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Die Ukraine braucht Kompromisse

Ein Konflikt, der nach Kompromissen schreit

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Ein Kommentar zur Person von Gennadi Mochnenko

 

M o s k a u – Auf seiner Facebook-Seite und sogar im russischsprachigen Fernsehen Kaliforniens wiederholt Gennadi Mochnenko (Mariupol/Ukraine) die politischen Auffassungen, die für Evangelikale in der Ukraine typisch sind. Dieser kulturelle Russe, der der ukrainischen Sprache nicht mächtig ist, ist Pfingstpastor, Militärseelsorger und Adoptivvater von mehr als 30 Waisen. Er verurteilt den Pazifismus scharf und läßt sich gerne in Militärtarnung abbilden.

 

Nach dieser politischen Lesart sind jene Protestanten, die Loyalität gegenüber dem Kreml bekunden, bestenfalls Konformisten. Ukrainische Protestanten, obgleich sie mitunter die höchsten politischen Ämter bekleiden (Turtschinow) und Orden aus den Händen der politischen Führer entgegennehmen, sind keineswegs konformistisch. Wer Verständnis für die geostrategischen Interessen Rußlands zeigt, wird „vom Kreml bezahlt“. Doch in Wahrheit beziehen viele auf beiden Seiten des osteuropäischen Gefälles ihr Gehalt weiterhin aus westlichen Quellen.

 

Evangelikale auf Kiewer Seite haben die gegen Demonstranten am 24. März angewandte Gewalt in Minsk und Moskau verurteilt. Es gab aber auch Gewalt gegen Demonstranten bei den US-amerikanischen Wahlkongressen im Sommer 2016. Im Februar 2011 wurde der pensionierte CIA-Agent Ray McGovern blutig geschlagen und verhaftet, weil er Hillary Clinton bei einer Washingtoner Rede stillschweigend den Rücken zugekehrt hatte. Man denkt noch an die Straßenschlachten im Zuge der schwarzen Bürgerrechtsbewegung vor einem halben Jahrhundert. Eine Gewalt wird nicht durch eine weitere gerechtfertigt, doch immerhin rückt sie die Verhältnisse ins rechte Licht.

 

Man geht davon aus, der Einsatz Kiewer Protestanten für ihren Staat sei rechtens. Den Russen hingegen steht nur die Option zu, sich gegen ihren Staat aufzulehnen. Doch wie genau ist die ukrainische Position „christlicher“ als der umgekehrte Fall? Mir kommt das unlogisch vor; hier fehlt mir der Sinn für Fairneß.

 

Die westlichen Demokratien treten für die Glaubensfreiheit ein und lassen die Zeugen Jehovas meistens in Ruhe. Aber leider Gottes bremst die westliche Demokratie eine aggressive Außenpolitik nur selten. Im Zuge ihrer ausländischen Interventionen seit dem Zweiten Weltkrieg haben die USA große Schuld auf sich geladen. In einem Film, der für ein elegantes Medien-Dinner am 24. März 2004 gedreht worden ist, spöttelt der damalige Präsident George W. Bush über sich selbst, als er unter seinen Büromöbeln vergeblich nach den fehlenden Massenvernichtungsmitteln sucht. Die Familien der Kriegstoten in den USA und im Irak (über eine halbe Million tote Irakis) lachten nicht mit. Ausländische Interventionen werden meistens erst durch falsche Vorwände ermöglicht. Man erinnert sich z.B. an den Schlachtruf „Remember the Maine“ von 1898. Da denkt man auch an den Sender Gleiwitz, 1939.

 

In seinem BBC-Interview vom 6. März 2017 versicherte der ehemalige ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, seine Armee würde den Kampf bis zur vollständigen Befreiung heimischen Bodens weiterführen. (Ukrainische Protestanten behaupten manchmal das Gleiche.) Doch die Armeen von Donezk und Lugansk geben ebenfalls an, den heimatlichen Boden zu verteidigen. Das stimmt auch wirklich für jene Truppen, die selbst aus Donbas stammen, und das ist eben die Mehrheit auf östlicher Seite. Dieser Konflikt schreit nach Diplomatie – nicht nach Hitzköpfen. Minsk II und ähnliche Kompromißvorschläge bieten den einzigen Weg ins Freie.

 

Gennadi Mochnenko zeigt ein großes Herz für Waise, und dafür kann man ihm nur Gutes wünschen. Doch in anderen Fragen haben er und viele Gleichgesinnte den christlichen Weg des Friedens verlassen. Seinen Kindern bringt er u.a. spielerisch die Kriegskunst bei.

 

Natürlich ist diese Problematik keine rein evangelische. Filaret, Patriarch des abgespaltenen Kiewer Patriarchats, ist nicht minder nationalistisch. Eigentlich sind die ukrainischen Protestanten nicht radikaler als ihre nordamerikanischen Mentoren. Der antirussische Falke und US-Senator John McCain beschreibt sich selbst öfters als Südbaptist. Sein Kollege und Gesinnungsgenosse Lindsey Graham ist ein selbständiger (Independent) Baptist aus Seneca/Südkarolina.

