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Sowohl die Ukraine wie Russland fühlen sich bedroht

Die Ukraine ist nicht unser Krieg

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Interview mit dem Präsidenten der russischen Baptisten

 

M o s k a u -- In einem Interview des Moskauer Nachrichtendienstes “Protestant”, das am 17. März publiziert worden ist, versicherte Aleksei Smirnow, der Präsident der „Russischen Union der Evangeliumschristen-Baptisten“, daß der russisch-ukrainische Konflikt in baptistischen Kreisen unerträglichen Schmerz ausgelöst habe. Wie ein Messer, habe er „familiäre und zivile Verbindungen zerschnitten und den Menschen äußerst schwierige Entscheidungen aufgenötigt“. Der Konflikt habe „Ehepaare, Gemeinden und die Brüderschaft überhaupt gespalten“. Plötzlich haben sich Menschen „in hitzige politische Debatten“ hineinziehen lassen „und zeigen sich bereit, einen heiligen Krieg gegen Andersdenkende zu führen“. Über derartige Erscheinungen „dürfen wir nicht hinwegsehen“.

 

In dem Interview des Aussiedlers Andreas Patz unterstrich Smirnow die biblische Aufforderung, allen Menschen ohne Ansehen der Person zu dienen. Seine Scham bezüglich jener Baptisten, die sich gegen eine humanitäre Hilfe für die von Separatisten beherrschte Ost-Ukraine aussprachen, brachte er zum Ausdruck: „Den Christen ist es eindeutig klar, daß wir den Bedürftigen zur Seite stehen müssen.“ Den Versuch, die materielle Hilfe als Köder für das Einfangen von Bekehrungswilligen einzusetzen, geißelte er als sektiererisch. Wie spenden „zum Wohle des himmlischen Reiches und nicht zum Wohle einer bestimmten Kirche. Nur das Evangelium darf unser Netz sein.“ Das Evangelium habe sich seit 2.000 Jahren nicht verändert, versicherte er. „Liebe den Herrn deinen Gott mit ganzem Herzen und liebe deinen Nächsten wie dich selbst. So erfüllst du das Gesetz.“

 

Ohne den Maidan namentlich zu erwähnen, verteidigte der Präsident die Stellungnahme seiner Union vom 30. Mai 2014, die Straßenaufständen und Palastrevolten jegliche theologische Rechtfertigung absprach. „Der Teufel stiftet zu Kampf, Krieg und zur Revolution an. Die sündhafte Natur des Menschen rebelliert. Sie verlangt stets etwas; sie gibt sich nie zufrieden.“ Eben deshalb „sind wir gegen Gewalt, Revolutionen und Putsches“. In keinem Falle sollen die Gläubigen zur Gewaltanwendung gegen irgendeine Partei in einer Auseinandersetzung anstiften. Christus „hat nie zum Krieg gegen irgendjemanden aufgerufen“. Nie forderte er Gewaltanwendung gegen den korrupten, römischen Besatzerstaat.

 

Pastor Smirnow beschrieb den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine als „nicht unser Krieg“. Zwischen den christlichen Gemeinschaften in Rußland und der Ukraine gebe es keinen Krieg. „Wir mögen Fragen unterschiedlich werten, aber sie halten uns nicht davon ab, Brüder in Christo zu sein“. Er verwies mehrmals auf die Subjektivität des politischen Diskurs und zitierte ein altes, russisches Sprichwort: „Jeder Mensch besitzt seine eigenen Wahrheiten (prawda), doch nur Gott besitzt die letzte Wahrheit (istina).“

 

Die Demokratie gibt es nicht in reinster Form, versicherte er. „Das wäre eine Utopie, nichts weiter als eine leere Behauptung.“ Mit anderen Worten: Die Demokratie ist stets nur graduell vorhanden. Die Auseinandersetzung in der Ukraine sei eine äußerst komplizierte Angelegenheit. Er versicherte: „Es ist besser, 15 Minuten lang zu beten, als eine Stunde lang darüber zu diskutieren.“

 

Kommentar

Die politisch aktiven Protestanten in der Kiewer Ukraine werden dazu neigen, Smirnows Aussagen als eine Stimme mehr aus einer pazifistischen und sektiererischen Vergangenheit abzuweisen. Diese Ukrainer treten dafür ein, daß sich Christen am öffentlichen Leben beteiligen – einschließlich des militärischen Sektors. Das ist ein neuer Weg unter den Protestanten Osteuropas – doch ein sehr altes Model im protestantischen Mainstream Nordamerikas.

