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Nazis mochten Mennoniten

Arischer als die meisten Deutschen – die Mennoniten stellen sich selbst in Frage

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Bericht über einen Vortrag im vergangenen Jahr

 

S m o l e n s k – Die Nazis mochten Mennoniten. Diese aufrüttelnde Botschaft enthielt ein Vortrag von Ben Goossen, einem Doktoranden an der Harvard-Universität, auf der Mennonitischen Weltkonferenz in Harrisburg/Pennsylvania am vergangenen 22. Juli. Seine These untermauerte er mit einem großen Foto, das Heinrich Himmler 1942 bei einem Besuch der mennonitischen Molotschka-Kolonie (heute Molotschansk) südöstlich von Saparoschje/Ukraine zeigt.

 

Auslands-Mennoniten wurden jahrelang als die „reinsten“ und überzeugendsten Repräsentanten eines deutschen „Volkstums“ gewürdigt. Goossen zitierte aus Berichten der SS, die Mennoniten als „ein hervorragendes Beispiel für die Vermeidung von Annäherung an eine fremde Umgebung“ lobten (Rückübersetzung aus dem Englischen). Die Nazi-Bewegung war „beeindruckt von der Fähigkeit der Mennoniten, in getrennten Siedlungen um die ganze Welt zu gedeihen, während sie gleichzeitig die deutsche Sprache und Identität bewahrten . . . . Im Laufe von 400 Jahren hatten sie eine reine Rasse mit ‚reinem’ Blut geschaffen.“ Nach Angaben der nazistischen Rassenbiologen „waren die Mennoniten arischer als der durchschnittliche Deutsche“. Auf der Suche nach dem idealen Arier hatten deutsche Biologen schon 1933 bereitwillige „Mennoniten in mehreren Ländern untersucht“.

 

Nach Goossen waren und sind die genealogischen Interessen der Mennoniten durchaus im Sinne der nazistischen Ideologie. Auch nordamerikanische Mennoniten fanden schon immer Gefallen am „Mennonitischen Spiel“, das bestimmte Personen und Familiennamen für „mennonitischer“ erachtet als andere. Diese Praxis zur Erforschung der familiären und biologischen Verbindungen, die auf einer langfristigen kulturellen Exklusivität fußt, stuft die Menschheit in wertvolle und weniger wertvolle „Bestände“ ein. Nochmals Goossen: „Man muß sich darüber im Klaren sein, daß das ‚Mennonitische Spiel’ und das Hochhalten traditioneller, ethnisch-deutscher Beziehungen einiges mit dem Treiben der nazistischen Rassenwissenschaftler teilt.“

 

Die große Wende von 1945

Nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR 1941 machten sich die Mennoniten Mühe, ihr Deutschsein unter Beweis zu stellen. Später zogen sie sich gemeinsam mit der deutschen Wehrmacht nach Westen zurück. Goossen weist darauf hin, daß im besetzten Polen Mennoniten „eine intensive Rassenprüfung über sich ergehen ließen, um in den Genuß bestimmter Vorrechte als ethnische Neusiedler kommen zu können. So erhielten sie Zugang zu Häusern und Höfen, die einst Polen und ermordeten Juden gehörten.“ Das geschah vor allem im Jahre 1944.

 

Nur wenige Monate danach, nach dem Niedergang des Dritten Reiches, waren Mennoniten plötzlich darauf aus, das genaue Gegenteil zu beweisen – daß sie eigentlich Antifaschisten waren. Goossen erläuterte es wie folgt: „Nachdem sie alle Vorrechte beansprucht hatten, die sich aus einer deutschen Volkszugehörigkeit ergaben, mußte irgend jemand den Beweis erbringen, daß die mennonitischen Flüchtlinge eigentlich gar keine Deutschen waren. Die Richtlinien der Vereinten Nationen schlossen Deutsche aus den Flüchtlingsprogrammen aus, denn die Deutschen waren als Kriegsanstifter eingestuft worden.“

 

Der renommierte, kanadische Leiter mennonitischer Flüchtlingsarbeit Peter Dyck (1914-2010) sah die Not der Stunde und schuf eine völlig neue Ethnizität: „Mennonit“. Nach der Auslegung seiner Organisation, das „Mennonitische Zentralkomitee“ (MCC), waren die Flüchtlinge aus der Ukraine „überhaupt keine Deutschen, sondern Mennoniten“. Der Vortrag führte aus, das MCC hätte „mehrere offizielle Studien angefertigt, die behaupteten, die Flüchtlinge seien Pazifisten gewesen, die weder das Militar noch die NSDAP unterstützten“. „Doch das war falsch“, fügte Goossen hinzu. „Nahezu alle mennonitischen Männer kämpften in nazistischen Kampfeinheiten, entweder freiwillig oder zwangsweise.“

 

Der Verfasser war persönlich dabei, als Peter Dyck 1989 zugab, daß Mennoniten mit einer tatöwierten Zahl auf dem Arm von einer Übersiedlung nach Kanada ausgenommen worden waren. Das war die Indiz dafür, daß sie in der SS gedient hatten. Der Zielort, der diesen Männern nach 1945 übrigblieb, hieß Paraguay.  

