitrag übernimmt nur der Autor die Verantwortung. Er will informieren und erhebt nicht den Anspruch, mit diesem Aufsatz für irgendeine Organisation zu sprechen.