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Russische Baptisten werden sich umstellen und überleben

Wir sind noch lange nicht erledigt

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Gespräch mit einem Baptistenpastor in Moskau

 

S m o l e n s k – „Es ist einsam um uns geworden.“ Das war das Fazit eines von Lufthammern und aufbrausenden Motorrädern begleiteten Gespräches, das ich am 2. Juni vor der Moskauer U-Bahn Station „Ochotni Rjad“ direkt vor dem Eingang zum Roten Platz führte. Mein russischer Gesprächspartner war ein baptistischer Pastor, der seit 40 Jahren das kirchliche Geschehen in seinem Lande aktiv verfolgt.

 

Nach ihm ist im Februar 2014 im Zuge der Ereignisse auf dem Kiewer Maidan eine monumentale Zeitenwende erfolgt. Seit jenem Einschnitt nehmen die Kontakte nach Westen hin stark ab. „Jetzt sind wir sehr alleine“; wir sind abgeschnitten von den viel größeren kirchlichen Ressourcen in der Ukraine. Unsere Kontakte dorthin werden noch weiter abnehmen. Wir bleiben mit vielen Geschwistern dort – etwa mit leitenden Theologen - befreundet. Aber in der Ukraine sind wir oftmals unwillkommen und unser Staat sieht es nicht gern, wenn wir immer wieder dort auftauchen. Uns haben die ukrainischen Protestanten nicht mehr als Hinterhof, doch dafür haben sie den Westen als Güter- und Kraftquelle behalten.

 

Er fuhr fort: Heute erhalten wir nur noch wenig Geld aus dem Westen; eher unfreiwillig werden wir wieder selbständig. Die Zahl unserer Ausbildungsstätten schrumpft. Eine Moskauer „Party im Park“, die die Freikirchen kürzlich anläßlich des Jubiläums zum 140. jährigen Bestehen der russischen Synodalbibel veranstaltet haben, bezahlten sie aus eigener Tasche. Die allgemeine Krise verstärkt das Empfinden der russischen Christen, gemeinsam in einem Boot zu sitzen. „Wir fühlen uns den anderen russischen Christen (auch dem orthodoxen Teil) näher als den Baptisten in den in USA.“ Wir sind unendlich schwächer als unsere Schwesterkirchen in der Ukraine, aber wir sind noch lange nicht erledigt.

 

Bezüglich der internen Verhältnisse räumte der Baptistenpastor ein, daß es eine „totalitäre Strömung“ unter ihnen gibt – „aber sie wird uns nicht spalten können“. Gemeint damit ist eine aus USA stammende kalvinistisch-fundamentalistische Bewegung. Schon in der Sowjetzeit hätte die übergroße, multikonfessionelle Baptistenunion es gelernt, sehr verschiedene Strömungen unter einem Dach zu vereinen. Damit hätten die Baptisten Erfahrung.

 

Doch gleichzeitig bedauerte mein Gesprächspartner die Aufspaltung der „protestantischen Front“ in einen baptistischen und einen pfingstlerischen Flügel. „Das war nicht nötig gewesen“, meinte er. Seit dem 23. September 2015 gehört die Baptistenunion nicht mehr zum „Konsultativrat der Leiter der protestantischen Kirchen Rußlands“. Deshalb sei sein inoffizielles Oberhaupt, Sergei Rjachowski, Leitender Bischof der „Vereinigten Russischen Union der Christen Evangelisch-Pfingstlerischen Glaubens“ (ROSChWE) nun bemüht, den Konsultativrat souverän in eigener Regie zu führen. Dabei leisten ihm die Evangeliumschristen (der ehemalige Baptist Alexander Semtschenko z.B.) Schützenhilfe. Lutheraner und Adventisten hingegen seien bestrebt, es mit keinem der beiden Flügel zu verderben; das Gleiche gilt für die Russische Evangelische Allianz. Laut meines Gesprächspartners besteht der schärfste Gegensatz im Verhältnis zwischen dem Baptistenbund (Alexei Smirnow) und den Charismatikern (Sergei Rjachowski).

 

Der Pastor sprach ferner von drei Modellen für den Umgang der Freikirchen mit einer säkularen Gesellschaft. Die Modelle „Sektentum“ (der Rückzug aus der Gesellschaft) und „Untergrund“ (die Bevorzugung der Illegalität) gibt es schon lange. Das dritte, neue Modell eines offensiven Zugehens auf Staat und Gesellschaft, wie es heute von den Pfingstlern und Charismatikern praktiziert wird, sei leider ein vom Westen her importiertes und aufgepfropftes Modell. „Wir Baptisten wissen gar nicht weiter,“ konstatierte er. „Unsere Leitungen sind größtenteils noch immer ohne höhere Bildung; sie haben keine Vorstellung von einem gemeindeübergreifenden, gesellschaftlichen Wirken.“

 

Dabei dachte ich: Die Baptistenunion Rußlands hat in den letzten 40 Jahren sehr viel durchgemacht. Auf die jahrzehntenlange Isolation folgte eine plötzliche Überschwemmung westlichen Einflusses und westlicher Güter. Nun geht es darum, zwischen den Extremen von Separatismus und ausführlichem gesellschaftlichem Engagement neue Wirkungsmodelle zu entwickeln.

 

Dr. phil. William Yoder
Berlin, den 20. Juni 2016

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