 

Noch vor Ende der Konfrontation auf dem Maidan im Februar 2014 hatte Wjatscheslaw Nesteruk, der damalige Präsident der Baptistenunion der Ukraine, zu Protokoll gegeben, daß dies nicht “unser Krieg” sei. Seitdem habe ich die baptistische Führung in Kiew mehrmals gefragt, ob der gegenwärtige Konflikt weiterhin nicht „ihr Krieg“ sei. Das haben sie nicht bestätigt.

 

Ich begrüße Pastor Smirnows Hinweis auf die Subjektivität der menschlichen Wahrnehmung im politischen Bereich. Er verwirft ebenfalls die Aufteilung des Globus in „demokratische“ und „nicht-demokratische“ Gesellschaften. Das heißt letztlich, die Demokratie sei Ziel und Absicht - kein absoluter Zustand.

 

Seine Absage an gewaltsamen politischen Veränderungen ließe sich als ein sehr immobiles oder passives Verständnis vom politischen Prozeß abtun. Man könnte in diesem Zusammenhang die Frage Dietrich Bonhoeffers wiederholen: Sind wir Christen nur bereit, die Scherben nach dem Zusammenprall aufzusammeln? Pietisten würden darauf erwidern, daß das inbrünstige Gebet eine aktive, prophylaktische Maßnahme sei, die Katastrophen rechtzeitig verhindern könne.

 

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Weitere Nachrichten: Rußland bemüht sich, das Finanzieren religiöser Organisationen zu kontrollieren

 

In einem Interview der russischen Webseite „Portal-Credo“ vom 30. April nahm der Rechtsanwalt Anatoli Ptschelinzew Stellung zum Bemühen der Russischen Föderation, ihre Kontrolle von NGOs und „ausländischen Agenten“ auf den religiösen Sektor auszudehnen. Ptschelinzew erkennt in der Initiative einen Versuch, unwillkommene und unbequeme religiöse Organisationen einzudämmen und sieht deren Einführung als konkretes Ergebnis der politischen Entwicklungen in der Ukraine. „Die Bedingungen für die Kirchen werden sich auf jeden Fall nicht verbessern“, konstatierte er.

 

Er fügte jedoch hinzu, daß diese Maßnahmen seiner Meinung nach “die Beziehungen zwischen Kirche und Staat nicht ernsthaft verändern” würden. Schließlich gehe der Staat bereits seit einem Vierteljahrhundert gegen unliebsame, ausländische, religiöse Organisationen vor. Die Zunahme an Bürokratie, die solche Maßnahmen mit sich bringen, haben stets deren Effektivität vermindert: „Die Strenge der neuen Gesetzgebung wird durch das Unvermögen, sie durchzuführen, kompensiert.“ Nahezu alle größeren religiösen Organisationen sowie die meisten lokalen Vereine erhalten Geld aus dem Ausland. Nach ihm kollidieren solche Gesetze ebenfalls mit den Interessen der Russischen Orthodoxen Kirche – Moskauer Patriarchats, denn sie ist weiterhin eine Hauptnutznießerin ausländischer Zuwendungen. Eine selektive Anwendung dieser Gesetzgebung würde die staatliche Glaubwürdigkeit schmälern.

 

Ptschelinzew ist ein Direktor des Moskauer "Slavic Centre for Law and Justice" (SCLC), das seit 1998 dem in Washington/DC beheimateten "American Center for Law and Justice" (ACLJ) untersteht. Das ACLJ wurde von dem charismatischen Prediger Pat Robertson gegründet.