 

Kommentar

Angenommen, diese Darstellung ist stichhaltig, wirft sie eine Menge an Fragen auf. War die atemberaubende Wende von 1945 nichts weiter als blanker Opportunismus? War sie nichts weiter als der Versuch, dem Ernten von dem, was sie gerade gesät hatten, zu entweichen? Es war auf jeden Fall die unglückselige Minderheit mennonitischer Flüchtlinge in den westdeutschen Lagern, die in den Jahren 1945-48 von der UdSSR zwangsrepatriiert worden sind, die stellvertretend für alle das Ganze auszubaden hatten. Die meisten hiervon waren Frauen und Kinder.

 

Das Bemühen, die eigene Haut zu retten, ist eine durchaus verständliche Reaktion. Doch  hätte nicht Buße die Chance geboten, die Herzen von Russen und Ukrainern neu zu erobern? Die Alltagspraxis hinterläßt den Eindruck, die christliche Lehre der Buße sei im Falle politischer Übeltäter völlig unpraktikabel. Ich meine, erst mit den Studentenrevolten von 1968 wurden die Westdeutschen bereit, sich auf Buße und eine seriöse Aufarbeitung des Vorgefallenen einzulassen. Es ist offensichtlich erst der Nachwuchs der Täter, der imstande ist, sich auf einen aufrechten Bußprozess einzulassen.

 

Man könnte behaupten, die Mennoniten der Ukraine – sowie die zahlreicheren, ethnisch deutschen Lutheraner und Katholiken - hätten sich in die Umarmung der deutschen „Befreier“ begeben, nur weil sie unendliches Leid erlitten hatten in den Händen der Häscher Stalins in den 30er Jahren. Doch schon 1920 war es Panslawisten, Bolschewisten und Anarchisten in der südöstlichen Ukraine äußerst schwer gefallen, das Vorhandensein von abgetrennten, wohlhabenden deutschen Enklaven zu ertragen. Wer hatte hier die meiste Schuld? Es ist eine Geschichte von Ei und Huhn. Die Schuld läßt sich mindestens bis Katherina der Großen zurückverfolgen, die 1789 die Mennoniten als geschlossene Gesellschaften ins Land lud.

 

Ein Nachwort: Im Zuge der „Entsowjetisierung“ der ukrainischen Gesellschaft sind Pläne im Umlauf, manchen Straßen im Raum Saporoschje mennonitische Namen zu geben. Zu ihnen zählen Straßennamen wie „Tissen“, „Gerhard Rempel“ und „Andreas Wallmann“.

 

Die Faschismus-Frage bildet natürlich nur einen Bruchteil des Gesamtbildes. Heute sind die „modernen“, hervorragend ausgebildeten Mennonitengemeinden Nordamerikas oftmals nur eine Abteilung mehr im liberalen, alles inklusiven, gesellschaftlichen Mainstream. Manche Beobachter behaupten, die Jugend laufe ihnen heute in Scharen davon. Dagegen ist es der konservative, weiterhin ethnisch aufgebaute Teil, der sich heute zahlenmäßig behauptet. Das alt-und-ehrwürdige, 1920-gegründete „Mennonitische Zentralkomitee“, das sich aus Rußland zurückgezogen hat, ist heute kleiner als die konservative, 1981 in Berlin/Ohio gegründete „Christian Aid Ministries“. Quo vadis?

 

Hauptquelle für diesen Bericht ist ein Aufsatz von Tim Huber in: “Mennonite World Review”, 24. Juli 2015. Eine Nachfolgekonferenz mit 100 Teilnehmern fand vom 25.-28. September in Münster statt. Die Vorträge auf dieser Konferenz sollen im Laufe des Jahres 2016 vom “Mennonitischen Geschichtsverein“ publiziert werden.

 

982 Wörter

 

Dr. phil. William Yoder
Smolensk, den 30. Januar 2016