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Kirchliche Diskussionen über die AfD

Wehret den Anfängen - von Weimar

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Zur kirchlichen Auseinandersetzung über die AfD

 

Kommentar

 

B e r l i n -- Was versteht man unter dem inflationären Begriff „Faschismus“? Bedenklich, daß viele in der „Alternative für Deutschland“ (AfD) es selber nicht wissen. Kürzlich versicherte mir ein protestantischer Pastor und AfD-Aktivist, nennen wir ihn „Pastor A“, er würde niemals für eine faschistische Partei stimmen. Doch er und andere in dieser Partei, die ich gefragt habe, konnten oder wollten den Terminus nicht definieren. 

 

Was sind die Attribute des Faschismus? Darunter verstehe ich Rassismus, Fremdenhaß, Gewaltbereitschaft, Kriegstreiberei, Antisemitismus, Eugenik, Sozialdarwinismus, das Überleben der Passendsten, das Neuheidnische. Für den Nationalsozialismus treffen diese Attribute alle zu. Doch wie steht es mit Mussolini oder dem Klerikalfaschismus nach 1930? Man denkt an Andrej Hlinka in der Slowakei oder Miklós Horthy in Ungarn. Bis 1968 blieb der Portugiese Antonio Salazar Staatsoberhaupt; Francisco Franco schaffte es bis 1975. In Ungarn heute ist Horthy (1868-1957) längst rehabilitiert. Doch im deutschen Kontext dreht es sich vor allem um den Nationalsozialismus – Faschismus pur. Die vielen Abstufungen des Faschismus gibt es anderswo auf der Welt.

 

In Erfurt bäumten sich nach dem 6. Februar 2020 alle anderen Parteien gegen die AfD auf. Aber mit dem Faschismus war das nicht immer so. Nach 1945 fanden Tausende von osteuropäischen Faschisten – z.T. dank der Unterstützung des Vatikans - Unterschlupf in Nordamerika und Australien. Nach 1990 tauchten sie plötzlich Gewehr bei Fuß in der alten Heimat wieder auf. Nach Angaben der „Jungen Welt“ gab die Bundesrepublik ín nur vier Monaten so viel für die „Aufarbeitung der DDR-Diktatur“ (d.h. BStU) aus, wie sie im Laufe von 31 Jahren für die Ludwigsburger „Zentralstelle für die Aufklärung der NS-Verbrechen“ ausgegeben hatte.

 

Der ukrainische Faschist und Spitzenpolitiker Andrij Parubij ist nicht nur ein Freund des kanadischen Premierministers Justin Trudeau. Beim Nationalen Gebetsfrühstück in Kiew am 30. Mai 2019 war Parubij – wie bereits 2017 - ein führender Gastredner. Am 4. Oktober 2018 besuchte ihn in Kiew eine Spitzendelegation des Baptistischen Weltbundes und der Europäischen Baptistischen Föderation (siehe unsere Meldung vom 13. November 2018).

 

Ein Freund meinte, neu bei der heutigen AfD sei ein hoffähiger Rassismus. Doch selbst Wahlplakate der CDU aus dem Zeitraum 1949-53 zeigen einen wilden, asiatisch-aussehenden „Russen“. Und war der an der Regierung Adenauer beteiligte "Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE) weniger faschistisch als die AfD der Gegenwart? Eine Aussage seines Gründers Waldemar Kraft von 1952 könnte im Wortlaut von der heutigen AfD stammen: Der BHE sei „die Partei auch der ehemaligen Nazis, aber nicht derjenigen, die heute noch Nazis sind“ (siehe Wikipedia).

 

Die erst 2013 gegründeten AfD verfügt gegenwärtig über mindestens drei Flügel: Faschisten, Nationalkonservative/Großbürgerliche und „Friedenskämpfer“. Sie ist sehr viel mehr als eine tragisch fehlgeleitete Sammlung tatöwierter Schläger; in ihr gibt es auch hochgebildete Intellektuelle – einen „Pfarrer B“ z.B.

 

Der bürgerliche Flügel – wahrscheinlich die Mehrheit – verfügt über Angestellte, Beamte und Unternehmer aus den Reihen der FDP und CDU. Dieser Flügel teilt Schnittmengen mit dem Mainstream: Er ist tendenziell pro-Israel und pro-NATO, für die Großkonzerne und für die Duldung von Abtreibung und Homosexualität. Die offizielle Darstellung Washingtons bezüglich der Anschläge von 9/11 - daß Al-Qaida ohne Unterstützung durch Israel und die USA das Verbrechen hinbekam - ficht dieser Flügel nicht an. Immerhin ist der bürgerliche Flügel der AfD gegen die These einer globalen Erderwärmung.

 

Pastor A versichert, die AfD sei der rechte Flügel der alten, von Helmut Kohl geführten CDU. Wäre die Merkelsche CDU keine Partei der Mitte, bestünde keinerlei Bedarf nach einer AfD. Dieser Pastor vertritt die gängigen, rechtsgerichteten Bedenken gegenüber einem vermeintlich aggressiven Islam, doch Pfarrer B wähnt in den werte-konservativen Muslimen Deutschlands sogar einen potentiellen Partner im Kampf gegen die westliche Dekadenz. Überhaupt zeigt Pfarrer B keine Anzeichen einer faschistischen Gesinnung. Er hadert mit dem etablierten, liberalistischen Establishment in Staat und Kirche – so wie die Nationalkonservativen in dieser Partei es eben tun.