 

Deutsche Kirchendelegation dankt Rußland für den sowjetischen Sieg im II. Weltkrieg

 

Anläßlich des 70. Jahrestages des Sieges über Nazi-Deutschland besuchte eine überwiegend lutherische und pfingstlerische Delegation Wolgograd. Die 32-köpfige Delegation war angeführt von Hans-Joachim Scholz, einem lutherischen Pfarrer in Gernsbach südlich von Karlsruhe. Nachdem am 8. Mai ein Kranz am Grab des unbekannten Soldaten niedergelegt worden war, sagte Scholz unter Tränen im russischen TV Kanal 1: „Der Sieg über Nazideutschland ist ein Segen für uns. Deshalb danken wir euch für diesen Sieg und bitten um Vergebung und beten um Gottes Frieden - für uns und ganz Europa, für Russland und für unsere Kinder.“

 

Ein Haupteindruck, den der Autor bei den Wolgograder Feierlichkeiten am 9. Mai gewann, war die durchgängige, imponierende Einheit des russischen Volks in einer Phase ausländischen Drucks. Doch gleichzeitig machte ein Gespräch mit Vertretern von Staat und Finanz am 8. Mai sehr deutlich, daß russische Firmen weiterhin gute Beziehungen mit deutschen Firmen erstreben.

 

Zur Delegation gehörten auch drei Israelis sowie Vertreter des deutschen Adels. Zu ihnen gehörte Dorothea Benecke, eine Enkelin des Generals Erich von Manstein (1887-1973), der beim Kampf im Stalingrader Gebiet eine führende Rolle spielte.

 

Die erste Pilgerfahrt dieser Gruppe fand 1995 statt und führte damals zur Gründung einer Pfingstgemeinde im benachbarten Wolschski. Sie wird von Sergei Altukhow geleitet. Die Gruppe, die sich „Akt der Versöhnung“ nennt, sieht ihre Aufgabe in der Versöhnung zwischen Deutschen, Russen und Juden. Sie ist verbunden mit der charismatisch-geprägten „Geistlichen-Gemeindeerneuerung in der Evangelischen Kirche“ (GGE).

 

Kommentar: Sowohl die Ukraine wie Rußland fühlen sich bedroht

 

Am 28. April fand im Londoner Lambeth Palace ein größtenteils westliches und ukrainisches Hearing statt, das das Los der Protestanten in der Ostukraine zum Inhalt hatte. Gesponsert wurde das Ereignis von der in Didcot beheimateten „Baptist Mission Society“ und der „Mission Eurasia“ aus Chicago. Sie wird geleitet von dem aus der Ukraine stammenden Sergey Rakhuba. Ein ähnliches Treffen hatte am 6. Februar im Rayburn House zu Washington unmittelbar nach dem Nationalen Gebetsfrühstück des Landes stattgefunden.

 

Führende ukrainische Protestanten waren zugegen, doch verständlicherweise war Rußland nur schwach vertreten. Rußland war vertreten durch Juri Sipko, bis 2010 Präsident der Baptistenunion Rußlands, und Katarina Smyslowa, eine einst baptistische Anwältin, die heute der Russischen Orthodoxen Kirche – Moskauer Patriarchat angehört. Keiner von ihnen verfügte über ein offizielles Mandat der eigenen Kirche.

 

Ein Hauptergebnis des Londoner Treffens war ein Foto von Sipko und Michael Panotschko, die sich an den Händen hielten während sie für die Menschen der Ukraine beteten. Panotschko ist Leitender Bischof der „All-Ukrainischen Union der Evangelischen, Christlichen Kirchen – Pfingstler“. Doch ein Bericht in der britischen „Christian Today“ wies auf reelle Differenzen untern den Teilnehmern hin. Nach diesem Bericht rief der Brite Tony Peck, Generalsekretär der in Amsterdam beheimateten „Europäischen Baptistischen Föderation“, zur Versöhnung zwischen den Menschen in der Ukraine und Rußland auf. Doch Panotschko erwiderte, daß Versöhnung inmitten eines Krieges „dem Flicken des Daches eines Hauses inmitten eines Wirbelsturms gleichkommt. Die Versöhnung beginnt erst wenn das Feuer gelöscht worden ist.“ Der ukrainische Bischof besitzt offensichtlich ein statisches, Schwarz-Weiß-Verständnis von Wahrheit. Er meinte: „Es kann keinen Frieden geben dort, wo die Lüge besteht.“ Meine Schlußfolgerung: Wenn Sipko ein friedensbewegter Bürger Rußlands ist, hat er wahrscheinlich der falschen Partei die Hand gereicht.