 

Die Nutzung der Massenmedien kann gelegentlichen Besuchern der USA – mir z.B. - ein Trauma bereiten. Im Februar 2017 hat ein christlicher Sender in Sarasota/Florida im Laufe einer einzigen Sendung Werbung sowohl für einen Waffenladen wie für die Heilsarmee gebracht. Auch christliche Talk-Sendungen attackieren Barack Obama als Feigling im außenpolitischen Bereich. Doch nach manchen Berechnungen haben Obama und seine Verbündeten im Jahre 2016 nicht weniger als 26.000 Bomben in sieben Ländern niedergehen lassen.

 

Wir Evangelikalen – siehe u.a. Franklin Graham – stehen nicht außerhalb des Gefechts, nicht jenseits der Front, die die USA in Stücke zu reißen droht. Ein Großteil der US-amerikanischen Jugend scheint sich einer liberalen, anti-Trump-Haltung verschrieben zu haben. Wir haben bereits Millionen von ihnen für die Sache der Kirche verloren.

 

Großmächte wie die USA neigen immer wieder zu der Haltung: “Tut nicht das, was ich tue. Tut nur das, was ich sage.“ Der US-Journalist Mark Ames verbrachte die 90er Jahre in Moskau. Sie können erfahren, wie er die massive Einmischung der USA in den russischen Wahlkampf von 1996 beschreibt unter: https://www.youtube.com/watch?v=-3Aajppo5Zk. Dazu noch die Titelseite der Zeitschrift “Time” vom 15. Juli 1996 - siehe oben.

 

Die anhaltende Revision der jüngsten Geschichte

Gegenwärtig ist das Gespräch über den „Rechtsradikalismus“ und den “Faschismus” in nahezu jedem Munde. Die Gründung des kroatischen Staates im Mai 1991 führte zu einem steilen Anstieg revisionistischer Geschichtsdeutungen. Nach faschistischer Sichtweise verbrachten die Westmächte den Zweiten Weltkrieg mit dem falschen Verbündeten – sie hätten sich stattdessen lieber mit Nazi-Deutschland liieren sollen. (Das ist die Position des Arsenij Jazenjuk.) Natürlich wurde diese Bündnisfrage bereits in den 30er Jahren heiß diskutiert. Heute gibt es bedeutende Bewegungen etwa in Kroatien, Lettland und der Ukraine, die diese pro-faschistische Deutung propagieren.

 

Aufgrund des höchst inflationären Gebrauchs des Terminus sollte man nur mit Vorsicht und Bedacht Menschen und Bewegungen als „faschistisch“ brandmarken. Es tut dennoch weh, wenn ein baptistischer Politiker und Jugendleiter wie Pawlo Ungurjan einen hohen Orden von Andrij Parubij, dem Vorsitzenden der ukrainischen „Werchowna Rada“ entgegennimmt. Für Parubij, der gemeinsam mit Oleh Tjahnybok 1991 die „Sozial-Nationale Partei“ des Landes ins Leben rief, ist die Bezeichnung „Faschist“ passend.

 

Parubij ist allerdings auch ein Freund des liberalen, kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau. Trudeaus neue Außenministerin ist Chrystia Freeland; ihr Großvater Michael Chomiak (1905-84) war Kollaborateur und Redakteur einer ukrainischen Nazi-Zeitung im besetzten Krakau. Im Jahre 1948 wanderte er nach Kanada aus. Natürlich kann Frau Freeland wegen der Taten ihres Großvaters nichts vorgeworfen werden – höchstens dafür, daß sie ihn bis heute verteidigt. Sie besitzt eine Wohnung am Kiewer Maidan und verfügt über eine Einreisesperre nach Rußland. Diese Maßnahme bezeichnet sie als eine Ehre.

 

Der Kreml seinerseits pflegt Umgang mit populistischen Bewegungen am rechten (und linken) Rande: die deutsche AfD, Le Pen in Frankreich, Wilders in den Niederlanden und manchmal auch Donald Trump. Diese populistischen Bewegungen stellen die Kriegsallianzen im Zweiten Weltkrieg selten in Frage. Wir sind jedoch gut beraten, in beiden Fällen Vorsicht walten zu lassen.

 

Ein Worst-Case-Szenario: Der Kalte Krieg heizt sich gewaltig auf; Rußland reagiert mit Druck auf seine protestantischen Minderheiten. Rußland sieht in ihnen – manchmal zurecht – den verlängerten Arm ausländischen Einflusses. Die westlichen Evangelikalen reagieren mit lautem Protest, werfen Rußland eine antikirchliche Haltung vor und liefern somit zumindest indirekt ideologischen Stoff für das Wettrüsten. So ungefähr ist es nach 1947 gelaufen. Damals wie heute sieht der Westen über die Tatsache hinweg, daß die russische Reaktion zumindest teilweise durch die Haltung der westlichen Kirchen verursacht worden ist.

 

Es gibt nicht genügend Kräfte, die einer Wiederholung dieses Szenarios im Wege stehen. Es sind neue Bonhoeffers gefragt, die dem rasenden Rad in die Speichen fallen.

 

Dr. phil. William Yoder
Smolensk, den 30. März 2017

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