 

Der CSU-Politiker und Friedensaktivist Professor Rainer Rothfuß (Lindau) ist im Juni 2018 vom Mainstream zur Opposition gewechselt; er wurde Mitglied der AfD. Er ist ein Gründer der deutsch-russischen Freundschaftsaktion „Druschba“ und erhielt bereits im Januar 2018 gemeinsam mit Professor Eugen Drewermann den „Bautzener Friedenspreis“. Rothfuß ist wohl ebenfalls Evangelikaler. Den diesjährigen Bautzener Preis nahm der Schweizer Historiker und Publizist Daniele Ganser am 29. Januar entgegen. Nicht alles, was sich rechts von der heutigen CDU/CSU bewegt, läßt sich als faschistisch abstempeln.

 

Der einst kommunistische Redakteur Jürgen Elsässer betreibt eine „Querfront“, die für eine Annäherung von links und rechts eintritt. Er ist nicht der einzige AfD-nahe Meinungsmacher, der Sahra Wagenknecht mag. Im Gegensatz zur bürgerlichen AfD-Mehrheit will er alle isolationistischen, anti-imperialistischen, anti-globalen, anti-großkapitalistischen und Anti-NATO-Kräfte sammeln. Der Vergleich hinkt, aber man denkt unweigerlich an die „linken“ Nazis Otto und Gregor Strasser und ihre Offerten an die KPD nach 1925.

 

Das westliche Mainstream verübelt Rußland, daß dieser Staat zweigleisig verfährt und sowohl die deutsche Rechte wie die deutsche Linke hofiert. Doch was bleibt Rußland anderes übrig, wenn die deutschen Großparteien im Wesentlichen der US-Rußlandpolitik folgen? Bei den Protesten gegen das NATO-Großmanöver „Defender 2020“ an den Grenzen von Rußland und Belarus werden sich Rechte wie Linke wiedersehen.

 

Das Verschwimmen der Grenzen

Seit dem Fall der Berliner Mauer sind die herkömmlichen politischen Grenzen verschwommen und aufgeweicht. Einige Monate las ich die Webseite „antiwar.com“ ohne dahinter zu kommen, daß sich deren Macher als politisch rechts verstehen. Sie sind eben alt-konservative, amerikanische Isolationisten. Ihr verstorbener Gründer, Justin Raimondo, war sowohl rechts wie schwul. Ist Ken Jebsen von „KenFM“ politisch links oder rechts? Die gleiche Frage könnte man an Daniele Ganser, einen Leugner der Washingtoner Darstellung von 9/11, richten.

 

Gemessen an seinen Äußerungen ist der liberale US-Demokrat Adam Schiff, ein Hauptgegner Donald Trumps, ein Kriegstreiber. Siehe seine Aversionen gegenüber dem russischen Volk. Aber er ist nicht deswegen schon Faschist, denn manche weiteren Attribute des Faschismus fehlen ihm. Donald Trump selbst, falls er überhaupt als Faschist gelten kann, ist kein Nazi.

 

Fazit: Es gibt viele Abstufungen des Faschismus, und der Übergang zwischen Faschismus und Nicht-Faschismus ist eben fließend. Kann man wissen, an welcher Stelle aus einem Faschisten ein Rechtskonservativer wird? Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Sortierung!

 

Die Unterscheidung ist wichtig. Wir bedürfen einer Grenzziehung, denn einen Rechtskonserva­tivismus kann man erdulden, den Faschismus aber nicht. Die erforderliche Begriffsklärung geht nur mittels Gespräche. Ein unüberlegtes, pauschales Verteufeln ist kontraproduktiv, denn oftmals beruht das auf Fehlinformationen. Die Betroffenen fühlen sich nicht verstanden. So wird das Vorhandene nur bestärkt. Die Rechten sind Menschen, mit denen gesprochen werden muß.

 

Auch unter Pastoren der deutschen Freikirchen wird heftig gestritten. Jüngst hat eine freikirchliche Ortsgemeinde ohne besonderen Anlaß einem Pastor und AfD-Mitglied ein Predigtverbot erteilt. Es wurde damit begründet, daß sich ein Verkündiger politisch neutral zu verhalten habe. Allein die Parteizugehörigkeit von Geistlichen hat jedoch selten zu einer Ausgrenzung geführt. Otto Dibelius, evangelischer Bischof in Berlin und Brandenburg von 1945 bis 1966, gehörte einst der rechtsreaktionären „Deutschnationalen Volkspartei“ (DNVP) an. Nach 1945 wechselte er zur CDU. Der derzeitige Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, ist Mitglied der SPD, wobei er seine Mitgliedschaft gegenwärtig ruhen lässt.

 

Wir müssen versuchen, die Nicht-Faschisten in der AfD für einen menschenfreundlicheren Weg zu gewinnen. In welchem Rahmen wären Aussprachen möglich? Man kann nicht gleich mit missionarischen Versuchen beginnen. Stufe eins würde heißen: das Gegenüber besser verstehen lernen. Wehren wir den Anfängen von Weimar anno 1930! Debatten müssen mit Worten und nicht mit Fäusten oder Gewehren ausgetragen werden. Das Zuhören kann nur gegenseitig sein

 

Aber ich bin gegen eine Regierungsbeteiligung der AfD solange sie rechtsaußenstehende Politiker wie Björn Höcke eine Heimat bietet. Ich denke, die Post-Merkel-CDU wird auf die AfD zugehen. Es gibt bereits die „Werte-Union“. Diese Nähe hat übrigens Tradition: Vor die Wahl gestellt, sind deutsche Konservative allemal eher rechts als links.

 

Falls sich einer wundert: Ich persönlich komme aus der entgegengesetzten, also der linken Ecke.

 

Dr. phil. William Yoder
Laduschkin, den 17. Februar 2020

 

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