 

Mehr als ein Teilnehmer verwarf das schwer erkämpfte Zweite Minsker Friedensabkommen vom 12. Februar. Michail Tscherenkow, Mitarbeiter der „Mission Eurasia“ im Großraum Kiew, versicherte z.B.: „Das Minsker Abkommen hat nicht so viel Wert wie das Papier, auf dem es steht.“

 

In London geißelte Anatoli Kaluschni, Bischof der “Union der Selbständigen Evangelischen Kirchen der Ukraine“, die Politik Putins als „die Werke des Antichristen“. Er fügte hinzu, daß Rußland über „eine der größten Armeen der Welt“ verfüge. Das stimmt tatsächlich: Eine Grafik jüngeren Datums führt Rußland an achter Stelle mit einem Jahresmilitärbudget von 38,3 Milliarden US-Dollar. Dabei aber sollen die USA laut Grafik 661 Milliarden Dollar für Militärisches ausgegeben haben. Das ist fast die Hälfte der globalen Gesamtausgaben. Sowohl die Ukraine wie Rußland fühlen sich bedroht

 

Prorussische Separatisten in der Ostukraine haben mehr als fünf Tote protestantische Mitarbeiter auf dem Gewissen; sie haben auch kircheneigene Immobilien beschlagnahmt für die Behausung von Soldaten und Kriegsmaterial. Doch nach einer Meldung der „Interfax“ vom 18. Mai sind neun Kirchen des Moskauer Patriarchats zerstört und weitere 77 während und nach Feindseligkeiten beschädigt worden. Mindestens drei seiner Priester sind umgekommen; „Dutzende“ von ihnen sind aufgrund von Todesdrohungen nach Rußland geflohen. In der Westukraine sind etwa 19 Kirchen durch das international nichtanerkannte „Kiewer Patriarchat“ okkupiert worden. Gleichzeitig ist auch das Eigentum des Kiewer Patriarchats auf der Krim bedroht. Das Moskauer Patriarchat, die mit Abstand größte Kirche in der Ukraine und Rußland, befindet sich in einem leidenschaftlichen Gerangel um Hirne und Immobilien in der Ukraine.

 

Im Kampf um die Glaubensfreiheit befinden sich charismatische und adventistische Leiter in politischen Organisationen auf beiden Seiten der Barrikaden. Doch wird unser Verlangen nach religiöser Toleranz erst glaubwürdig, wenn wir sie allen Parteien gewähren. Das westliche „Forum 18“ hat mit einer Verteidigung von Muslimen und Hare Krishna u.a. den Anfang gemacht. Es darf sich nicht nur um unsere eigenen Evangelikalen drehen.

 

Am 8. Mai blieb Metropolit Onufri (Beresowski), Oberhaupt des Moskauer Patriarchats in der Ukraine, bei einer Feierstunde im Parlament sitzen als Präsident Petro Poroschenko die Namen gefallener Soldaten verlas. Zur eigenen Rechtfertigung warnte Onufri hinterher vor allen Versuchen, „das Feuer des Krieges anzufachen. . . . Der Krieg muß sofort eingestellt werden.“ (Das war kein Konsens bei der Begegnung in London.) Ihm und weiteren Kollegen, die ebenfalls sitzen geblieben sind, ist ein Gerichtsprozeß angedroht worden.

 

Nach seiner Wahl im vergangenen August hatte der Metropolit verlauten lassen: “Die Krim ist ukrainisches Territorium und muß in den Besitz des ukrainischen Staates zurückkehren.” (Siehe unsere Meldung vom 2.9.2014.) Onufri ist ein waschechter Ukrainer, geboren 1944 im westukrainischen Gebiet von Tschernowtsi. Mit tiefen Wurzeln sowohl in der Ukraine wie in Rußland ist das Moskauer Patriarchat wohl am ehesten imstande, die aufkeimenden Flammen in beiden Staaten zu löschen.

 

Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 31. Mai 2015

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